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BGH - Entscheidung vom 13.03.2024

XII ZR 89/22

Normen:
ZPO § 544 Abs. 3 S. 1, 2

BGH, Beschluss vom 13.03.2024 - Aktenzeichen XII ZR 89/22

DRsp Nr. 2024/5918

Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde unter Einhaltung der Form und Frist; Auslegung von Prozesserklärungen i.R.e. Anspruchs auf Erfüllung einer mietvertraglich vereinbarten Betriebspflicht

1. Die Umdeutung einer fehlerhaften Prozesshandlung kommt in Betracht, wenn sie wegen ihrer Eindeutigkeit und Klarheit einer berichtigenden Auslegung nicht zugänglich ist, aber den Voraussetzungen einer anderen, den gleichen Zwecken dienenden entspricht, die prozessrechtlich zulässig ist 2. Die Prozesserklärung einer anwaltlich vertretenen Partei kann jedoch nur dann umgedeutet werden, wenn der zulässige Antrag noch innerhalb der dafür geltenden Rechtsmittelfrist gestellt worden ist.

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe in Freiburg vom 19. August 2022 wird auf ihre Kosten verworfen.

Wert: bis 380.000 €

Normenkette:

ZPO § 544 Abs. 3 S. 1, 2;

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erfüllung einer mietvertraglich vereinbarten Betriebspflicht in Anspruch.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts, durch das der Klage im Wesentlichen stattgegeben worden ist, hat das Oberlandesgericht mit ihr am 2. September 2022 zugestelltem Urteil vom 19. August 2022 zurückgewiesen. Mit formlos übersandtem Beschluss vom 19. August 2022 hat das Oberlandesgericht zudem die Gegenvorstellung der Beklagten gegen seinen Beschluss über die Nichtverlängerung der in der mündlichen Verhandlung bewilligten Schriftsatzfrist zurückgewiesen.

Mit beim Bundesgerichtshof am 6. September 2022 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag hat die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde "gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 19. August 2022, zugestellt am 2. September 2022" eingelegt. Dem Schriftsatz war eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses vom 19. August 2022 über die Zurückweisung der Gegenvorstellung beigefügt.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 19. September 2022 ist die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde antragsgemäß verlängert und die Beklagte darauf hingewiesen worden, dass gegen den in der Beschwerdeschrift genannten und in beglaubigter Abschrift vorgelegten Beschluss die Nichtzulassungsbeschwerde nicht statthaft ist und dass, sofern eine andere Entscheidung angegriffen werden sollte, eine Klarstellung binnen der Frist des § 544 Abs. 3 ZPO erforderlich ist. In ihrer am 15. November 2022 eingegangenen Nichtzulassungsbeschwerdebegründung beantragt die Beklagte, die Revision gegen das Urteil vom 19. August 2022 zuzulassen.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, da sie nicht form- und fristgerecht iSd § 544 Abs. 3 ZPO eingelegt worden ist.

1. Nach § 544 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils einzulegen. Die Einlegung erfolgt durch Einreichung einer Beschwerdeschrift, die die Bezeichnung des Berufungsurteils, durch welches die Revision nicht zugelassen worden ist, sowie die Erklärung enthalten muss, dass gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde eingelegt wird (§ 549 Abs. 1 Satz 2 ZPO entsprechend; vgl. Musielak/Voit/Ball ZPO 20. Aufl. § 544 Rn. 11; Stein/Jonas/Jacobs ZPO 23. Aufl. § 544 Rn. 13 mwN).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift vom 6. September 2022 nicht. Es fehlt an der Bezeichnung des Berufungsurteils und der Erklärung, dass gegen dieses Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt wird. Gegen den in der Beschwerdeschrift bezeichneten Beschluss vom 19. August 2022 ist demgegenüber die Nichtzulassungsbeschwerde nicht statthaft (§§ 542 Abs. 1 , 544 Abs. 1 , 543 Abs. 1 ZPO ). Soweit sich aus der Beschwerdebegründung vom 15. November 2022 ergibt, dass sich die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil richten soll, ist diese Klarstellung erst nach Ablauf der Frist aus § 544 Abs. 3 Satz 1 ZPO erfolgt. Denn die Frist ist hier am 4. Oktober 2022 abgelaufen (§ 222 Abs. 2 ZPO ). Eine Berichtigung der Beschwerdeschrift hinsichtlich der angegriffenen Entscheidung war nach Ablauf der Einlegungsfrist jedoch nicht mehr möglich (vgl. BGH Urteil vom 2. November 1977 - VIII ZR 128/76 - MDR 1978, 308 mwN zu § 518 ZPO aF [jetzt: § 519 ZPO]; Musielak/Voit/Ball ZPO 20. Aufl. § 519 Rn. 9 mwN).

