Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 09.08.2023

XII ZB 507/22

Normen:
FamFG § 26
FamFG § 280 Abs. 3
BGB § 1814
BGB § 1896

Fundstellen:
FamRZ 2023, 1903
FamRZ 2023, 1904
MDR 2023, 1544
NJW-RR 2023, 1425

BGH, Beschluss vom 09.08.2023 - Aktenzeichen XII ZB 507/22

DRsp Nr. 2023/13339

Anforderungen an das Sachverständigengutachten im betreuungsrechtlichen Verfahren

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 10. November 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Eine Festsetzung des Beschwerdewerts (§ 36 Abs. 3 GNotKG ) ist nicht veranlasst.

Normenkette:

FamFG § 26 ; FamFG § 280 Abs. 3 ; BGB § 1814 ; BGB § 1896 ;

Gründe

I.

Der 84-jährige Betroffene wendet sich gegen die Einrichtung einer Betreuung. Er lebt derzeit gemeinsam mit einem seiner Söhne, dem Beteiligten zu 1, im eigenen Haus. Auf Anregung einer Seniorenresidenz, in die er zwischenzeitlich wegen anhaltender Auseinandersetzungen mit dem Sohn gezogen war, hat das Amtsgericht ein Betreuungsverfahren eingeleitet. Nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen hat es diesem mit seiner Zustimmung einen Berufsbetreuer mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungsunternehmen, Renten- und Sozialversicherungsträgern, Wohnungsangelegenheiten, Heimangelegenheiten, Aufenthaltsbestimmung (mit Ausnahme freiheitsentziehender Maßnahmen), Gesundheitssorge, Widerruf von Vollmachten und hierfür erforderliche Maßnahmen sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen des Aufgabenkreises bestellt.

Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, nach dem insoweit überzeugenden Sachverständigengutachten leide der Betroffene an einem depressiven hirnorganischen Psychosyndrom, einer Diabeteserkrankung und einer paranoiden Entwicklung. Ob daneben auch - wie vom Sachverständigen festgestellt - eine mittelschwere Demenzerkrankung beim Betroffenen vorliege, sei unerheblich. Der Betroffene sei krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, seine Angelegenheiten eigenverantwortlich selbst zu besorgen. Er könne aufgrund der festgestellten Erkrankungen insbesondere seine Vermögensangelegenheiten nicht mehr selbst regeln, weil er keinen geordneten Überblick über seine Finanzen, den Umfang seiner Verschuldung und die damit einhergehenden Konsequenzen habe. Er sei leicht manipulierbar und nicht in der Lage, Entscheidungen ohne Einfluss seines Sohnes zu treffen, der die wegen seiner nur geringen Rente dringend notwendigen Entscheidungen über die Vermietung oder Veräußerung seiner Immobilien blockiere. Der Betroffene verhalte sich überdies insgesamt ambivalent. Er sei - ungeachtet der Frage, ob bei ihm auch eine Demenz vorliege - aufgrund seiner hirnorganischen Veränderung krankheitsbedingt nicht in der Lage, einen freien Willen zu bilden, und könne die Notwendigkeit einer umfassenden Betreuung mangels Krankheitseinsicht nicht erkennen. Die Betreuung sei, wie sich ebenfalls aus dem eingeholten Gutachten ergebe, für den angeordneten Aufgabenkreis erforderlich, insbesondere da der Betroffene von seiner monatlichen Rente nicht leben könne und er mittlerweile Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 150.000 € habe.

2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Diese rügt zu Recht, dass das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten den Anforderungen des § 280 Abs. 3 FamFG nicht genügt und das Beschwerdegericht daher unter Verstoß gegen § 26 FamFG die Voraussetzungen des § 1814 BGB (zuvor § 1896 BGB ) für die Einrichtung einer Betreuung als erfüllt erachtet hat.

Nach § 280 Abs. 3 FamFG hat sich das Gutachten auf das Krankheits- oder Behinderungsbild einschließlich dessen Entwicklung (Nr. 1), die durchgeführten Untersuchungen und die diesen zugrunde gelegten Forschungserkenntnisse (Nr. 2), den körperlichen und psychischen Zustand des Betroffenen (Nr. 3), den aus medizinischer Sicht aufgrund der Krankheit oder Behinderung erforderlichen Unterstützungsbedarf (Nr. 4) und die voraussichtliche Dauer der Maßnahme (Nr. 5) zu erstrecken. Diese Anforderungen an den Inhalt des Sachverständigengutachtens sollen gewährleisten, dass das Gericht seiner Pflicht, das Gutachten auf seine wissenschaftliche Begründung, seine innere Logik und seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen, nachkommen kann. Das Gutachten muss daher Art und Ausmaß der Erkrankung im Einzelnen anhand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchungen und der sonstigen Erkenntnisse darstellen und wissenschaftlich begründen. Nur dann ist das Gericht in der Lage, das Gutachten zu überprüfen und sich eine eigene Meinung von der Richtigkeit der vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen zu bilden (vgl. Senatsbeschluss vom 4. März 2020 - XII ZB 485/19 - FamRZ 2020, 782 Rn. 10 mwN).

Diesen Anforderungen wird das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten nicht gerecht. Wie der Sachverständige zu seiner Diagnose gelangt ist, lässt sich aus dem Gutachten nicht nachvollziehen. Dieses gibt lediglich den Inhalt der Schreiben der Seniorenresidenz sowie der Betreuungsbehörde wieder und enthält daneben eine Darstellung des mit dem Betroffenen geführten Gesprächs sowie eine knappe wertende Beschreibung des hierbei gewonnenen Eindrucks des Sachverständigen von dessen geistigem und körperlichem Zustand. Dass der Sachverständige Befunde von behandelnden Ärzten herangezogen, Tests oder Untersuchungen vorgenommen oder sonstige belastbare Erkenntnisquellen für seine Diagnosen genutzt hätte, ist nicht ersichtlich. Welche Erkenntnisse die gestellten Diagnosen und damit auch die vom Sachverständigen gezogenen Schlüsse, der Betroffene könne seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln und seinen Willen krankheitsbedingt nicht mehr frei bestimmen, tragen könnten, ist nicht nachvollziehbar ausgeführt.

3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen. Dieses wird nun die erforderlichen Feststellungen in verfahrensordnungsgemäßer Weise zu treffen und sich bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1814 Abs. 1 , 2 und 3 Satz 1 BGB im Einzelnen mit der Frage auseinanderzusetzen sowie - anders als bislang - hinsichtlich eines jeden Aufgabenbereichs nachvollziehbar zu begründen haben, ob und inwieweit ein Betreuungsbedarf besteht (vgl. Senatsbeschluss vom 19. April 2023 - XII ZB 462/22 - FamRZ 2023, 1057 Rn. 9 ff. mwN) und damit eine Betreuung gemäß §§ 1814 Abs. 3 Satz 1, 1815 Abs. 1 Satz 3 BGB erforderlich ist.

Vorinstanz: AG Backnang, vom 17.12.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 7 XVII 271/21
Vorinstanz: LG Stuttgart, vom 10.11.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 2 T 181/22
Fundstellen
FamRZ 2023, 1903
FamRZ 2023, 1904
MDR 2023, 1544
NJW-RR 2023, 1425