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BGH - Entscheidung vom 12.09.2023

KVZ 73/20

Normen:
GWB § 32b
GWB § 75
GWB § 70 Abs. 2 S. 4

BGH, Beschluss vom 12.09.2023 - Aktenzeichen KVZ 73/20

DRsp Nr. 2023/14374

Unzulässigkeit der Revision in einem kartellrechtlichen Verfahren wegen Nichtergreifen der Möglichkeit im Wege der Anfechtungsbeschwerde gegen eine von der Kartellbehörde im Kartellverwaltungsverfahren erlassene Verfügung vorzugehen

1. Bei kartellrechtlichen Anfechtungsbeschwerden ist eine materielle Beschwer als besondere Form des Rechtsschutzinteresses erforderlich, die vorliegt, wenn der Beschwerdeführer durch die angefochtene Verfügung in seinen wirtschaftlichen Interessen unmittelbar und individuell betroffen ist.2. Die Anfechtung einer kartellbehördlichen Entscheidung nach § 32b GWB durch Dritte kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn und soweit der Dritte geltend macht, durch die Entscheidung der Kartellbehörde in seinen Rechten verletzt oder in seinen wettbewerblichen Interessen unmittelbar und individuell nachteilig betroffen zu sein.

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. August 2020 wird auf Kosten der Beschwerdeführerin zurückgewiesen, die auch die notwendigen Auslagen des Bundeskartellamts zu tragen hat.

Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf 2,3 Mio. € festgesetzt.

Normenkette:

GWB § 32b; GWB § 75 ; GWB § 70 Abs. 2 S. 4;

Gründe

I. Die Betroffenen zu 1 (im Folgenden: A) und zu 2 (im Folgenden: B) beabsichtigen, im Rahmen eines Gemeinschaftsunternehmens beim Bau und Betrieb eines Glasfasernetzes im Versorgungsgebiet der B zusammenzuarbeiten.

Die Beschwerdeführerin ist im Versorgungsgebiet der B neben dieser der wesentliche Wettbewerber der A beim Angebot von Breitbandanschlüssen für Endkunden.

Im Hinblick auf die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens hat das Bundeskartellamt ein Kartellverwaltungsverfahren gemäß § 32 GWB wegen einer möglichen Zuwiderhandlung gegen das Kartellverbot des § 1 GWB und ein Fusionskontrollverfahren durchgeführt. Im Kartellverwaltungsverfahren haben A und B Verpflichtungszusagen abgegeben. Mit Beschluss vom 4. Dezember 2019, berichtigt mit Beschluss vom 6. Dezember 2019 (im Folgenden: Verfügung vom 4. Dezember 2019) erklärte das Bundeskartellamt die Verpflichtungszusagen für bindend und stellte das Kartellverwaltungsverfahren ein. Nachfolgend gab es unter Berücksichtigung der Verpflichtungszusagen die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens frei.

Das Beschwerdegericht hat die gegen die Verfügung vom 4. Dezember 2019 gerichtete Beschwerde der Beschwerdeführerin als unzulässig verworfen. Mit der Beschwerde begehrt die Beschwerdeführerin die Zulassung der Rechtsbeschwerde.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Weder ist eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (§ 77 Abs. 2 GWB , vormals § 74 Abs. 2 GWB ).

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Beschwerde sei unzulässig, da die Beschwerdeführerin durch die Verfügung vom 4. Dezember 2019 nicht materiell beschwert sei. Eine materielle Beschwer erfordere, dass die Beschwerdeführerin darlege, durch die angefochtene Entscheidung der Kartellbehörde in ihren subjektiven Rechten verletzt oder zumindest in ihren wirtschaftlichen Interessen unmittelbar und individuell nachteilig berührt zu sein. Daran fehle es.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde legt nicht dar, dass die Entscheidung des Beschwerdegerichts eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen Beigeladene eines Fusionskontrollverfahrens und eines parallel geführten Kartellverwaltungsverfahrens, deren Gegenstand jeweils dasselbe kooperative Gemeinschaftsunternehmen ist, im Wege der Anfechtungsbeschwerde gegen eine von der Kartellbehörde im Kartellverwaltungsverfahren erlassene Verfügung gemäß § 32b GWB vorgehen können, wenn durch diese die Freigabevoraussetzungen für das Fusionskontrollverfahren geschaffen werden, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist nicht klärungsbedürftig.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschlüsse vom 15. Mai 2012 - KVR 34/11, juris Rn. 14; vom 12. Dezember 2017 - KVZ 41/17, WRP 2018, 337 Rn. 9 - Vertriebssystem 1.0; vom 15. Dezember 2020 - KVZ 90/20, WuW 2021, 127 Rn. 15 - Facebook II).

Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten können sich daraus ergeben, dass die Rechtsfrage vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird oder dass in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden (BGH, Beschlüsse vom 8. November 2011 - KVZ 14/11, AG 2013, 31 Rn. 4; vom 21. September 2021 - EnVZ 48/20, RdE 2022, 72 Rn. 7, jeweils mwN).

b) Dies zugrunde gelegt, ist die von der Beschwerde aufgeworfene Frage nicht klärungsbedürftig, weil sie geklärt ist.

aa) Wie auch von der Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogen wird, ist geklärt, dass bei kartellrechtlichen Anfechtungsbeschwerden eine materielle Beschwer als besondere Form des Rechtsschutzinteresses erforderlich ist, die vorliegt, wenn der Beschwerdeführer durch die angefochtene Verfügung in seinen wirtschaftlichen Interessen unmittelbar und individuell betroffen ist (BGH, Beschlüsse vom 30. März 2011 - KVZ 100/10, WuW/E DE-R 3284 Rn. 4 - Presse-Grossisten; vom 9. Juli 2019 - EnVR 5/18, RdE 2019, 504 Rn. 13 - Lichtblick, jeweils mwN).

