Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BAG - Entscheidung vom 18.11.2015

10 AZB 34/15

Normen:
ZPO § 120a
ZPO § 124 Abs. 1 Nr. 4
ZPO § 127 Abs. 2
ZPO § 127 Abs. 3 S. 1-2
ZPO § 124 Abs. 1 Nr. 4
ZPO § 127 Abs. 3 S. 1
ZPO § 127 Abs. 3 S. 2

Fundstellen:
AP ZPO § 124 Nr. 2
AUR 2016, 127
EzA-SD 2016, 16
NJW 2016, 892
NZA 2016, 192

BAG, Beschluss vom 18.11.2015 - Aktenzeichen 10 AZB 34/15

DRsp Nr. 2016/138

Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde der Staatskasse gegen die Ablehnung der Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Mitwirkung

Orientierungssatz: Eine Beschwerde, mit der die Staatskasse nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu erreichen sucht, ist auch nach der Neuregelung des Prozesskostenhilferechts durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31. August 2013 (BGBl. I S. 3533) nicht statthaft.

Aus der Beschränkung des Beschwerderechts der Staatskasse auf Fälle der Bewilligung der Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Monatsraten oder aus dem Vermögen zu zahlender Beträge gem. § 127 Abs. 3 S. 1 u. 2 ZPO folgt, dass ein Beschwerderecht der Staatskasse in andern Fällen (hier: Rechtsbeschwerde gegen die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung gem. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ) nicht gegeben ist.

Die Rechtsbeschwerde der Staatskasse des Landes Baden-Württemberg gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 10. Juni 2015 - 4 Ta 8/15 - wird als unzulässig verworfen.

Normenkette:

ZPO § 124 Abs. 1 Nr. 4 ; ZPO § 127 Abs. 3 S. 1; ZPO § 127 Abs. 3 S. 2;

Gründe:

I. Die Rechtsbeschwerde betrifft die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung wegen einer nicht unverzüglich mitgeteilten Änderung der Anschrift der Partei.

Das Arbeitsgericht Stuttgart bewilligte der Klägerin mit Beschluss vom 12. März 2014 ratenfreie Prozesskostenhilfe für eine Kündigungsschutzklage und ordnete ihr Rechtsanwältin B als Prozessbevollmächtigte bei. Mit Schreiben vom 4. Februar 2015 an ihre Prozessbevollmächtigte forderte die zuständige Rechtspflegerin die Klägerin zur Erklärung über ihre derzeitigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf. Nachdem die Prozessbevollmächtigte erklärt hatte, das Schreiben an ihre Mandantin sei mit dem Vermerk "Empfänger nicht zu ermitteln" zurückgekommen und ihr sei eine andere Adresse nicht bekannt, ermittelte die zuständige Rechtspflegerin die aktuelle Adresse der Klägerin im Wege einer sog. einfachen Behördenauskunft. Die Adresse teilte sie der Prozessbevollmächtigten mit und gewährte mit einem weiterem Schreiben vom 11. März 2015 Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung wegen eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Mitteilung der Änderung der Anschrift. Die Klägerin erklärte unter dem 28. März 2015 schriftlich, sie habe es "durch ein Versäumnis" verpasst, ihre Adressänderung "seit Mai 2014" mitzuteilen, und bitte um Entschuldigung.

Mit Beschluss vom 8. April 2014 hat das Arbeitsgericht die Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufgehoben. Der sofortigen Beschwerde hat es mit Beschluss vom 3. Juni 2015 nicht abgeholfen. Mit Beschluss vom 10. Juni 2015 hat das Landesarbeitsgericht den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 8. April 2014 aufgehoben und die Rechtsbeschwerde für die Staatskasse zugelassen.

II. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

1. Die Bezirksrevisorin, die die Rechtsbeschwerde form- und fristgemäß eingelegt und begründet hat (§ 575 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO ), ist als Vertreterin der Staatskasse unmittelbar postulationsfähig (vgl. BGH 11. Mai 2005 - XII ZB 242/03 - Rn. 7 f.; BAG 5. November 2012 - 3 AZB 23/12 - Rn. 9, BAGE 143, 250).

