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BGH - Entscheidung vom 03.05.2023

XII ZB 152/22

Normen:
FamFG § 137 Abs. 1
FamFG § 137 Abs. 2
FamFG § 142
FamFG § 137 Abs. 1
FamFG § 137 Abs. 2
FamFG § 142
FamFG § 137 Abs. 1
FamFG § 137 Abs. 2
FamFG § 142

Fundstellen:
FamRB 2023, 309
NJW 2023, 2201

BGH, Beschluss vom 03.05.2023 - Aktenzeichen XII ZB 152/22

DRsp Nr. 2023/7784

Notwendige interessengerechte Auslegung eines von einem Ehegatten während des Scheidungsverfahrens anhängig gemachten Antrags auf Abänderung eines Titels über Kindesunterhalt; Bedingte Stellung dieses Antrags durch die Scheidung

Zur notwendigen interessengerechten Auslegung eines von einem Ehegatten während des Scheidungsverfahrens anhängig gemachten Antrags auf Abänderung eines Titels über Kindesunterhalt im Hinblick auf die (hier verneinte) Frage, ob dieser nur durch die Scheidung bedingt gestellt werden soll.

Zwar ist auch der Kindesunterhalt nach § 137 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FamFG - auch als Abänderungsantrag - taugliche Folgesache des Scheidungsverfahrens, wenn eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist und die Familiensache spätestens zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug in der Scheidungssache von einem Ehegatten anhängig gemacht wird. Indessen bedarf der insofern gestellte Abänderungsantrag zum Kindesunterhalt der Auslegung. Denn der Anspruch auf Kindesunterhalt wird nicht durch die Scheidung beeinflusst und kann sowohl als Folgesache als auch - wie regelmäßig - im Wege des isolierten Verfahrens geltend gemacht werden. Dabei legt eine interessengerechte Auslegung nahe, dass der Anspruch im Zweifel im isolierten Verfahren geltend gemacht werden soll.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Senats für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 4. April 2022 wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.

Normenkette:

FamFG § 137 Abs. 1 ; FamFG § 137 Abs. 2 ; FamFG § 142 ;

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die vom Amtsgericht ausgesprochene Scheidung ihrer Ehe.

Sie schlossen im Mai 1999 die Ehe, aus der eine inzwischen volljährige Tochter und der im Mai 2006 geborene Sohn T. hervorgegangen sind. Sie trennten sich im September 2016. Der Sohn blieb in der Obhut der Antragsgegnerin, die mit ihm das im hälftigen Miteigentum der Beteiligten stehende Hausgrundstück bewohnt.

Der Antragsteller verpflichtete sich im April 2017 durch Jugendamtsurkunde zur Zahlung von Kindesunterhalt für T. in Höhe von 105 % des Mindestunterhalts ab Februar 2017. Auf einen Abänderungsantrag der Antragsgegnerin schlossen die Beteiligten im Oktober 2019 einen Vergleich, in dem der Kindesunterhalt für die Zeit ab Juli 2017 auf 110 % des Mindestunterhalts erhöht wurde. Ein weiterer Unterhaltsantrag der Antragsgegnerin richtet sich auf Zahlung von Kindesunterhalt für die Zeit von Oktober 2016 bis Juni 2017.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Antragsteller die Scheidung der Ehe. Der Scheidungsantrag ist der Antragsgegnerin im August 2017 zugestellt worden.

Mit Antrag vom 5. Oktober 2021 verfolgt die Antragsgegnerin gestützt auf einen Arbeitgeberwechsel des Antragstellers zum 1. September 2021 die Abänderung des über den Kindesunterhalt geschlossenen Vergleichs vom Oktober 2019 im Wege des Stufenverfahrens. Der Antrag ist als "Stufenantrag auf Auskunft zum Kindesunterhalt und auf Abänderung eines Unterhaltstitels im isolierten Verfahren" überschrieben. Der in letzter Stufe angekündigte Abänderungsund Zahlungsantrag richtet sich auf "die Zeit ab Rechtskraft der Ehescheidung". Das Verfahren ist insoweit vom Amtsgericht als isoliertes Verfahren geführt worden. Die Antragsgegnerin hat dort die Aussetzung des Verfahrens wegen vom Antragsteller in einem weiteren Verfahren geltend gemachter Nutzungsentschädigung beantragt.

