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BGH - Entscheidung vom 15.12.2016

I ZR 221/15

Normen:
UKlaG § 4
UWG § 8 Abs. 3 Nr. 3
UWG § 12 Abs. 4

Fundstellen:
GRUR 2017, 292
MDR 2017, 473
WRP 2017, 313

BGH, Beschluss vom 15.12.2016 - Aktenzeichen I ZR 221/15

DRsp Nr. 2017/1480

Bemessung der Gerichtskosten nach einem der Wirtschaftslage der Partei angepassten Teil des Streitwerts; Rechtfertigung einer großzügigeren Handhabung der Streitwertbegünstigungsregeln bei Verbraucherverbänden

Streitwertbegünstigungsregeln sind bei Verbraucherverbänden großzügiger zu handhaben als bei Wettbewerbsverbänden, weil erstere ausschließlich im öffentlichen Interesse tätig sind, aber ihre Finanzausstattung durch die öffentliche Hand nicht in gleicher Weise gesichert ist wie bei Wettbewerbsverbänden, die von ihren Mitgliedern finanziell ausreichend ausgestattet werden müssen. Bei der Betrachtung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Verbraucherverbands ist die Lage anhand einer Gesamtbetrachtung und nicht anhand der Belastung des Verbands mit den Kosten allein des konkret anstehenden Rechtsstreits einzuschätzen.

Tenor

Der Antrag der Klägerin, gemäß § 12 Abs. 4 UWG anzuordnen, dass sich die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung von Gerichtskosten nach dem ihrer Wirtschaftslage angepassten Teil des Streitwerts, nämlich 10.000 €, bemisst, wird abgelehnt.

Normenkette:

UKlaG § 4 ; UWG § 8 Abs. 3 Nr. 3 ; UWG § 12 Abs. 4 ;

Gründe

I. Die Beklagte vertreibt über einen in ihren Internetauftritt eingebundenen Onlineshop unter anderem Haushaltselektrogeräte. Am 27. Juli 2012 bewarb sie dort unter anderem eine Exquisit Kühl-Gefrierkombination KGC 270, einen Exquisit Kühlschrank KS 116 RV Top, einen Exquisit Waschautomaten WA 6014, einen Exquisit Standgeschirrspüler GSP 8009 E und einen Exquisit Elektro Standherd ECM5. Der auf den jeweiligen Produktseiten rechts neben der Produktabbildung angebrachte elektronische Verweis (Link) "zur ausführlichen Beschreibung" führte dabei nicht zu einer weiteren Internetseite, sondern allein zu der auf den Produktseiten weiter unten gegebenen Beschreibung der Geräte.

Die Klägerin, ein in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragener Verbraucherschutzverband, ist der Ansicht, die Beklagte habe damit gegen ihre Verpflichtung verstoßen, diese Geräte im Hinblick auf ihren Energieverbrauch zu kennzeichnen, und zugleich wettbewerbswidrig gehandelt. Ihre zuletzt mit dem Antrag, die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen,

im Rahmen geschäftlicher Handlungen Verbrauchern im Internet elektrische netzbetriebene Haushaltswaschmaschinen, elektrische netzbetriebene Haushaltsgeschirrspüler, elektrische netzbetriebene Haushaltskühlgeräte sowie netzbetriebene Elektrobacköfen zum Kauf anzubieten, ohne in der Angebotsbeschreibung wie folgt zu informieren:

-

bei Haushaltskühlgeräten über die in Anhang V der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1060/2010 der Kommission vom 28. September 2010 vorgeschriebenen Angaben in der dort vorgesehenen Reihenfolge,

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bei Haushaltswaschmaschinen über die in Anhang IV der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1061/2010 der Kommission vom 28. September 2010 vorgeschriebenen Angaben in der dort vorgesehenen Reihenfolge,

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bei Haushaltsgeschirrspülern über die in Anhang IV der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1059/2010 der Kommission vom 28. September 2010 vorgeschriebenen Angaben in der dort vorgesehenen Reihenfolge,

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bei Elektrobacköfen über die in Anhang III der Richtlinie 2002/40/EG der Kommission vom 8. Mai 2002 vorgeschriebenen Angaben in der dort vorgesehenen Reihenfolge,

sofern dies geschieht wie in Anlage K7, K8 (Haushaltskühlgerät), K10 (Haushaltswaschmaschine), K12 (Haushaltsgeschirrspüler), K14 (Elektrobacköfen) abgebildet,

geführte Klage hatte im zweiten Rechtszug im vollen Umfang Erfolg.

