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BGH - Entscheidung vom 22.08.2017

VIII ZR 279/15

Normen:
ZPO § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 2. Alt.
ZPO § 552a
BGB § 315
KAG BB § 6 Abs. 4 S. 2
AVBWasserV § 35 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 22.08.2017 - Aktenzeichen VIII ZR 279/15

DRsp Nr. 2017/14557

Billigkeit einer geänderten Grundpreiserhebung eines Wasser- und Abwasserzweckverbands; Ermessen des Trinkwasserversorgers bei der Bestimmung von bei der Grundpreisermittlung einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben; Einhaltung des Kostendeckungsprinzips bei der Kalkulation der Grundpreise

Einem Trinkwasserversorger ist bei der Bestimmung von bei der Grundpreisermittlung einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben ein weites Ermessen eingeräumt, so dass bei Vorliegen eines sachlich einleuchtenden Grundes für eine gewählte Typisierung oder Differenzierung aufgrund des Gleichheitssatzes keine noch darüber hinausgehende Verpflichtung besteht, für eine Grundgebühr den vermeintlich zweckmäßigsten, vernünftigsten, gerechtesten oder wahrscheinlichsten Maßstab anzuwenden.

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision der Beklagten durch einstimmigen Beschluss gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.

Normenkette:

ZPO § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 2. Alt.; ZPO § 552a; BGB § 315 ; KAG BB § 6 Abs. 4 S. 2; AVBWasserV § 35 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Der Kläger ist ein Wasser- und Abwasserzweckverband mehrerer Städte und Gemeinden, der als alleiniger Anbieter der öffentlichen Wasserversorgung in seinem Gebiet auch die von der Beklagten als Wohnungsgenossenschaft vermieteten Wohnungen auf privatrechtlicher Grundlage nach Maßgabe der AVBWasserV mit Trinkwasser versorgt. Zum 1. April 2010 stellte der Kläger seine bis zu diesem Zeitpunkt allein nach der Nenngröße der vorhandenen Wasserzähler bemessenen Grundpreise dahin um, dass er nunmehr bei einer Wohnnutzung die Anzahl der vorhandenen Wohneinheiten zugrunde legte, während es bei gewerblicher oder sonstiger Nutzung auch weiterhin auf die Größe des eingebauten Wasserzählers ankommen sollte. Daraufhin zahlte die Beklagte im Zeitraum vom 1. April bis zum 31. Dezember 2010 die für ihre Wohnanlagen nach dem neuen Tarif abgerechneten Grundpreise in Höhe von 52.642,74 € - der (ihrer Höhe nach unstreitigen) Differenz zwischen dem bisherigen und dem neu eingeführten Grundpreis - zunächst gar nicht und im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens lediglich unter dem Vorbehalt der Rückforderung, weil sie die neue Tarifstruktur als unbillig ansieht.

Das Landgericht hat die Klage auf Feststellung, dass die Beklagte zur vorbehaltlosen Zahlung der Trinkwasserentgelte für das Jahr 2010 in Höhe des vorgenannten Betrages von 52.642,74 € an den Kläger verpflichtet sei, abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Urteil abgeändert und der Klage insoweit stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

II.

1. Es besteht kein Grund für die Zulassung der Revision. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht (mehr) erforderlich; ebenso wenig liegt einer der weiteren im Gesetz (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO ) genannten Zulassungsgründe vor.

Das Berufungsgericht (OLG Brandenburg, Urteil vom 17. November 2015 - 2 U 36/14, [...]), welches die geänderte Tarifstruktur des Klägers für billig (§ 315 BGB ) erachtet hat, hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO im Hinblick auf die diesbezügliche Abweichung von dem Urteil des 7. Zivilsenats desselben Gerichts vom 7. Oktober 2015 ( 7 U 94/14, [...]) sowie im Ergebnis zu dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. November 2012 (OVG 9 A 7.10, [...]) zugelassen, in denen für Fälle einer vergleichbaren Kombination von Wohneinheiten- und Zählermaßstab zum Zwecke der Grundpreis- beziehungsweise Grundgebührenerhebung eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes angenommen wurde.

Der Senat hat - nach Erlass des Berufungsurteils - über die gegen das vorbezeichnete Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Brandenburg eingelegte Revision und damit auch die abweichend beantworteten Rechtsfragen entschieden (Senatsurteil vom 17. Mai 2017 - VIII ZR 245/15, [...]). Er ist hinsichtlich einer in den entscheidenden Punkten nahezu identische Tarifstruktur eines Trinkwasserversorgers zur Grundpreisbemessung zu dem Ergebnis gelangt, dass es nicht unbillig im Sinne von § 315 BGB ist, wenn ein Wasserversorgungsunternehmen, das in seinem Versorgungsgebiet die Anschlussnehmer auf privatrechtlicher Grundlage versorgt, in teilweiser Abkehr von einer ursprünglichen Grundpreisbemessung nach der Nenngröße des eingebauten Wasserzählers den Grundpreis nunmehr nach Nutzergruppen bestimmt und dabei zwischen einem Bedarf für Grundstücke mit Wohnbebauung und einem Bedarf für gewerblich oder in sonstiger Weise genutzte Grundstücke unterscheidet. Ebenso wenig ist es unbillig, wenn das Versorgungsunternehmen den Grundpreis bei dem Bedarf für Wohnzwecke nach der Anzahl der vorhandenen Wohneinheiten, bei dem Bedarf für gewerbliche oder sonstige Zwecke hingegen weiterhin nach dem Wasserzählermaßstab bemisst (Senatsurteil vom 17. Mai 2017 - VIII ZR 245/15, aaO Rn. 27 ff.; in Bestätigung und Fortführung der Senatsurteile vom 20. Mai 2015 - VIII ZR 136/14, NVwZ-RR 2015, 722 unter II 2 b bb (3), und VIII ZR 164/14, ZMR 2015, 901 Rn. 31 ff.; vom 8. Juli 2015 - VIII ZR 106/14, NJW 2015, 3564 Rn. 30 ff.). Mit dieser Entscheidung sind die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision entfallen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Januar 2005 - I ZR 255/02, NJW-RR 2005, 650 unter II 1; vom 16. April 2013 - VIII ZR 67/12, [...] Rn. 3).

2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

a) Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die mit Wirkung zum 1. April 2010 geänderte Grundpreiserhebung des Klägers der Billigkeit entspricht und deshalb für die Beklagte verbindlich ist (§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB ), steht im Einklang mit dem vorbezeichneten Senatsurteil vom 17. Mai 2017 ( VIII ZR 245/15, aaO).

Dabei ist das Berufungsgericht auch - entgegen der Rüge der Revision - nicht von einem unzutreffenden Maßstab der "offenbaren Unbilligkeit" im Sinne von § 319 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgegangen, sondern hat sich an der betreffenden Stelle seiner Urteilsgründe rechtsfehlerfrei auf § 6 Abs. 4 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg in der Fassung vom 31. März 2004 (GVBl. I S. 174 - KAG BB) bezogen, der für die parallele Fallgestaltung einer öffentlich-rechtlichen Versorgung mit Wasser (vgl. § 35 Abs. 1 AVBWasserV ) für die Gebührenbemessung die Verwendung eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabes gestattet, der nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der Inanspruchnahme stehen darf.

