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BGH - Entscheidung vom 11.01.2023

XII ZB 106/21

Normen:
BGB § 1814 Abs. 3 S. 2 Nr. 1
BGB § 1825
BGB § 1814 Abs. 3 S. 2 Nr. 1
BGB § 1825

Fundstellen:
FamRB 2023, 6
FamRZ 2023, 637
FuR 2023, 3
MDR 2023, 441
NJW-RR 2023, 507
ZEV 2023, 406
ZEV 2023, 6

BGH, Beschluss vom 11.01.2023 - Aktenzeichen XII ZB 106/21

DRsp Nr. 2023/3020

Verlängerung einer Betreuung und eines bestehenden Einwilligungsvorbehalts; Erforderlichkeit der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts zum effektiven Schutz des Betroffenen

Ist zum effektiven Schutz des Betroffenen die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts erforderlich, ist eine Vorsorgevollmacht nicht ausreichend.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 15. Februar 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei.

Eine Festsetzung des Beschwerdewerts (§ 36 Abs. 3 GNotKG ) ist nicht veranlasst.

Normenkette:

BGB § 1814 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ; BGB § 1825 ;

Gründe

I.

Das Verfahren betrifft die Verlängerung einer Betreuung und eines bestehenden Einwilligungsvorbehalts.

Der heute 85jährige Betroffene leidet an einer leichten senilen Demenz. Nachdem er mehrfach über erhebliche Geldbeträge verfügt hatte und dabei Betrügern zum Opfer gefallen war, wurde seine Ehefrau (Beteiligte zu 1) für ihn im Dezember 2019 zur Betreuerin im Bereich der Vermögenssorge bestellt und insoweit ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet.

Im vorliegenden Verfahren sind die Betreuung und der Einwilligungsvorbehalt vom Amtsgericht verlängert worden. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen, der die Betreuung ablehnt, zurückgewiesen. Dagegen richtet sich dessen Rechtsbeschwerde, mit welcher er die Aufhebung der Betreuung anstrebt.

II.

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das Beschwerdegericht von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abgesehen hat. Da die Bestellung des Verfahrenspflegers erst in zweiter Instanz erfolgt ist, hätte das Beschwerdegericht den Betroffenen erneut anhören und dem Verfahrenspfleger Gelegenheit zur Teilnahme an der Anhörung geben müssen.

a) Nach § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflichten aus § 278 Abs. 1 FamFG bestehen nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Senats voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (Senatsbeschluss vom 6. Juli 2022 - XII ZB 551/21 - MDR 2022, 1433 Rn. 4 mwN).

aa) Vorliegend hätte das Landgericht den Betroffenen erneut anhören müssen, weil die Anhörung durch das Amtsgericht verfahrensfehlerhaft erfolgt ist, denn es hat dem Betroffenen keinen Verfahrenspfleger bestellt und ihn dementsprechend ohne Verfahrenspfleger angehört. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Betreuungssache gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll - wenn es im Hinblick auf die einzurichtende Betreuung erforderlich ist - nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und im Verfahren begleitet werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Das Betreuungsgericht muss grundsätzlich durch die rechtzeitige Bestellung eines Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG . Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers in der Regel erforderlich, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt, wobei es hierfür genügt, wenn die Betreuung auf einen Aufgabenkreis erstreckt wird, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfasst. Ebenso ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers in der Regel erforderlich, wenn die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für das gesamte Vermögen in Betracht kommt (Senatsbeschluss vom 6. Mai 2020 - XII ZB 504/19 - Rn. 11 f. mwN; vgl. nunmehr § 276 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 FamFG ).

Diese Grundsätze gelten nach § 295 FamFG auch im Verfahren zur Verlängerung einer Betreuung oder eines Einwilligungsvorbehalts.

bb) Gemessen hieran hätte das Amtsgericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger bestellen und ihm Gelegenheit geben müssen, an der Anhörung des Betroffenen teilzunehmen. Zwar hat das Landgericht die Verfahrenspflegerbestellung nachgeholt. Da es aber die Anhörung nicht wiederholt hat und für den Verfahrenspfleger damit keine Möglichkeit zur Teilnahme an der Anhörung bestand, ist auch das landgerichtliche Verfahren fehlerhaft.

2. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Behandlung, insbesondere zur Durchführung einer verfahrensordnungsgemäßen Anhörung des Betroffenen, an das Landgericht zurückzuverweisen.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die weiteren von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rügen unbegründet sind. Die Rechtsbeschwerde beanstandet, die Notwendigkeit der Betreuung sei wegen der vom Betroffenen seiner Ehefrau erteilten Vorsorgevollmacht vom Landgericht nicht hinreichend begründet worden. Das trifft nicht zu. Die Notwendigkeit eines Einwilligungsvorbehalts und der auf die Vermögenssorge bezogenen Betreuerbestellung (vgl. Senatsbeschluss vom 18. November 2020 - XII ZB 179/20 - FamRZ 2021, 303 Rn. 13) ergibt sich schon daraus, dass die Vollmacht zur Verhinderung weiterer schädigender Vermögensdispositionen des Betroffenen, wozu dieser nach den Feststellungen entschlossen ist, nicht ausreicht, weil die Vollmacht als solche den Betroffenen nicht an eigenen Geschäftsabschlüssen hindert.

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Vorinstanz: AG Offenbach am Main, vom 19.11.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 14 XVII 980/19
Vorinstanz: LG Darmstadt, vom 15.02.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 5 T 734/20
Fundstellen
FamRB 2023, 6
FamRZ 2023, 637
FuR 2023, 3
MDR 2023, 441
NJW-RR 2023, 507
ZEV 2023, 406
ZEV 2023, 6