Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 20.01.2023

3 B 31.22

Normen:
TierSchG § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2

BVerwG, Beschluss vom 20.01.2023 - Aktenzeichen 3 B 31.22

DRsp Nr. 2023/3225

Tierschutzrechtliche Anordnung betreffend die Untersagung des Haltens und Betreuens landwirtschaftlicher Nutztiere

Der Umfang der Aufklärungspflicht richtet sich nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Gerichts.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Juli 2022 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Normenkette:

TierSchG § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2;

Gründe

I

Die Beteiligten streiten im vorliegenden Beschwerdeverfahren noch über die Wiedergestattung der Tierhaltung.

Mit Bescheid vom 8. September 2003 erließ der Beklagte eine für sofort vollziehbar erklärte tierschutzrechtliche Anordnung, mit der dem Kläger unter anderem das Halten und Betreuen landwirtschaftlicher Nutztiere untersagt wurde. Das Beschwerdeverfahren gegen die unter Auflagen erfolgte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs durch das Verwaltungsgericht erklärten die Beteiligten für erledigt. Der Verwaltungsgerichtshof stellte das Verfahren ein und erklärte den Beschluss des Verwaltungsgerichts für wirkungslos. Der Widerspruch gegen das Verbot blieb unbeschieden. Im Februar 2007 begehrte der Kläger die Aufhebung des Tierhaltungsverbots. Im Oktober 2010 beantragte er, das Verfahren wieder aufzugreifen und das Tierhaltungsverbot aufzuheben. Der Beklagte teilte dem Kläger mit, dass er seinen Antrag als Antrag auf Wiedergestattung der Haltung und Betreuung von Tieren verstehe und lehnte ihn mit Bescheid vom 27. Januar 2011 ab. Gemäß § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 TierSchG sei das Halten und Betreuen von Tieren wieder zu gestatten, wenn der Grund für die Annahme weiterer Zuwiderhandlungen entfallen sei. Dies habe der Kläger nicht nachgewiesen. Der Beklagte wies den hiergegen gerichteten Widerspruch mit Bescheid vom 3. August 2011 zurück. Das Verwaltungsgericht hat der hierauf erhobenen Klage - ohne mündliche Verhandlung - mit Urteil vom 19. Dezember 2012 stattgegeben und das Tierhaltungsverbot im Bescheid vom 8. September 2003 sowie den Bescheid vom 27. Januar 2011 und den Widerspruchsbescheid vom 3. August 2011 aufgehoben. Da das 2003 verfügte Tierhaltungsverbot aufgrund des unbeschiedenen Widerspruchs nicht bestandskräftig geworden sei, sei die Klage als Untätigkeitsklage zu verstehen. Tatsachen, die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Annahme weiterer tierschutzrechtlicher Zuwiderhandlungen rechtfertigen würden, lägen nicht vor. Der Verwaltungsgerichtshof hat der Berufung des Beklagten im Verfahren nach § 130a VwGO durch Beschluss vom 27. März 2020 stattgegeben und die Klage abgewiesen. Entgegen dem Urteil des Verwaltungsgerichts sei die Klage gegen das Tierhaltungsverbot im Bescheid vom 8. September 2003 unzulässig. Das Klagerecht sei verwirkt. Für das Begehren, den Bescheid vom 27. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. August 2011 aufzuheben, fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Richtige Klageart sei die Verpflichtungsklage. In dem Zulassungsbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs sei ausgeführt worden, es sei nicht erkennbar, inwiefern die Aufhebung dieser Bescheide einen Vorteil mit sich brächte. Prozessuale Konsequenzen habe der Kläger daraus nicht gezogen, weshalb er an der in erster Instanz verfolgten Anfechtungsklage festzuhalten sei.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 27. Juli 2021 den Beschluss des Berufungsgerichts vom 27. März 2020 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Dessen Annahme, der Kläger habe sich auf eine Anfechtung der Ablehnung der Wiedergestattung des Haltens und Betreuens von Nutztieren (§ 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 TierSchG ) beschränkt, werde den Anforderungen des § 88 VwGO an die Ermittlung des Rechtsschutzbegehrens nicht gerecht. Entsprechend dem klaren Ziel des Klägers, das Tierhaltungsverbot zu beseitigen, nach dem Verfahrensgang und den vor dem Verwaltungsgericht schriftlich formulierten Anträgen erfasse sein Klagebegehren ersichtlich auch das Verpflichtungsbegehren, das Halten und Betreuen von Nutztieren wieder zu gestatten. Soweit der Kläger im Übrigen gerügt habe, der Verwaltungsgerichtshof habe verfahrensfehlerhaft die Klage gegen das Tierhaltungsverbot aus dem Bescheid vom 8. September 2003 als verwirkt angesehen, sei ein Verfahrensfehler nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ).