2. Die Rechtsbeschwerde, mit der die Staatskasse nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu erreichen sucht, ist nicht statthaft. Der Staatskasse steht kein Beschwerderecht zu.

a) Nach § 127 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 ZPO hat die Staatskasse ein Beschwerderecht gegen solche Entscheidungen im Prozesskostenhilfeverfahren, die nach Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei dazu führen, dass Prozesskostenhilfe ohne die Festsetzung von Monatsraten oder aus dem Vermögen zu zahlender Beträge bewilligt wird (BAG 5. November 2012 - 3 AZB 23/12 - Rn. 10, BAGE 143, 250; BGH 8. Mai 2013 - XII ZB 282/12 - Rn. 18). Das Beschwerderecht der Staatskasse ist nach § 127 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO auf die Fälle beschränkt, in denen Prozesskostenhilfe zwar bewilligt, rechtsfehlerhaft jedoch weder eine Ratenzahlung aus dem Einkommen noch eine Zahlung aus dem Vermögen der Partei angeordnet wurde. Sinn und Zweck des Beschwerderechts bestehen ausweislich der Gesetzesbegründung darin, sicherzustellen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei gründlich ermittelt und Haushaltsmittel nur zugunsten der wirklich bedürftigen Rechtsuchenden eingesetzt werden (vgl. BT-Drs. 10/6400 S. 42, 48 und BTDrs. 10/3054 S. 50 f.). Es sollen mithin zu Unrecht erfolgte "Nulltarifbewilligungen" nachträglich im Interesse der Länderhaushalte korrigiert werden können. Dementsprechend hat der Gesetzgeber der Staatskasse nur ein auf diesen Umfang beschränktes Beschwerderecht zugebilligt (BGH 17. November 2009 - VIII ZB 44/09 - Rn. 4), das auch die nachfolgenden Entscheidungen gemäß § 120a ZPO erfasst, durch die nach neuer Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die zuvor ratenfrei bewilligte Prozesskostenhilfe aufrechterhalten oder die zunächst angeordnete Ratenzahlung später aufgehoben wird (vgl. zur Vorgängervorschrift des § 120 Abs. 4 ZPO BGH 8. Mai 2013 - XII ZB 282/12 - Rn. 29). Eine von der Staatskasse mit dem Ziel eingelegte Beschwerde, die Verweigerung von Prozesskostenhilfe zu erreichen, ist danach nicht statthaft (BGH 17. November 2009 - VIII ZB 44/09 - Rn. 4).

b) Diese Einschränkung der Beschwerdebefugnis gilt auch nach der Neuregelung des Prozesskostenhilferechts durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31. August 2013 (BGBl. I S. 3533). Der noch im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltenen Ausweitung des Beschwerderechts der Staatskasse mit dem Ziel, dieser auch ein Beschwerderecht bei Entscheidungen über die Aufhebung von Prozesskostenhilfebewilligungen einzuräumen (BT-Drs. 17/11472 S. 9, 36), ist der Rechtsausschuss entgegengetreten (BT-Drs. 17/13538 S. 9, 27). Die von der Bundesregierung beabsichtigte Änderung des Beschwerderechts der Staatskasse ist später auch nicht Bestandteil der beschlossenen Gesetzesänderungen geworden, die Rechtslage ist insoweit vielmehr unverändert geblieben. Dies verdeutlicht den Willen des Gesetzgebers, die Beschwerdebefugnis der Staatskasse auf Fälle der vorliegenden Art nicht zu erstrecken.

3. An der Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde ändert nichts, dass das Landesarbeitsgericht diese zugelassen hat. Ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel kann grundsätzlich nicht allein dadurch zulässig werden, dass die Vorinstanz das Rechtsmittel zulässt (BAG 15. September 2005 - 3 AZB 48/05 - Rn. 5).

III. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens findet gemäß § 127 Abs. 4 ZPO nicht statt.

Verhältnis zu bisheriger Rechtsprechung:

Fortführung von BAG 5. November 2012 - 3 AZB 23/12 - BAGE 143, 250

Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg, vom 08.04.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 30 Ca 240/14
Vorinstanz: ArbG Stuttgart, vom 08.04.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 30 Ca 240/14
Fundstellen
AP ZPO § 124 Nr. 2
AUR 2016, 127
EzA-SD 2016, 16
NJW 2016, 892
NZA 2016, 192