bb) Dementsprechend kommt nach einhelliger Meinung in der Literatur eine Anfechtung einer kartellbehördlichen Entscheidung nach § 32b GWB durch Dritte im Grundsatz nur in Betracht, wenn und soweit der Dritte geltend macht, durch die Entscheidung der Kartellbehörde in seinen Rechten verletzt oder in seinen wettbewerblichen Interessen unmittelbar und individuell nachteilig betroffen zu sein (Bach in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 32b GWB Rn. 37 f.; Bechtold/Bosch, GWB , 10. Aufl., § 32b Rn. 8; Bornkamm/Tolkmitt in Bunte, Kartellrecht, 14. Aufl., § 32b GWB Rn. 40 bis 42; Jaeger in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 105. Lieferung, § 32b GWB Rn. 38; Mäsch in Berg/Mäsch, Kartellrecht, 4. Aufl., § 32b GWB Rn. 30; Otto in LMRKM, Kartellrecht, 4. Aufl., § 32b GWB Rn. 21; Podszun in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, 1. Aufl., § 32b GWB Rn. 67; Spieker in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., § 32b GWB Rn. 29 f.; kritisch mit der Forderung nach Reformen de lege ferenda: Podszun, ZWeR 2012, 48, 67). Entsprechend hat das OLG Düsseldorf (NZKart 2014, 514 mwN) entschieden (vgl. zu Art. 263 Abs. 4 AEUV EuG, Urteil vom 11. Juli 2007 - T-170/06, WuW/E EU-R 1283 Rn. 38 - Alrosa; zur Drittanfechtung im Beihilferecht EuG, Beschluss vom 26. September 2016 - T-382/15, ZUR 2017, 223 Rn. 33 bis 40 - Greenpeace Energy; EuGH, Beschluss vom 10. Oktober 2017 - C-640/16 P, juris Rn. 36 bis 40 - Greenpeace Energy).

cc) Für die Entwicklung besonderer Grundsätze zur Zulässigkeit der Anfechtungsbeschwerde eines Dritten gegen eine gemäß § 32b GWB erlassene Verfügung besteht jedenfalls in dem Fall, dass ein kooperatives Gemeinschaftsunternehmen sowohl Gegenstand des Kartellverwaltungsverfahrens als auch eines parallel geführten Fusionskontrollverfahrens ist, und durch die Verfügung gemäß § 32b GWB die Freigabevoraussetzungen für das Fusionskontrollverfahren geschaffen werden sollen, kein Anlass. Eine Rechtsschutzlücke besteht nicht.

Ist der Dritte durch die Freigabe eines Zusammenschlusses in seiner unternehmerischen und wettbewerblichen Betätigung auf dem relevanten Markt nachteilig betroffen, liegt die erforderliche materielle Beschwer für die Anfechtung der Freigabeentscheidung vor (BGH, WuW/E DE-R 3284 Rn. 4 mwN - Presse-Grossisten). Mit der Anfechtungsbeschwerde kann dann überprüft werden, ob Verpflichtungszusagen überhaupt im Fusionskontrollverfahren zu berücksichtigen sind und ob sie gegebenenfalls im Einzelfall ausreichen, um die wettbewerbsschädlichen Wirkungen des Zusammenschlussvorhabens auf ein kartellrechtlich unbedenkliches Maß zu reduzieren.

3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet, das Beschwerdegericht habe seine Aufklärungspflicht gemäß §§ 75 , 70 Abs. 2 Satz 4 GWB (§§ 70 , 72 Abs. 2 Satz 4 GWB in der am 19. August 2020 geltenden Fassung) verletzt, indem es in Bezug auf die Verfahrensakte des Bundeskartellamts, insbesondere den mit der Bundesnetzagentur geführten Schriftverkehr, den maßgeblichen Sachverhalt nicht (weiter) aufgeklärt habe (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Februar 2020 - KVZ 16/09, WRP 2010, 658 [juris Rn. 17 bis 19] - Kosmetikartikel), greift das nicht durch. Das Beschwerdegericht hat zutreffend angenommen, dass es für die Frage, ob die Beschwerdeführerin durch die hier angegriffene Entscheidung materiell beschwert ist, auf diesen Inhalt der Akten nicht ankommt. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Gründe für die gewünschte Akteneinsicht - wie etwa eine Aufklärung der politischen Dimension des Verfahrens, der Wechselbeziehungen zwischen Regulierungsverfahren und Kartellamtsverfahren sowie die behauptete Widersprüchlichkeit der Prognose des Bundeskartellamts - sind sämtlich von vornherein nicht geeignet, eine materielle Beschwer der Beschwerdeführerin zu begründen. Dass das Beschwerdegericht im Parallelverfahren weitere Aufklärungen durchgeführt hat, war aus seiner Sicht im Hinblick auf die dort inmitten stehenden Rechtsfragen erforderlich. Rückschlüsse auf das hiesige Verfahren lassen sich wegen der hier maßgeblichen Rechtsfragen daraus entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht ziehen.

4. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 GWB ) liegt nicht vor, da die Beschwerde, ohne dass insoweit Zulassungsgründe durchgreifen, als unzulässig zu verwerfen war.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 71 Satz 2 GWB , die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GKG und § 3 ZPO .

Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 26.08.2020 - Vorinstanzaktenzeichen VI-Kart 2/20 (V)