BGH, Beschluss vom 01.03.2023 - Aktenzeichen XII ZB 294/22
Persönliche Anhörung eines Betroffenen durch das Gericht vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts
Hat sich der Betroffene in der Anhörung vor dem Amtsgericht mit der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts einverstanden erklärt, dann aber gegen den amtsgerichtlichen Beschluss Beschwerde eingelegt und damit zu erkennen gegeben, dass er mit dem Einwilligungsvorbehalt nicht (mehr) einverstanden ist, hat das Landgericht den Betroffenen erneut anzuhören (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 4. Mai 2022 - XII ZB 50/22 - FamRZ 2022, 1224 ).
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Ravensburg vom 22. Juni 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Eine Festsetzung des Beschwerdewerts (§ 36 Abs. 3 GNotKG ) ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Der Betroffene wendet sich gegen die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts.
Er leidet an einer paranoiden Schizophrenie und organisch wahnhaften Störungen. Auf Antrag seines Betreuers hat das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen einen Einwilligungsvorbehalt für die Vermögenssorge angeordnet. Das Landgericht hat ohne Anhörung des Betroffenen dessen Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Beschwerdeentscheidung verfahrensfehlerhaft ergangen ist. Das Beschwerdegericht hätte den Betroffenen erneut anhören müssen.
a) Nach § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch unter anderem voraus, dass die Anhörung bereits durch das Gericht des ersten Rechtszugs ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung vorgetragene Tatsachen oder eine Änderung der Sachlage erfordern nur dann keine erneute Anhörung, wenn diese Tatsachen oder die Änderung offensichtlich für die Entscheidung unerheblich sind (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Mai 2022 - XII ZB 50/22 - FamRZ 2022, 1224 Rn. 4 mwN).
Eine geänderte Tatsachengrundlage, die eine erneute Anhörung erforderlich werden lässt, ist insbesondere gegeben, wenn der Betroffene durch die Einlegung der Beschwerde zu erkennen gibt, dass er an seinem in der amtsgerichtlichen Anhörung erklärten Einverständnis mit einer betreuungsrechtlichen Maßnahme nicht mehr festhält (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Mai 2022 - XII ZB 50/22 - FamRZ 2022, 1224 Rn. 4 mwN). Denn die Frage, ob der Betroffene mit der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts einverstanden ist, stellt für die Entscheidung regelmäßig einen wesentlichen Gesichtspunkt dar (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Juli 2019 - XII ZB 108/19 - FamRZ 2019, 1736 Rn. 7), da gegen den freien Willen des Betroffenen gemäß § 1814 Abs. 2 BGB (bis 31. Dezember 2022: § 1896 Abs. 1a BGB ) ein Betreuer nicht bestellt werden darf. Auch ein Einwilligungsvorbehalt darf gemäß § 1825 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gegen den freien Willen des Betroffenen angeordnet werden (vgl. auch Senatsbeschluss vom 17. Mai 2017 - XII ZB 495/16 - FamRZ 2017, 1341 Rn. 11). Das Beschwerdegericht muss sich dann im Rechtsmittelverfahren mit der Frage befassen, ob der Betroffene zur Bildung eines freien Willens in der Lage ist. In diesem Fall sind durch eine erneute persönliche Anhörung regelmäßig zusätzliche Erkenntnisse im Sinne des § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu erwarten (Senatsbeschluss vom 4. Mai 2022 - XII ZB 50/22 - FamRZ 2022, 1224 Rn. 7).
b) Gemessen hieran hätte das Beschwerdegericht den Betroffenen erneut anhören müssen. Der Betroffene hatte während der Anhörung durch das Amtsgericht der Anordnung des Einwilligungsvorbehalts ausdrücklich zugestimmt. Mit der Einlegung der Beschwerde hat er jedoch zu erkennen gegeben, dass er mit dieser Maßnahme nicht (mehr) einverstanden ist.
2. Die Beschwerdeentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 5 , Abs. 6 Satz 2 FamFG ). Dieses wird sich nunmehr mit dem Vorliegen eines freien Willens beim Betroffenen im Sinne des § 1825 Abs. 1 Satz 2 BGB zu befassen haben.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG ).