Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 10.10.2017

II ZR 277/15

Normen:
ZPO § 528
InsO § 38
BGB § 812 Abs. 1 S. 1 1. Fall
HGB § 110

BGH, Urteil vom 10.10.2017 - Aktenzeichen II ZR 277/15

DRsp Nr. 2018/275

Bindung des Berufungsgerichts an die Berufungsanträge; Auslegung von Berufungsanträgen; Heranziehung der Berufungsbegründung zur Bestimmung des Inhalts und der Reichweite des Berufungsantrags; Klageantrag betreffend die Feststellung der angemeldeten Forderung zur Insolvenztabelle

Berufungsanträge unterliegen der Auslegung, die das Revisionsgericht, da eine Prozesserklärung betroffen ist, selbst vornehmen kann. Der Berufungsantrag mit der Formulierung "als zur Zeit unbegründet" richtet sich im Ergebnis auf eine Klageabweisung schlechthin und beschränkt sich nicht auf die Frage der Fälligkeit. Ein solcher Berufungsantrag macht es erforderlich, zur Bestimmung seines Inhalts und seiner Reichweite die Berufungsbegründung heranzuziehen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 14. August 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

ZPO § 528 ; InsO § 38 ; BGB § 812 Abs. 1 S. 1 1. Fall; HGB § 110 ;

Tatbestand

Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der D. GmbH & Co. T. KG (im Folgenden: Schuldnerin), einer Publikums-Kommanditgesellschaft, an der sich der Kläger im Februar 1998 als Kommanditist beteiligte. Der Kläger erhielt in der Folgezeit, wie in § 11 Nr. 3 des Gesellschaftsvertrags vorgesehen, gewinnunabhängige Ausschüttungen. Mit Schreiben vom 28. Dezember 2009 forderte die Schuldnerin die Kommanditisten auf, einen Teil der "als Darlehen gewährten Ausschüttungen" zu erstatten. Der Kläger zahlte daraufhin 10.225,84 € zurück. In dem am 21. November 2013 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin meldete der Kläger einen Anspruch auf Rückgewähr dieses, nach seiner Auffassung rechtsgrundlos geleisteten Betrages zur Insolvenztabelle an. Der Beklagte bestritt die Forderung.

Das Landgericht hat der auf Feststellung der angemeldeten Forderung zur Insolvenztabelle im Rang des § 38 InsO gerichteten Klage stattgegeben und dies auf § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützt. Der Beklagte hat in dem von ihm angestrengten Berufungsverfahren beantragt, "das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage als zur Zeit unbegründet abzuweisen". Das Berufungsgericht hat das Rechtsmittel als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Senat zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Der Beklagte habe seine Berufung auf die Frage der derzeitigen Fälligkeit des geltend gemachten Feststellungsanspruchs beschränkt. Diese Beschränkung sei jedoch unzulässig und damit unwirksam. Das vom Beklagten im Hinblick auf die Anspruchsnorm des § 110 HGB geltend gemachte Verbot der Doppelanmeldung des § 44 InsO , aus der er den Einwand mangelnder Fälligkeit herleite, stelle kein Verteidigungsmittel dar, bei dem es sich um einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs handele. Denn dieses Verteidigungsmittel betreffe nur eine der beiden in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen; in Bezug auf § 812 BGB verteidige sich der Beklagte mit dem dolo-agit-Einwand.

Die Unzulässigkeit der Berufungsbeschränkung führe zwar dazu, dass die Beschränkung unwirksam sei und die Berufung das gesamte erstinstanzliche Urteil erfasse. Das Berufungsgericht sei aber daran gehindert, über den gesamten Streitstoff zu entscheiden, da der Beklagte keinen uneingeschränkten Klageabweisungsantrag gestellt habe; andernfalls würde das Gericht dem Beklagten unter Verstoß gegen § 528 ZPO mehr zusprechen, als er beantragt habe. Trotz Hinweises des Senats habe es der Beklagte bei seinem unzulässig eingeschränkten Klageabweisungsantrag belassen. Nur ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass die Klage im Falle eines unbeschränkten Klageabweisungsantrags nicht lediglich als zurzeit unbegründet, sondern als endgültig unbegründet abzuweisen gewesen wäre.

II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Berufung des Beklagten ist zulässig.