2. Die am 6. September 2022 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss kann nicht als Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil ausgelegt oder in eine solche umgedeutet werden.

a) Die Auslegung darf auch im Prozessrecht nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (vgl. Senatsbeschluss vom 2. August 2023 - XII ZB 432/22 - FamRZ 2023, 1733 Rn. 15 mwN; BGH Beschluss vom 27. April 2023 - III ZB 46/22 - juris Rn. 12 mwN). Unzureichende oder fehlerhafte Angaben in einer Rechtsmittelschrift können daher unschädlich sein, wenn - aufgrund erkennbarer Umstände im Einzelfall (vgl. BGH Beschluss vom 14. März 2023 - X ZB 4/22 - MDR 2023, 934 Rn. 19 mwN zu § 519 ZPO und Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 113/00 - NJW 2001, 1070 , 1071 zu § 518 ZPO aF [jetzt: § 519 ZPO]) - vor Ablauf der Einlegungsfrist im Zusammenhang mit den Prozessakten für das Rechtsmittelgericht nicht zweifelhaft bleibt, welche Entscheidung angefochten wird (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 165, 371 = FamRZ 2006, 543 f. mwN zu § 519 ZPO und vom 2. August 2023 - XII ZB 432/22 - FamRZ 2023, 1733 Rn. 10 f. mwN zu § 64 FamFG ).

Dies ist hier indes nicht der Fall. Bis zum Ablauf der Einlegungsfrist ließ sich auch im Zusammenhang mit den Prozessakten nicht zweifelsfrei feststellen, dass die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil eingelegt werden sollte. Hiergegen spricht bereits der eindeutige Wortlaut der Beschwerdeschrift. Soweit an dem in ihr genannten Zustellungsdatum das Berufungsurteil, nicht aber der - formlos übersandte - Beschluss zugestellt worden ist, ergibt sich hieraus allein noch kein hinreichend nach außen hervorgetretener Wille der Beklagten, das Berufungsurteil und nicht den in der Beschwerdeschrift bezeichneten Beschluss angreifen zu wollen. Dies gilt schon deshalb, weil die Beklagte mit der Beschwerdeschrift gemäß § 544 Abs. 3 Satz 2 ZPO eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses vom 19. August 2022 vorgelegt hat.

b) Die Umdeutung einer fehlerhaften Prozesshandlung kommt in Betracht, wenn sie wegen ihrer Eindeutigkeit und Klarheit einer berichtigenden Auslegung nicht zugänglich ist, aber den Voraussetzungen einer anderen, den gleichen Zwecken dienenden entspricht, die prozessrechtlich zulässig ist. Die Umdeutung darf erfolgen, wenn ein entsprechender Parteiwille genügend deutlich erkennbar ist und kein schutzwürdiges Interesse des Gegners entgegensteht (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Juni 2018 - XII ZB 573/17 - FamRZ 2018, 1343 Rn. 18 mwN). Die Prozesserklärung einer anwaltlich vertretenen Partei kann jedoch nur dann umgedeutet werden, wenn der zulässige Antrag noch innerhalb der dafür geltenden Rechtsmittelfrist gestellt worden ist (vgl. BGH Beschlüsse vom 31. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 45/17 - juris Rn. 9 mwN und vom 23. November 2015 - NotZ (Brfg) 3/15 - NJW-RR 2016, 757 Rn. 11 mwN).

Nach diesen Maßstäben ist eine Umdeutung wegen der gebotenen Rechtsmittelklarheit rechtlich nicht möglich. Denn die anwaltlich vertretene Beklagte hat - trotz gerichtlichen Hinweises auf die Unstatthaftigkeit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde - nicht binnen der Frist aus § 544 Abs. 3 Satz 1 ZPO einen zulässigen Antrag gestellt bzw. klargestellt, dass ihre - unstatthafte - Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss als - statthafte - Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil behandelt werden soll.

3. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Nichtzulassungsbeschwerde darüber hinaus auch unbegründet ist, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO ). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

Vorinstanz: LG Offenburg, vom 05.01.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 3 O 352/16
Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 19.08.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 13 U 38/18