Nachdem der Senat im Urteil vom 17. Mai 2017 ( VIII ZR 245/15, aaO Rn. 21 ff.) die Billigkeit einer Gebührenregelung bejaht hat, die mit der vom Kläger geänderten Grundpreisbemessung in allen ausschlaggebenden Aspekten inhaltlich identisch ist, kann die Revision mit ihren gegen die Billigkeit gerichteten Rügen keinen Erfolg haben. Sie verkennt insbesondere, dass dem Trinkwasserversorger bei der Bestimmung von bei der Grundpreisermittlung einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben ein weites Ermessen eingeräumt ist, so dass bei Vorliegen eines sachlich einleuchtenden Grundes für eine gewählte Typisierung oder Differenzierung aufgrund des Gleichheitssatzes keine noch darüber hinausgehende Verpflichtung besteht, für eine Grundgebühr den (vermeintlich) zweckmäßigsten, vernünftigsten, gerechtesten oder wahrscheinlichsten Maßstab anzuwenden (vgl. hierzu ausführlich Senatsurteil vom 17. Mai 2017 - VIII ZR 245/15, aaO Rn. 23 ff. mwN). Dass der Kläger bei der Kalkulation der Grundpreise nach der Auffassung des Berufungsgerichts das Kostendeckungsprinzip eingehalten hat, zieht die Revision nicht in Zweifel.

b) Weiterhin hat das Berufungsgericht - entgegen der Auffassung der Revision - mit Recht eine Mehrdeutigkeit der streitgegenständlichen Änderungssatzung des Klägers betreffend die Zuordnung zu den fortan unterschiedenen Nutzergruppen (Wohnnutzung einerseits sowie gewerbliche und andere Nutzung andererseits) und aufgrund dessen nach § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Klägers gehende Zweifel bei der Auslegung derselben verneint. Vielmehr ist es mit Recht davon ausgegangen, dass die zwischen den Parteien streitige Regelung bei der Zuordnung zu den Nutzergruppen zum Zwecke der Grundpreiserhebung nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck eindeutig daran anknüpft, in welchem Zusammenhang das von dem Kläger zur Verfügung gestellte Wasser vom unmittelbaren Nutzer der Wohnung - vorliegend also den Mietern der Beklagten - entnommen wird.

Denn mit einer derartigen Differenzierung will ein Trinkwasserversorger gerade berücksichtigen, dass verschiedene Nutzergruppen - etwa Gewerbetreibende einerseits und Nutzer zu Wohnzwecken andererseits - die Vorhalteleistungen des Trinkwasserversorgers, deren Bereitstellungskosten mit dem Grundpreis (ganz oder teilweise) abgegolten werden sollen, aufgrund ihres grundlegend unterschiedlichen Nutzungsverhaltens typischerweise in deutlich unterschiedlichem Umfang in Anspruch nehmen (vgl. Senatsurteile vom 17. Mai 2017 - VIII ZR 245/15, aaO Rn. 29 f.; vom 8. Juli 2015 - VIII ZR 106/14, aaO Rn. 30). Insofern lässt sich die vom Kläger getroffene Regelung - entgegen der Auffassung der Revision - bei verständiger Betrachtung nicht (auch) dahingehend verstehen, dass es für die Zuordnung auf die gewerbliche Nutzung durch die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Vermieter ankommen könnte.

Somit verbleibt für die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB vorliegend kein Raum. Denn insoweit haben Verständnismöglichkeiten außer Betracht zu bleiben, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fern liegend sind und für die an solchen Geschäften typischerweise Beteiligten nicht ernsthaft in Betracht kommen (BGH, Urteile vom 5. Mai 2010 - III ZR 209/09, BGHZ 185, 310 Rn. 14; vom 9. Mai 2012 - VIII ZR 327/11, NJW 2012, 2270 Rn. 28; vom 20. Januar 2016 - VIII ZR 152/15, WuM 2016, 164 Rn. 19; jeweils mwN). Darüber hinaus hat das Berufungsgericht zu Recht keinen Anlass gesehen, sich mit den - jedenfalls von der Revision angenommenen - etwaigen Unklarheiten der Regelung betreffend die Einordnung einer gemischten Nutzung (teilweise gewerblich und teilweise zu Wohnzwecken) auseinanderzusetzen, weil die Beklagte zu einer derartigen Nutzung durch ihre Mieter vorliegend nichts vorgetragen hatte.

