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BVerfG - Entscheidung vom 05.05.2008

1 BvR 808/08

Normen:
GG Art. 12 Abs. 1
SGB V § 75 Abs. 3
SGB V § 77 Abs. 5
SGB V § 95 Abs. 3 S. 1
BVerfGG § 93a Abs. 2

BVerfG, Beschluss vom 05.05.2008 - Aktenzeichen 1 BvR 808/08

DRsp Nr. 2010/16055

Verfassungsmäßigkeit des § 75 Abs. 3a bis 3c Sozialgesetzbuch Fünftes Buch ( SGB V ) im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Normenkette:

GG Art. 12 Abs. 1 ; SGB V § 75 Abs. 3 ; SGB V § 77 Abs. 5 ; SGB V § 95 Abs. 3 S. 1; BVerfGG § 93a Abs. 2 ;

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen § 75 Abs. 3a bis 3c des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - ( SGB V ), eingefügt durch Art. 1 Nr. 48 Buchstabe b des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV- WSG ) vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 378), sowie gegen § 75 Abs. 3a Satz 1 SGB V in der Fassung von Art. 2 Nr. 8a Buchstabe a GKV- WSG .

Der Beschwerdeführer, ein zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassener Zahnarzt, rügt eine Verletzung seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit. Durch die angegriffene Regelung werde den Vertragszahnärzten im Rahmen ihrer privatzahnärztlichen Tätigkeit eine Behandlungspflicht gegenüber Standard- und Basistarifversicherten zu gesetzlich festgelegten Gebührensätzen auferlegt. Der Eingriff sei nicht gerechtfertigt, da die Norm mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundesgesetzgebers und wegen Verstößen gegen den Parlamentsvorbehalt sowie das Verhältnismäßigkeitsprinzip verfassungswidrig sei.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der von dem Beschwerdeführer als verletzt gerügten Rechte angezeigt; denn die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

Der Beschwerdeführer ist nicht beschwerdebefugt; er ist durch die angegriffene gesetzliche Regelung des § 75 Abs. 3a bis 3c SGB V nicht unmittelbar in seinen Grundrechten betroffen.

Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz, so setzt die Beschwerdebefugnis voraus, dass der Beschwerdeführer durch die angegriffene Norm nicht nur selbst und gegenwärtig, sondern auch unmittelbar in seinen Grundrechten betroffen ist (vgl. BVerfGE 115, 118 <137>; stRspr). Eine unmittelbare Betroffenheit liegt vor, wenn die angegriffene Bestimmung, ohne eines weiteren Vollzugsaktes zu bedürfen, die Rechtsstellung des Beschwerdeführers verändert (vgl. BVerfGE 115, 118 <137>; m.w.N.). Dieser muss also geltend machen, dass er gerade durch die Norm und nicht erst durch ihren Vollzug in seinen Grundrechten betroffen ist. Eine unmittelbare Betroffenheit wird auch dann bejaht, wenn die Norm ihren Adressaten bereits vor konkreten Vollzugsakten zu später nicht mehr korrigierbaren Dispositionen veranlasst (vgl. BVerfGE 97, 157 <164>; m.w.N.), oder wenn gegen einen denkbaren Vollzugsakt nicht oder nicht in zumutbarer Weise vorgegangen werden kann (vgl. BVerfGE 115, 118 <137>; m.w.N). Das setzt aber jeweils voraus, dass das Gesetz der Verwaltung bei der Umsetzung des Gesetzes keinen Auslegungs- oder Entscheidungsspielraum lässt (vgl. BVerfGE 43, 291 <386>).

Der Beschwerdeführer wird von der Übertragung des Auftrags der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung von Standard- und Basistarifversicherten auf die Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen gemäß § 75 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht in diesem Sinne unmittelbar betroffen. Adressaten der Norm sind nicht die Vertragsärzte, sondern die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 77 Abs. 5 SGB V ) von ihren Mitgliedern (vgl. § 77 Abs. 3 SGB V ) unabhängige juristische Personen des öffentlichen Rechts sind. Durch die Regelung wird die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nicht verändert. Die Übertragung eines von der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung unabhängigen weiteren Sicherstellungsauftrags an die Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen führt nicht als solche zu einer Ausweitung der Pflichten des einzelnen Vertragsarztes. Von Gesetzes wegen ist der Vertragsarzt durch § 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V nur zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung verpflichtet, wodurch er an der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung im Sinne von § 75 Abs. 1 SGB V mitwirkt. Da sich die Versorgung der Standard- und Basistarifversicherten außerhalb des Systems vertragsärztlicher Versorgung vollzieht, führt die angegriffene Übertragung des diesbezüglichen Sicherstellungsauftrags nicht zu einer unmittelbaren Erstreckung der gesetzlichen Behandlungsverpflichtung des Vertragsarztes auf diese Patientengruppe.

Die angegriffene Norm ändert die Rechtsstellung des einzelnen Vertragsarztes demnach nicht ohne weiteres, sondern bedarf der Umsetzung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen. Dabei liegt keine Fallkonstellation vor, in der trotz eines noch erforderlichen Vollzugsaktes eine unmittelbare Betroffenheit durch die gesetzliche Regelung zu bejahen ist; denn das Gesetz lässt den Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen bei der Umsetzung ihrer Aufgabe einen Gestaltungsspielraum, der die Annahme einer unmittelbaren Betroffenheit ausschließt (vgl.

BVerfGE 43, 291 <386>). § 75 Abs. 3a Satz 1 SGB V bestimmt nicht, in welcher Form der übertragene Sicherstellungsauftrag wahrzunehmen ist; vielmehr bleibt es den Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen überlassen, in welcher Art und Weise sie den Auftrag erfüllen. Die Übertragung des Sicherstellungsauftrags steht einer gesetzlichen Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, alle ihre Mitglieder zur Behandlung der Standard- und Basistarifversicherten zu verpflichten, daher nicht gleich. Ihnen ist vielmehr eine Gestaltungsfreiheit eingeräumt, kraft derer sie selbstverantwortlich und aufgrund eigener Sachkunde und Willensbildung zu entscheiden haben, wie sie die Aufgabe am zweckmäßigsten lösen (vgl. BVerfGE 62, 354 <365>).

Trifft demnach den Beschwerdeführer keine mit der Verfassungsbeschwerde angreifbare unmittelbare gesetzliche Behandlungsverpflichtung gegenüber Standard- und Basistarifversicherten, so ist er auch durch die von ihm als verfassungswidrig beanstandete Kombination einer Behandlungsverpflichtung mit gesetzlich festgelegten Gebührensätzen in Gestalt der angegriffenen Gesamtregelung des § 75 Abs. 3a bis 3c SGB V nicht unmittelbar beschwert und die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.