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BGH - Entscheidung vom 15.09.2021

VII ZR 294/20

Normen:
ZPO § 543 Abs. 2 S. 1

BGH, Beschluss vom 15.09.2021 - Aktenzeichen VII ZR 294/20

DRsp Nr. 2022/2357

Erstattung des um eine Nutzungsentschädigung gekürzten Kaufpreises eines Autos mit manipulierter Software

In Fällen des Kaufs von Fahrzeugen mit dem Dieselmotor des Typs EA189 genügt für den Verjährungsbeginn gemäß § 199 Abs. 1 BGB , dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom Diesel- bzw. Abgasskandal im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist.

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 17. November 2020 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 8.000 € festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 543 Abs. 2 S. 1;

Gründe

I.

Der Kläger kaufte am 31. Januar 2015 von privat einen gebrauchten Skoda Octavia RS zum Preis von 15.500 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Software, die bewirkte, dass auf dem Prüfstand geringere Mengen Stickoxid als im normalen Fahrbetrieb ausgestoßen wurden ("Umschaltlogik").

Ausgehend von einer Pressemitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 wurde in den Medien ab September 2015 ausführlich über den "Abgasskandal" betreffend Motoren vom Typ EA189 in Fahrzeugen des gesamten Volkswagen-Konzerns berichtet. Anfang Oktober 2015 schaltete die Beklagte eine Internetseite frei, auf der die Betroffenheit einzelner Fahrzeuge ermittelt werden konnte. Sie gab hierzu eine Pressemitteilung heraus, in der sie auch über einen vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) beschlossenen Rückruf berichtete und Lösungsmöglichkeiten ankündigte. Entsprechend wurde in zahlreichen Medien berichtet. Im Dezember 2016 erhielt der Kläger ein Rückrufschreiben der Beklagten, das die Betroffenheit seines Fahrzeugs erkennen ließ. Ein vom KBA freigegebenes Software-Update zur Beseitigung der Umschaltlogik wurde am 2. Januar 2017 aufgespielt.

Mit seiner im Jahr 2020 erhobenen Klage hat der Kläger in den Vorinstanzen zuletzt die Erstattung des um eine Nutzungsentschädigung gekürzten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten begehrt. Die Beklagte hat unter anderem die Einrede der Verjährung erhoben. Nachdem die Klage in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben ist, verfolgt der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision sein Begehren im Wesentlichen weiter.

II.

1. Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht mehr vor (§ 552a Satz 1, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO ). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind durch das nach Erlass des Berufungsurteils ergangene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20, NJW 2021, 918 , geklärt.

2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, ist ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826 , 31 BGB verjährt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Kläger spätestens am Ende des Jahres 2016 positive Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen und der Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 BGB , sodass die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB spätestens mit Ablauf des Jahres 2016 begann und mit Ablauf des Jahres 2019, also vor Klageerhebung, endete.

a) Nach der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats, der sich der erkennende Senat anschließt, genügt es in Fällen der vorliegenden Art für den Verjährungsbeginn gemäß § 199 Abs. 1 BGB , dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom "Diesel-" bzw. "Abgasskandal" im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20 Rn. 20 ff., NJW 2021, 918 ).

b) Das Berufungsgericht hat hinreichende Feststellungen zur positiven Kenntnis des Klägers von den oben genannten Voraussetzungen getroffen.

Die allgemeine Kenntnis des Klägers vom sogenannten Diesel- oder Abgasskandal hat das Berufungsgericht festgestellt, indem es unter Hinweis auf die breite Medienberichterstattung seit September 2015 ausgeführt hat, dem Kläger könne "der Abgas-Skandal als solcher im VW-Konzern (...) schlechterdings nicht entgangen sein", selbst wenn er nicht laufend die Pressemeldungen verfolgt habe. Diese Feststellung, die ersichtlich auf einer freien Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts gemäß § 286 ZPO beruht, ist nicht zu beanstanden. Soweit die Revision rügt, das Berufungsgericht habe die Kenntnis des Klägers aufgrund einer allgemeinen Erwägung unterstellt, stellt dies keinen zulässigen und begründeten Revisionsangriff im Sinne von § 559 Abs. 2 ZPO dar.