Die Klägerin hatte den Streitwert in der Klage, in der sie die Klageanträge noch nicht auf die von ihr jeweils gesehenen konkreten Verletzungsformen bezogen und auch das Aufstellen von netzbetriebenen Raumklimageräten angegriffen hatte, mit 10.000 € angegeben. Das Landgericht hat den Streitwert für den Rechtsstreit in dieser Höhe festgesetzt. Das Berufungsgericht hat den Streitwert für die erste Instanz bis zur teilweisen Klagerücknahme hinsichtlich der Raumklimageräte auf 50.000 € und für die nachfolgende Zeit auf 40.000 € und in dieser Höhe auch für das Berufungsverfahren festgesetzt.

In der Revisionsinstanz hat die Klägerin beantragt, gemäß § 12 Abs. 4 UWG anzuordnen, dass sich die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung von Gerichtskosten nach dem ihrer Wirtschaftslage angepassten Teil des Streitwerts, nämlich 10.000 €, bemisst.

II. Der Antrag hat keinen Erfolg.

1. Nach § 12 Abs. 4 Satz 1 UWG in der seit dem 9. Oktober 2013 geltenden Fassung kann das Gericht in Rechtsstreitigkeiten, in denen eine Partei durch Klage einen Anspruch aus einem der in diesem Gesetz geregelten Rechtsverhältnisse verfolgt und glaubhaft macht, dass die Belastung mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würde, auf Antrag dieser Partei anordnen, dass die Verpflichtung zur Zahlung von Gerichtskosten sich nach einem der Wirtschaftslage dieser Partei angepassten Teil des Streitwerts bemisst. Die Anordnung hat nach § 12 Abs. 4 Satz 2 UWG zur Folge, dass die begünstigte Partei die Gebühren ihres Rechtsanwalts ebenfalls nur nach diesem Teil des Streitwerts zu entrichten hat (Nr. 1), dass die begünstigte Partei, soweit ihr Kosten des Rechtsstreits auferlegt werden oder soweit sie diese übernimmt, die von dem Gegner entrichteten Gerichtsgebühren und die Gebühren seines Rechtsanwalts nur nach dem Teil des Streitwerts zu erstatten hat (Nr. 2) und dass der Rechtsanwalt der begünstigten Partei, soweit die außergerichtlichen Kosten dem Gegner auferlegt oder von ihm übernommen werden, seine Gebühren von dem Gegner nach dem für diesen geltenden Streitwert beitreiben kann (Nr. 3).

2. Nach einer in der Rechtsprechung und im Schrifttum vertretenen Ansicht soll es für eine Streitwertermäßigung nach § 12 Abs. 4 UWG nicht ausreichen, dass sich der Antragsteller in finanziellen Schwierigkeiten befindet, sofern ihm eine Kreditaufnahme möglich und zumutbar ist oder ein Dritter die Übernahme der Prozesskosten zugesagt hat. Erforderlich sei vielmehr, dass die Partei durch Offenlegung ihrer Vermögens- und Einkommensverhältnisse und gegebenenfalls auch durch eine eidesstattliche Versicherung zu ihrer aktuellen Vermögenslage glaubhaft mache, dass ihr ohne die Streitwertbegünstigung die Insolvenz drohte (OLG Stuttgart, WRP 2016, 766 f.; Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm, UWG , 34. Aufl., § 12 Rn. 5.21; Großkomm.UWG/Ebersohl, 2. Aufl., § 12 F Rn. 70; Büscher in Fezer/Büscher/Obergfell, UWG , 3. Aufl., § 12 Rn. 207).