Der Verwaltungsgerichtshof hat das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2012 mit Beschluss vom 19. Juli 2022 abgeändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, nach seiner Entscheidung vom 27. März 2020 und der Entscheidung des erkennenden Senats vom 27. Juli 2021 sei im Berufungsverfahren nur noch über den Anspruch des Klägers auf Wiedergestattung der Haltung und Betreuung von Nutztieren zu entscheiden. Das entspreche dem nunmehr vom Kläger gestellten Antrag. Auch hinsichtlich dieses Begehrens sei die Berufung des Beklagten begründet. Der Kläger könne die Wiedergestattung gemäß § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 TierSchG nicht beanspruchen, weil nicht ersichtlich sei, dass die Gründe für die Annahme weiterer Zuwiderhandlungen entfallen seien. Der Verwaltungsgerichtshof habe dabei die Feststellungen des Beklagten im Verbotsbescheid vom 8. September 2003 zugrunde zu legen, weil dieser Bescheid bestandskräftig geworden sei.Nach den Feststellungen des Beklagten habe der Kläger den von ihm gehaltenen Schweinen über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg erhebliche Leiden zugefügt, indem er grundlegenden tierschutzrechtlichen Anforderungen nicht gerecht geworden sei. Wegen der ihn treffenden Beweislast hätte es dem Kläger oblegen, im Einzelnen darzulegen und zu beweisen, dass bei ihm ein individueller Lernprozess stattgefunden habe und eine Läuterung in seinem Verhalten gegenüber potentiell zu haltenden Tieren eingetreten sei. Dies habe der Kläger nicht einmal ansatzweise vermocht. Aus seinem Schriftsatz vom 23. Mai 2022 ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine günstige Prognose, denn er beschäftige sich mit keinem Wort mit den Gründen für das gegen ihn verhängte Verbot. Allein aus dem Zeitablauf könne sich kein Anspruch auf Wiedergestattung ergeben. Auch in seinem Schriftsatz vom 21. Oktober 2021 habe er sich darauf beschränkt darzustellen, welche Vorwürfe ihm strafrechtlich gemacht worden seien. Die Gründe für das tierschutzrechtliche Haltungsverbot seien aber hiervon unabhängig.

II

Die allein auf den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor.

1. Der Kläger trägt vor, das Berufungsgericht habe den Sachverhalt ungenügend aufgeklärt, weil es die Strafakte des Amtsgerichts X und das gegen ihn ergangene Strafurteil aus dem Jahr 2006 nicht beigezogen und verwertet habe.