Die getroffenen Feststellungen beinhalten, dass der Kläger zumindest eine grobe Kenntnis von der evident unzulässigen Funktionsweise der Abschalteinrichtung (Unterscheidung zwischen Prüfstands- und Realbetrieb) besaß. Das ergibt sich aus den Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach in der ausführlichen Medienberichterstattung zum "Abgas-Skandal", die dem Kläger nicht entgangen sein könne, von "Betrugssoftware", "Software-Trickserei" etc. die Rede gewesen sei (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20 Rn. 21, NJW 2021, 918 ).

Die positive Kenntnis des Klägers von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs ergibt sich aus den Feststellungen im Berufungsurteil. Danach hat der Kläger selbst vorgetragen, die besagte Kenntnis (erst) durch das Rückrufschreiben der Beklagten im Dezember 2016 erlangt zu haben. Auf die Rüge der Revision, das Schreiben sei nicht aktenkundig und habe daher vom Berufungsgericht nicht gewürdigt werden dürfen, kommt es somit nicht an. Eine Kenntnis des Klägers von der abstrakten Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 52, BGHZ 225, 316 ), die aufgrund der dem Kläger bekannten Funktionsweise der Software bestand, war nicht erforderlich, weil es sich insoweit nicht um einen tatsächlichen Umstand im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB , sondern um eine rechtliche Schlussfolgerung handelt (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20 Rn. 21 a.E., NJW 2021, 918 ).

Die dem Kläger bekannten Tatsachen reichten aus, den Schluss nahe zu legen, dass der Einbau der Motorsteuerungssoftware, die nach ihrer Funktionsweise ersichtlich auf Täuschung der zuständigen Genehmigungsbehörde abzielte, auf einer am Kosten- und Gewinninteresse ausgerichteten Strategieentscheidung beruhte und diese Entscheidung von einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB getroffen oder jedenfalls gebilligt worden war, und zwar im Bewusstsein der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung und damit mit Schädigungsvorsatz. Aufgrund der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vorhandenen Kenntnis des Klägers von dem tatsächlichen Geschehensablauf war es ihm spätestens Ende 2016 zumutbar, Klage zu erheben (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20 Rn. 20, 22 f., NJW 2021, 918 ).

c) Dass es im Streitfall im Unterschied zum Urteil des VI. Zivilsenats vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20, NJW 2021, 918 - nicht um einen Volkswagen, sondern um einen Skoda geht, steht dem Verjährungsbeginn mit Ablauf des Jahres 2016 nicht entgegen. Die Haftung der Beklagten umfasst den Einsatz von Motoren des Typs EA189 in Fahrzeugen ihrer Tochtergesellschaften (BGH, Urteil vom 11. Mai 2021 - VI ZR 80/20 Rn. 12, WM 2021, 1300 ). Die Rechtslage war und ist auch in dieser Hinsicht nicht derart unsicher und zweifelhaft, dass die Erhebung einer Klage unzumutbar und der Verjährungsbeginn daher hinausgeschoben gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20 Rn. 9 ff., 26 ff., NJW 2021, 918 ).

d) Ein unverjährter Anspruch des Klägers ist auch im Hinblick auf das im Jahr 2017 aufgespielte Software-Update nicht ersichtlich. Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts bietet das Update trotz des darin enthaltenen "Thermofensters" keinen Anknüpfungspunkt für ein neues oder fortgesetztes sittenwidriges Verhalten der Beklagten. Das gilt auch unter Berücksichtigung des von der Revision als übergangen gerügten Klägervortrags, dass das Update zu einem erhöhten Kraftstoffverbrauch sowie zu einer stärkeren Versottung der "Abgasrückführ-Strecke" führe und die Lebensdauer des Rußpartikelfilters verkürze (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 Rn. 23 ff., NJW 2021, 1814 ).

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Zurücknahme der Revision erledigt worden.

Vorinstanz: LG Mainz, vom 24.06.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 71/20
Vorinstanz: OLG Koblenz, vom 17.11.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 3 U 1049/20