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BGH - Entscheidung vom 14.12.2022

XII ZB 237/22

Normen:
BGB § 1896 Abs. 2 S. 1

Fundstellen:
NJW-RR 2023, 289

BGH, Beschluss vom 14.12.2022 - Aktenzeichen XII ZB 237/22

DRsp Nr. 2023/1193

Hinreichende Begründung zum Umfang des Aufgabenkreises der Betreuertätigkeit

Für die Anordnung einer Betreuung für alle Angelegenheiten bedarf es konkreter Darlegung, dass Handlungsbedarf in allen Angelegenheiten besteht.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 29. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28. April 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Eine Festsetzung des Beschwerdewerts (§ 36 Abs. 3 GNotKG ) ist nicht veranlasst.

Normenkette:

BGB § 1896 Abs. 2 S. 1;

Gründe

I.

Der 54-jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einer paranoiden Schizophrenie, wegen der er seine Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann. Das Amtsgericht hat eine Betreuung für alle Angelegenheiten sowie Postangelegenheiten angeordnet und den Beteiligten zu 2 als Berufsbetreuer bestellt. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die gesetzliche Betreuung für den unter paranoider Schizophrenie leidenden Betroffenen solle aus Sicht des Sachverständigen vollumfänglich für alle Bereiche eingerichtet werden. Eine Krankheitseinsicht bestehe nicht und es gebe auch keine Hilfemöglichkeiten, die eine Betreuung ganz oder teilweise entbehrlich machten.

2. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil sie keine hinreichende Begründung zum Umfang des Aufgabenkreises enthält.

a) Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie - auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit - notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst zu regeln (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann. Für die Anordnung einer Betreuung für alle Angelegenheiten bedarf es konkreter Darlegung, dass Handlungsbedarf in allen Angelegenheiten besteht (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Juni 2020 - XII ZB 25/20 - FamRZ 2020, 1588 Rn. 9 mwN).

b) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht, denn sie enthält keine konkreten Feststellungen zur Erforderlichkeit des angeordneten umfassenden Aufgabenkreises.

Derartige Feststellungen lassen sich auch nicht dem Sachverständigengutachten und der Stellungnahme der Betreuungsbehörde entnehmen, auf die das Landgericht Bezug nimmt. Soweit das Sachverständigengutachten den Aufgabenbereich der Aufenthaltsbestimmung hervorhebt und dies damit begründet, dass der Betroffene künftig außerhalb der Familie leben solle, um den Kindern eine bessere psychische und seelische Entwicklung sowie ein gesundes und unbeschwertes Aufwachsen zu ermöglichen, ist bereits nicht erkennbar, dass sich daraus ein Betreuungsbedarf zum Wohle des Betroffenen ergibt.

3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.

Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht auch Gelegenheit, die von der Rechtsbeschwerde gegen das Sachverständigengutachten erhobenen Einwände zu berücksichtigen. Für das weitere Verfahren weist der Senat zudem darauf hin, dass die Anordnung einer Betreuung für "alle Angelegenheiten" nach der am 1. Januar 2023 in Kraft tretenden Fassung des § 1815 BGB nicht mehr zulässig ist (vgl. BR-Drucks. 564/20 S. 310).

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG ).

Vorinstanz: AG Frankfurt/Main, vom 06.01.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 408 XVII 3090/21 SEG
Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 28.04.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 29 T 25/22
Fundstellen
NJW-RR 2023, 289