Durch die Nichtheranziehung der vom Kläger genannten Beweismittel hat das Berufungsgericht nicht gegen seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen bzw. ist ein solcher Verstoß nicht in der erforderlichen Weise dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ). Der Umfang der Aufklärungspflicht richtet sich nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Gerichts, auch wenn dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119> m. w. N.). Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Untersagungsverfügung vom 8. September 2003 bestandskräftig geworden und bei der Wiedergestattungsentscheidung gemäß § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 TierSchG für die Frage, welche Zuwiderhandlungen in der Vergangenheit vorgelegen und zur Haltungsuntersagung geführt haben, auf die Feststellung in der bestandskräftigen Untersagungsverfügung abzustellen sei. Ausgehend von diesem materiell-rechtlichen Standpunkt kam es aus Sicht des Verwaltungsgerichtshofs auf Erkenntnisse aus einer Verwertung der Strafakte und des gegen den Kläger im Jahr 2006 ergangenen Urteils für das Wiedergestattungsverfahren nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 TierSchG nicht an.

Dass sich aus der Strafakte Erkenntnisse zu einer Läuterung in seinem Verhalten gegenüber potentiell zu haltenden Tieren ergeben könnten, hatte der Kläger mit seinem Antrag vom 30. Dezember 2013 auf Beiziehung der Strafakte nicht geltend gemacht. Inwiefern sich dies dem Verwaltungsgerichtshof hätte aufdrängen müssen, hat er in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht dargelegt.

2. Der Kläger beanstandet ferner, der Verwaltungsgerichtshof habe seinen Sachvortrag - insbesondere im Schriftsatz vom 17. November 2012 - nicht zur Kenntnis genommen. Viele von dem Beklagten gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Tierhalteverbotsverfahren seien freie Erfindung der Mitarbeiter des Beklagten gewesen.

Der Kläger rügt damit der Sache nach eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO ). Dieser Anspruch verbürgt als "prozessuales Urrecht" den Beteiligten eines Gerichtsverfahrens, vor Erlass einer Entscheidung, die ihre Rechte betrifft, zu Wort kommen und mit ihren Ausführungen und Anträgen Einfluss auf das Verfahren nehmen zu können (vgl. BVerfG, Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 <408 f.>). Für die Entscheidung erhebliche Ausführungen hat das Gericht zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. August 2018 - 3 BN 1.18 - juris Rn. 2).

Ein Verstoß gegen diesen Verfahrensgrundsatz liegt nicht vor, denn das Vorbringen des Klägers war nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht entscheidungserheblich. Die Angriffe des Klägers gegen die Feststellungen im Bescheid des Beklagten über das Haltungsverbot vom 8. September 2003 gingen ins Leere, weil dieser Bescheid nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs in Bestandskraft erwachsen ist (vgl. o. 1.). Insoweit hat der Kläger einen Grund für die Zulassung der Revision nicht geltend gemacht. Zweifel an der Unanfechtbarkeit des Haltungsverbots sind auch nicht ersichtlich; der Kläger hat an seinem Antrag auf Aufhebung des Verbots nicht mehr festgehalten. Nach dem maßgeblichen Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichtshofs waren die dortigen Ausführungen zu den tierschutzrechtlichen Verstößen des Klägers somit der Bewertung, ob ihm die Tierhaltung wieder zu gestatten sei, zugrunde zu legen.

3. Der Kläger rügt schließlich, der Verwaltungsgerichtshof sei verpflichtet gewesen, dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu seiner Ansicht zu geben, die Vorwürfe aus dem Jahr 2003 stünden noch im Raum. Das sei für den Kläger völlig überraschend gekommen.

Die damit sinngemäß gerügte weitere Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO ) liegt nicht vor. Für den Kläger war es bereits angesichts des Wortlauts der Norm erkennbar, dass es für die Wiedergestattungsentscheidung des § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 TierSchG darauf ankommt, ob mit weiteren Zuwiderhandlungen zu rechnen ist. Dass das Berufungsgericht bei der Beantwortung dieser Frage auch zu für ihn ungünstigen Bewertungen kommen könnte, entsprach dem allgemeinen Prozessrisiko, mit dem der Kläger wie jeder Verfahrensbeteiligte rechnen musste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO ; die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: VGH Hessen, vom 19.07.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 5 A 1776/21