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BGH - Entscheidung vom 29.02.2024

VII ZR 902/21

Normen:
BGB § 31
BGB § 826

BGH, Urteil vom 29.02.2024 - Aktenzeichen VII ZR 902/21

DRsp Nr. 2024/5544

Inanspruchnahme des Fahrzeugherstellers auf Schadenersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug

1. Der auf Ersatz des Differenzschadens gerichtete Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV knüpft an die Enttäuschung des unionsrechtlich geschützten Käuferinteresses an, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden. 2. Die gewerbliche Nutzung des Fahrzeugs schließt den Differenzschaden nicht aus.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 30. Juni 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage betreffend eine deliktische Schädigung der Klägerin durch das Inverkehrbringen des in ihren Klageanträgen näher bezeichneten Fahrzeugs abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis zu 50.000 € festgesetzt.

Normenkette:

BGB § 31 ; BGB § 826 ;

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihr im April 2012 von der Beklagten als Neuwagen erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs Mercedes Benz E 350 CDI in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs OM 642 (Euro 5) ausgestattet. Die Abgasrückführung erfolgt unter anderem temperaturgesteuert mittels eines sogenannten Thermofensters. Die Beklagte spielte im Rahmen einer Kundendienstmaßnahme ein Software-Update auf, ohne dass dies auf Vorgaben des Kraftfahrzeug-Bundesamtes (KBA) beruhte.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe sie im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe sie den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Mit der Klage hat sie zuletzt die Rückzahlung des um eine Nutzungsentschädigung reduzierten Kaufpreises nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befinde, die Erstattung beziehungsweise Freistellung von vorprozessualen Rechtsanwaltskosten und die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits im Übrigen verlangt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der von der Klägerin auf deliktsrechtliche Ansprüche beschränkten und vom Senat im Umfang der Anfechtung zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

Die Voraussetzungen des § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB lägen nicht vor; es fehle bereits an einer objektiv sittenwidrigen Schädigungshandlung der Beklagten. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheide mangels Schutzgesetzeigenschaft der Normen aus.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826 , 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen und sittenwidrigen Verhaltens verneint hat. Hieran ist das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags der Klägerin ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung BGH, Urteil vom 25. November 2021 - VII ZR 257/20 Rn. 32 m.w.N., WM 2022, 87 ). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20 Rn. 14, VersR 2021, 1252 ; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 Rn. 19, NJW 2021, 921 ; Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 Rn. 29, NJW 2021, 1814 ; Beschluss vom 14. März 2022 - VIa ZR 51/21 Rn. 21, juris) übergangen hätte.

2. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ).

Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juni 2023 entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seinem Urteil vom 21. März 2023 (Az. C-100/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten Wertungswidersprüche vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ; Urteil vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20 Rn. 22, ZIP 2023, 1903 ). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom 26. Oktober 2023 - VII ZR 306/21 und VII ZR 619/21, juris).

Diesem Anspruch steht, anders als die Beklagte meint, nicht entgegen, dass die Klägerin das Fahrzeug gewerblich nutzt (vgl. schon BGH, Urteile vom 20. November 2023 - VIa ZR 661/21 Rn. 11, juris und VIa ZR 1/21 Rn. 13, juris). Etwas anderes ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des erkennenden Senats vom 6. Dezember 2018 ( VII ZR 285/17 Rn. 25 ff., BGHZ 220, 270 ). Diese betrifft die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der im Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines gewerblich genutzten Fahrzeugs liegende Schaden (§ 252 BGB ) durch eine pauschalierte Nutzungsausfallentschädigung abgegolten werden kann. Um die Modalitäten der schadensrechtlichen Abgeltung fehlender Nutzungsmöglichkeit geht es hier indes nicht. Der auf Ersatz des Differenzschadens gerichtete Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV knüpft an die Enttäuschung des unionsrechtlich geschützten Käuferinteresses an, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21 Rn. 30 ff., BGHZ 237, 245 ).

III.

Danach ist das angefochtene Urteil im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1 , § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO ).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 29. Februar 2024

Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 09.08.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 27 O 67/19
Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 30.06.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 4 U 195/19