c) Unbehelflich ist zudem die Rüge der Revision, die Beklagte sei nicht passivlegitimiert, weil vorliegend Trinkwasserversorgungsverträge gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 AVBWasserV ausschließlich mit den jeweiligen Mietern der betreffenden Wohnungen zustande gekommen seien, als diese Wasser aus dem Verteilungsnetz entnommen hätten. Bis zum Abschluss der Berufungsinstanz haben die Parteien das Bestehen eines über Jahre durchgeführten Versorgungsvertrages zwischen ihnen zu keinem Zeitpunkt in Zweifel gezogen. Dementsprechend haben auch beide Instanzgerichte die den Vertragsschluss begründenden Tatsachen als unstreitig festgestellt (§ 314 ZPO ); einen Tatbestandberichtigungsantrag (§ 320 ZPO ) hat die Beklagte nicht gestellt.

d) Schließlich ist das Berufungsgericht im Ergebnis auch zutreffend - und von den Parteien unbeanstandet - davon ausgegangen, dass die Feststellungsklage zulässig ist.

Zwar spricht einiges dafür, dass der Kläger auch nach der von der Beklagten während des erstinstanzlichen Verfahrens geleisteten Zahlung unter Vorbehalt in Höhe von 52.642,74 € seine auf Zahlung desselben Betrages gerichtete Klage hätte weiterverfolgen können. Denn regelmäßig stellt die Leistung eines Schuldners, der während eines Rechtsstreits und unter Fortsetzung seiner Rechtsverteidigung zahlt, keine Erfüllung im Sinne von § 362 BGB dar (vgl. dazu BGH, Urteile vom 6. Oktober 1998 - XI ZR 36/98, BGHZ 139, 357 , 368; vom 24. November 2006 - LwZR 6/05, NJW 2007, 1269 Rn. 19; jeweils mwN). Dies ist insbesondere für Fälle anerkannt, in denen der Schuldner nur zur Abwendung eines empfindlichen Übels - vorliegend zur Verhinderung einer Versorgungssperre - handelt (vgl. BGH, Urteile vom 24. Oktober 2002 - I ZR 3/00, BGHZ 152, 233 , 244 f.; vom 24. November 2006 - LwZR 6/05, aaO).

Auch wenn es im Allgemeinen an dem erforderlichen Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO fehlt, soweit eine Leistungsklage möglich ist, gilt dieser Vorrang der Leistungsklage nicht ausnahmslos. Vielmehr bestehen gegen die Zulässigkeit einer Feststellungsklage dann keine Bedenken, wenn bereits diese zur endgültigen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt (BGH, Urteile vom 30. Mai 1995 - IX ZR 78/94, NJW 1995, 2219 unter II 1; vom 27. Juni 1995 - XI ZR 8/94, BGHZ 130, 115 , 119 f.; vom 4. Oktober 2000 - VIII ZR 289/99, NJW 2001, 445 unter II 4; jeweils mwN). So liegt der Fall auch hier. Denn nach der außergerichtlichen Vereinbarung der Parteien vom 8. März 2011, aufgrund derer die Beklagte die Zahlung unter Vorbehalt leistete, ist der Kläger verpflichtet, bei vollständiger oder teilweiser Herabsetzung der Höhe der streitigen Grundgebühr durch das erkennende Gericht gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB die von der Beklagten geleistete Zahlung vollständig oder anteilig nebst Zinsen ab Zahlungseingang zurückzuzahlen. Dieses vertraglich versicherte Einvernehmen lässt eine endgültige Beilegung des Streits bereits durch ein Feststellungsurteil erwarten (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2005 - XI ZR 216/04, NJW-RR 2006, 61 unter II 1).

3. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.

Vorinstanz: LG Cottbus, vom 30.05.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 221/10
Vorinstanz: OLG Brandenburg, vom 17.11.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 2 U 36/14