3. Abweichendes soll allerdings bei Wettbewerbsverbänden gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG (vgl. Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm aaO § 12 Rn. 5.23 unter [2]; MünchKomm.UWG/Schlingloff, 2. Aufl., § 12 Rn. 646; Großkomm.UWG/Ebersohl aaO § 12 F Rn. 72) und insbesondere bei Verbraucherverbänden gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG gelten (vgl. Köhler/Feddersen aaO unter [3]; MünchKomm.UWG/Schlingloff aaO; Großkomm.UWG/Ebersohl aaO Rn. 73). Bei Verbraucherverbänden ist eine großzügigere Handhabung der Streitwertbegünstigungsregeln auch nach dem neuen Recht gerechtfertigt, weil sie ausschließlich im öffentlichen Interesse tätig sind und ihre Funktionsfähigkeit damit in besonderer Weise schützenswert ist (Großkomm.UWG/Ebersohl aaO), andererseits aber ihre Finanzausstattung durch die öffentliche Hand nicht in gleicher Weise gesichert ist wie bei Wettbewerbsverbänden, die von ihren Mitgliedern finanziell ausreichend ausgestattet werden müssen (MünchKomm.UWG/Schlingloff aaO). Dementsprechend ist bei der Betrachtung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Verbraucherverbands die Lage anhand einer Gesamtbetrachtung und nicht anhand der Belastung des Verbands mit den Kosten allein des konkret anstehenden Rechtsstreits einzuschätzen und deshalb bei der Beurteilung der Frage, ob die Finanzierung dieses Rechtsstreits auf der Grundlage des vollen Streitwerts die Erfüllung der satzungsmäßigen Aufgaben im Übrigen erheblich beeinträchtigte, der Gesamtetat des Verbands in den Blick zu nehmen; sich daraus etwa ergebenden Missbrauchsgefahren kann im Rahmen der nach § 12 Abs. 4 Satz 1 UWG zu treffenden Ermessensentscheidung begegnet werden (MünchKomm.UWG/Schlingloff aaO mwN; aA Großkomm.UWG/Ebersohl aaO mwN).

4. Nach diesen Maßstäben ist eine Anordnung, dass sich die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung von Gerichtskosten nach einem Streitwert von 10.000 € bemisst, nicht gerechtfertigt. Die Klägerin hat vorgetragen und durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihres geschäftsführenden Vorstands vom 30. Mai 2016 glaubhaft gemacht, dass ihr mit Bewilligungsbescheid vom 28. August 2015 für das Haushaltsjahr 2016 105.050 € für Prozesskosten in Verfahren nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und dem Unterlassungsklagengesetz bewilligt worden sind. Im Jahr 2015 konnten nach der eidesstattlichen Versicherung vom 30. Mai 2016 zusätzlich zu den dort in entsprechender Höhe bewilligten Mitteln weiterhin 61.674,90 € aus Abmahnpauschalen verwendet werden. Bei diesen Gegebenheiten ist nicht anzunehmen, dass die Ablehnung der Streitwertminderung gemäß § 12 Abs. 4 UWG von 40.000 € auf 10.000 € in der vorliegenden Sache, die nach den Angaben der Klägerin im Falle ihres Unterliegens bezogen auf die Gerichts- und Anwaltskosten in der Revisionsinstanz zu Mehrkosten in Höhe von knapp 5.300 € führt, die Erfüllung der satzungsmäßigen Aufgaben der Klägerin im Übrigen erheblich beeinträchtigte. Nichts anderes ergibt sich, wenn zusätzlich in Rechnung gestellt wird, dass für die Klägerin in der vergleichbar gelagerten Sache I ZR 213/15 ebenfalls Mehrkosten in entsprechender Höhe entstehen können.

Vorinstanz: LG Dortmund, vom 25.06.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 10 O 23/13
Vorinstanz: OLG Hamm, vom 25.08.2015 - Vorinstanzaktenzeichen I-4 U 163/14
Fundstellen
GRUR 2017, 292
MDR 2017, 473
WRP 2017, 313