Mit am 25. November 2021 verkündetem Beschluss hat das Amtsgericht - nach Aussetzung des Verfahrens in der Folgesache Versorgungsausgleich und der Abtrennung vom Scheidungsverbund - die Ehe der Beteiligten geschieden.

Das Oberlandesgericht hat die gegen den Scheidungsbeschluss eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich deren zugelassene Rechtsbeschwerde, mit welcher sie die Aufhebung des Scheidungsbeschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht zur gemeinsamen Entscheidung auch über den Kindesunterhaltsantrag erstrebt.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts, dessen Entscheidung in FamRZ 2022, 1223 veröffentlicht ist, ist der Scheidungsbeschluss keine unzulässige Teilentscheidung, weil der Abänderungsantrag nicht als Folgesache erhoben worden sei, über die im Verbund mit der Scheidung entschieden werden müsste.

Die Führung der Kindesunterhaltssache als isoliertes Verfahren durch das Amtsgericht stehe deren Qualifizierung als Verbundverfahren zwar noch nicht entgegen. Es komme allein darauf an, ob die Voraussetzungen des § 137 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FamFG vorlägen. Ein Dispositionsrecht der Ehegatten bestehe insoweit nicht. Auch Kindesunterhaltssachen könnten Folgesachen sein, wenn eine Entscheidung nur für den Fall der Scheidung zu treffen sei, also der Antrag nur hilfsweise für den Fall der Scheidung gestellt und eine durch die Scheidung bedingte Regelung begehrt werde. Ob diese Voraussetzungen erfüllt seien, müsse durch Auslegung ermittelt werden.

Vorliegend hätten die Beteiligten über den Kindesunterhalt bereits mehrfach gerichtlich gestritten, was zeige, dass der Streitgegenstand jedenfalls bislang nicht in Abhängigkeit von der Scheidung der Kindeseltern, sondern von der Trennung und den damit einhergehenden Auseinandersetzungen stehe. Gleichwohl könne grundsätzlich auch ein Abänderungsverfahren zum Kindesunterhalt durch die Scheidung bedingt und von dieser abhängig gemacht werden und dadurch in den Verbund fallen. Darauf deute der Wortlaut des Abänderungs- und Zahlungsantrags hin, denn er verknüpfe die begehrte Wirkung mit der Rechtskraft der Scheidung. Allerdings sei diese Verknüpfung bei Betrachtung der übrigen Umstände des Verfahrens, die für die Auslegung ebenfalls heranzuziehen seien, lediglich eine nicht begründete zeitliche, nicht aber eine inhaltliche. Aus der Begründung des Abänderungsverlangens sei keinerlei Zusammenhang mit der Scheidung herstellbar. Diese sei ausschließlich auf den Arbeitsplatzwechsel des Antragstellers gestützt, auch der Zeitraum der Auskunftserteilung bereits ab Oktober 2020 sei unverständlich und widersprüchlich zum Leistungsantrag, der erst ab der Scheidung greife. Nachvollziehbar sei dagegen die Antragstellung im isolierten Verfahren, die zwar rechtlich nicht bindend sei, aber ebenfalls zeige, dass von der Antragsgegnerin gerade kein innerer Zusammenhang des Abänderungsbegehrens mit der Scheidung hergestellt werde. In der Abhängigkeit von der Scheidung könnte hingegen ein unverständlicher, dem Interesse des Sohns widersprechender Verzicht auf höheren Kindesunterhalt liegen, insbesondere bei zusätzlicher Verzögerung der Scheidung. Dem Sinn des Scheidungsverbunds sei durch die erfolgte Titulierung des Kindesunterhalts bereits weitgehend Rechnung getragen, sodass dieser einer Auslegung des Stufenantrags als nicht durch die Scheidung bedingt nicht entgegenstehe.