1. Eine Unzulässigkeit der Berufung aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen kam schon deshalb nicht in Betracht, weil die unwirksame Beschränkung eines Rechtsmittels nicht zu dessen Unzulässigkeit führen kann. Soweit das Berufungsgericht gleichwohl angenommen hat, dass der Beklagte einen eingeschränkten Klageabweisungsantrag gestellt habe, an den es gemäß § 528 ZPO gebunden sei, hätte es jedenfalls in den durch diese Vorschrift bestimmten Grenzen eine Sachentscheidung treffen müssen.

2. Das Berufungsgericht war im Übrigen aus prozessualen Gründen nicht daran gehindert, die Klage schlechthin abzuweisen und damit die von ihm in der Sache für richtig gehaltene Entscheidung zu treffen.

a) Gemäß § 528 ZPO ist das Berufungsgericht an die Berufungsanträge gebunden. Dies umfasst auch die Bindung an den Antrag des Beklagten, sofern er Berufungsführer ist (vgl. Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO , 4. Aufl., § 520 Rn. 56). Nach § 528 Satz 2 ZPO darf das Urteil des ersten Rechtszugs nur insoweit abgeändert werden, als eine Abänderung beantragt ist.

Ob hieraus das Verbot zu entnehmen ist, die Klage schlechthin abzuweisen, wenn der Beklagte mit seiner Berufung lediglich eine Klageabweisung als zurzeit unbegründet begehrt, mag im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der das gleichfalls aus § 528 ZPO folgende Verschlechterungsverbot die endgültige Klageabweisung auf die Berufung des Klägers gegen ein die Klage nur als zurzeit unbegründet abweisendes Urteil nicht hindert (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1988 - VII ZR 372/86, BGHZ 104, 212 , 214 f.; Urteil vom 11. Dezember 1991 - VIII ZR 31/91, BGHZ 116, 278 , 292; Urteil vom 1. Dezember 1994 - III ZR 33/94, WM 1995, 771 , 773; Urteil vom 1. November 2001 - V ZR 224/00, UR 2002, 91 , 95; Urteil vom 21. Dezember 2012 - V ZR 221/11, NJW 2013, 1963 Rn. 34), zweifelhaft sein, muss aber im vorliegenden Fall nicht entschieden werden.

b) Im Streitfall richtete sich der Berufungsantrag des Beklagten trotz der Formulierung "als zur Zeit unbegründet" im Ergebnis auf eine Klageabweisung schlechthin und beschränkte sich nicht, wie vom Berufungsgericht angenommen, auf die Frage der Fälligkeit.

aa) Berufungsanträge unterliegen - nicht anders als Klageanträge (vgl. dazu BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 - II ZR 305/14, WM 2016, 1599 Rn. 12 f. mwN) - der Auslegung, die das Revisionsgericht, da eine Prozesserklärung betroffen ist, selbst vornehmen kann (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2010 - XII ZB 136/09, NJW-RR 2011, 148 Rn. 18 mwN). Gerade der hier formulierte Berufungsantrag macht es erforderlich, zur Bestimmung seines Inhalts und seiner Reichweite die Berufungsbegründung heranzuziehen. Denn der Einschub "zurzeit unbegründet" gibt noch keinen Aufschluss über die für die Rechtskraftwirkungen einer antragsgemäßen Entscheidung wesentliche Frage, welcher Hinderungsgrund einem derzeitigen Erfolg der Klage entgegenstehen soll.

bb) Die danach gebotene Einbeziehung der Berufungsbegründung führt im Streitfall zu dem eindeutigen Ergebnis, dass der Beklagte seine Rechtsverteidigung nicht, wie das Berufungsgericht annimmt, auf die Frage der derzeitigen Fälligkeit des geltend gemachten Feststellungsanspruchs beschränkt hat. Vielmehr ist er dem Klagebegehren, dem das Landgericht in vollem Umfang entsprochen hatte, umfassend entgegengetreten.

(1) Der Beklagte hat seine Antragstellung wie folgt begründet: Dem Kläger stehe kein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zu, weil er sich durch die Zahlung an die Schuldnerin seiner Außenhaftung habe entledigen wollen und deshalb nicht rechtsgrundlos geleistet habe. Zumindest könnten einem etwaigen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung Gläubigerforderungen nach §§ 128 , 171 , 172 HGB im Wege der Aufrechnung oder der doloagit-Einrede entgegengehalten werden. Der Kläger habe zwar stattdessen einen Regressanspruch aus § 110 HGB , der aber nicht derzeit, sondern gemäß § 44 InsO erst dann zur Tabelle festgestellt werden könne, wenn zuvor alle Gläubiger, denen der Kläger aus §§ 128 , 171 , 172 HGB hafte, befriedigt worden seien. Erst wenn die vorhandene Masse an diese Gläubiger ausgeschüttet worden und insofern deren Vollbefriedigung eingetreten sei, könne der Regressanspruch des Klägers als Insolvenzforderung festgestellt werden.

(2) Danach hat sich der Beklagte nicht darauf beschränkt, die Fälligkeit der angemeldeten Forderung in Abrede zu stellen, was einer derzeitigen Feststellung zur Insolvenztabelle auch nicht ohne weiteres entgegenstünde (§ 41 Abs. 1 InsO ; zu Forderungen mit ungewissem Fälligkeitseintritt vgl. MünchKomm-InsO/Bitter, 3. Aufl., § 41 Rn. 8 und § 42 Rn. 11; K. Schmidt/Keller, InsO , 19. Aufl., § 42 Rn. 7). Er hat vielmehr eingewandt, dass ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB , wie ihn der Beklagte seiner Forderungsanmeldung zugrunde gelegt hat, nicht bestehe oder jedenfalls nicht durchsetzbar sei. Zugebilligt hat der Beklagte dem Kläger stattdessen einen - zurzeit noch nicht zur Tabelle feststellbaren - Anspruch aus § 110 HGB , der indes von anderen bzw. zusätzlichen tatsächlichen Voraussetzungen abhängig ist und den der Beklagte zudem mit inhaltlichen Einschränkungen belegt hat. Ob mit der Einbeziehung eines Anspruchs aus § 110 HGB die Grenzen des Streitgegenstandes, über den das Landgericht entschieden hat, überschritten wären, kann hier offenbleiben. Jedenfalls entsprach der Lösungsvorschlag des Beklagten unabhängig von dem hiermit verbundenen zeitlichen Aufschub auch in seinen inhaltlichen Auswirkungen nicht dem Begehren des Klägers, so dass er sich als eine über die Fälligkeitsfrage deutlich hinausgehende Verteidigung gegen das Klagebegehren darstellt.

Der Klageantrag richtet sich auf die Feststellung der angemeldeten Forderung zur Insolvenztabelle im Rang des § 38 InsO und zielt damit auf eine im Verhältnis zu den anderen Insolvenzgläubigern gleichberechtigte Befriedigung. Würde demgegenüber gemäß den mit der Berufungsbegründung vorgebrachten Einwänden des Beklagten verfahren, würde der Erfolg des Feststellungsbegehrens des Klägers nicht nur zeitlich hinausgeschoben oder von dem Eintritt einer Bedingung abhängig gemacht. Vielmehr würde dem Klagebegehren auch in der Sache nicht entsprochen. Denn statt der mit dem Klageantrag angestrebten Feststellung der angemeldeten Forderung im Rang des § 38 InsO , die auf eine gleichberechtigte Befriedigung mit den anderen Insolvenzgläubigern ausgerichtet ist, würde der Kläger auf eine im Ergebnis nachrangige Berücksichtigung seiner Forderung verwiesen. Nach dem Eintritt der von dem Beklagten formulierten Eintragungsvoraussetzungen verbliebe dem Kläger im Insolvenzverfahren eine Gläubigerstellung, die er in dieser Form gerade nicht anstrebt.

Demnach erweist sich die vermeintliche Einschränkung in dem Berufungsantrag des Beklagten unter Berücksichtigung der zur Auslegung des Antrags heranzuziehenden Begründung lediglich als ein - rechtlich unbeachtlicher - Versuch, dem Berufungsgericht für die angestrebte Klageabweisung einen bestimmten Begründungsweg vorzugeben. Hieran ändert nichts, dass der Beklagte auf Nachfrage des Berufungsgerichts an der Formulierung seines Antrags festgehalten hat.

III. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO ), das die zur Beurteilung der Begründetheit der Klage erforderlichen Feststellungen zu treffen und rechtlich zu bewerten haben wird.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 10. Oktober 2017

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 29.01.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 334 O 157/14
Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 14.08.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 11 U 40/15