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Der Scheidungsbeschluss ist in der Sache zu Recht ergangen und stellt keine nach §§ 137 Abs. 1 , 142 Abs. 1 Satz 1 FamFG unzulässige Teilentscheidung dar.

a) Das Amtsgericht hat die Scheidung nach § 1565 Abs. 1 BGB zutreffend auch ohne Zustimmung der Antragsgegnerin ausgesprochen, da die Ehe der Beteiligten gescheitert ist. Nach § 1566 Abs. 2 BGB wird das Scheitern der Ehe unwiderlegbar vermutet, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben, was vorliegend in Anbetracht der im September 2016 erfolgten Trennung der Beteiligten der Fall ist. Dass die Voraussetzungen der Scheidung vorliegen, wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht in Zweifel gezogen.

b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Amtsgericht keine unzulässige Teilentscheidung erlassen. Denn das von der Antragsgegnerin gesondert anhängig gemachte Abänderungsverfahren zum Kindesunterhalt ist keine Folgesache, über die nach § 137 Abs. 1 FamFG nur zusammen mit der Scheidung zu verhandeln und entscheiden wäre. Der von der Antragsgegnerin erhobene Antrag ist vom Beschwerdegericht im Ergebnis zutreffend als nicht von der Scheidung abhängig angesehen worden (ebenso Schwonberg NZFam 2023, 225).

aa) Zwar ist auch der Kindesunterhalt nach § 137 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FamFG - auch als Abänderungsantrag (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Januar 1996 - XII ZB 184/95 - FamRZ 1996, 543 , 544 mwN) - taugliche Folgesache des Scheidungsverfahrens, wenn eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist und die Familiensache spätestens zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug in der Scheidungssache von einem Ehegatten anhängig gemacht wird. Die Eigenschaft als Folgesache tritt - ohne Rücksicht auf eine etwa abweichende Verfahrensführung durch das Gericht - kraft Gesetzes ein und unterliegt als solche nicht der Disposition der Beteiligten (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Juli 2021 - XII ZB 21/21 - FamRZ 2021, 1521 Rn. 12 ff.).

bb) Ob nach dem Antrag eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist, bedarf indessen der Auslegung, wovon das Beschwerdegericht zutreffend ausgegangen ist. Das gilt insbesondere beim Anspruch auf Kindesunterhalt, der keine typische, durch die Scheidung bedingte Folge ist, sondern unabhängig von dieser besteht.

Bei der Auslegung ist nicht allein auf den Wortlaut des Antrags abzustellen; vielmehr ist im Zweifel dasjenige gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Das Rechtsbeschwerdegericht kann Verfahrenserklärungen uneingeschränkt nachprüfen und die erforderliche Auslegung selbst vornehmen (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschluss vom 18. März 2020 - XII ZB 474/19 - FamRZ 2020, 1034 Rn. 17; BGH Beschluss vom 13. Dezember 2022 - VIII ZB 43/22 - WuM 2023, 224 Rn. 10 f. mwN).

(1) Im vorliegenden Fall spricht die Formulierung des angekündigten Abänderungs- und Zahlungsantrags zwar dafür, dass eine Entscheidung für den Fall der Scheidung ergehen sollte (vgl. OLG Karlsruhe Beschluss vom 11. Dezember 2020 - 18 UF 85/20 - juris mwN). Dem widerspricht aber bereits die Überschrift der Antragsschrift. Nach dieser soll der Antrag im isolierten Verfahren gestellt werden, was den von den Beteiligten bis dahin zum Kindesunterhalt geführten Verfahren entspricht. Das Beschwerdegericht hat zudem mit Recht auf die Begründung des Abänderungsantrags hingewiesen, aus welcher sich ebenfalls kein Bezug zur Scheidung ergibt. Vielmehr ist der Antrag mit dem schon zum 1. September 2021 erfolgten Arbeitgeberwechsel des Antragstellers begründet worden.

Anders als etwa beim Anspruch auf Zugewinnausgleich (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Juli 2021 - XII ZB 21/21 - FamRZ 2021, 1521 Rn. 12 ff.) handelt es sich beim Anspruch auf Kindesunterhalt nicht um einen von der Scheidung abhängigen Anspruch. Im Unterschied zu dem in Trennungs- und Nachehelichenunterhalt unterteilten Ehegattenunterhalt ist der Kindesunterhalt ein einheitlicher Anspruch, der nicht durch die Scheidung beeinflusst wird und sowohl als Folgesache als auch - wie regelmäßig - im Wege des isolierten Verfahrens geltend gemacht werden kann.

Dabei legt eine interessengerechte Auslegung nahe, dass der Anspruch im Zweifel im isolierten Verfahren geltend gemacht werden soll. Da die Geltendmachung des Kindesunterhalts vorrangig im Interesse des Kindes erfolgt, sind auch und gerade dessen Interessen in die Betrachtung einzubeziehen. Das Kind hat vorliegend einen gegenüber dem abzuändernden Titel - unterstellt - erhöhten Unterhaltsanspruch bereits ab Änderung der wesentlichen Verhältnisse, wofür von der Antragsgegnerin der Wechsel der Arbeitsstelle durch den Antragsteller und ein infolgedessen erhöhtes Einkommen angeführt werden. Da im Scheidungsverbund in zulässiger Weise nur Unterhalt ab Rechtskraft der Scheidung geltend gemacht werden und diese erst geraume Zeit später eintreten kann, entstünde hinsichtlich der Erhöhungsbeträge eine - mitunter erhebliche - Unterhaltslücke. Das gilt erst recht im Fall der Abweisung des Scheidungsantrags, wie sie von der Antragsgegnerin vor dem Amtsgericht beantragt worden ist. Eine Folgesache würde in diesem Fall nach § 142 Abs. 2 Satz 1 FamFG (grundsätzlich) gegenstandslos und der Kindesunterhalt würde auf dem zu niedrigen Niveau des abzuändernden Titels festgelegt bleiben.

(2) Zwar könnte entsprechend der auf die Zeit ab Rechtskraft der Scheidung eingeschränkten Fassung des angekündigten Abänderungs- und Zahlungsantrags auch im isolierten Verfahren eine Unterhaltslücke entstehen. Der Antragsgegnerin steht es hier indessen nach Erledigung der Auskunftsstufe frei, den - ohnedies zunächst nur unbestimmt formulierten - Antrag den Interessen des Kindes entsprechend in zeitlicher Hinsicht zu erweitern und auch auf die Zeit vor Rechtskraft der Scheidung zu erstrecken. Das wäre im Scheidungsverbund dagegen nicht zulässig. Vielmehr müsste insoweit neben der Folgesache ein weiterer, isolierter Unterhaltsantrag anhängig gemacht werden, was nicht nur wenig prozessökonomisch, sondern insbesondere auch aus dem Blickwinkel der Kindesinteressen nicht sinnvoll erschiene.

Dass die Antragsgegnerin eine Entscheidung über den Abänderungsantrag unabhängig von der Scheidung verfolgen wollte, wird schließlich dadurch bestätigt, dass sie gegenüber dem Amtsgericht keine Einwände gegen die Nichteinbeziehung in den Verbund geltend gemacht hat. Im abschließenden Scheidungstermin hat sie folgerichtig weder einen Antrag zum Kindesunterhalt gestellt noch beanstandet, dass dieser nicht Gegenstand der Verhandlung gewesen ist.

cc) Die Auslegung des Beschwerdegerichts, das den Antrag zwar als zeitlich befristet, nicht aber als durch die Scheidung bedingt angesehen hat, ist mithin nicht zu beanstanden.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 3. Mai 2023

Vorinstanz: AG Oranienburg, vom 25.11.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 32 F 86/17
Vorinstanz: OLG Brandenburg, vom 04.04.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 9 UF 214/21
Fundstellen
FamRB 2023, 309
NJW 2023, 2201