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BVerfG - Entscheidung vom 09.01.2006

1 BvR 2483/05

Fundstellen:
NJW 2006, 1505
NVwZ 2006, 1049

BVerfG, Beschluss vom 09.01.2006 - Aktenzeichen 1 BvR 2483/05

DRsp Nr. 2006/6743

Gründe:

I. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch amtsgerichtliche Entscheidungen.

1. Nach Beendigung eines Wohnraummietverhältnisses wurde der Beschwerdeführer von der Vermieterin, der Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Klägerin), auf Zahlung von 3.500,70 EUR als Aufwendungs- und Schadensersatz wegen unterbliebener Schönheitsreparaturen und Beschädigungen der Mietsache in Anspruch genommen.

Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer zur Zahlung von 528,50 EUR nebst Zinsen und wies die Klage im Übrigen ab. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein. Der Beschwerdeführer wandte sich mit der Gehörsrüge gegen das Urteil. Er habe mit einem Gegenanspruch in Höhe von 600 EUR hilfsweise die Aufrechnung erklärt. Diese Aufrechnung habe das Amtsgericht übergangen. Die Gehörsrüge wies das Amtsgericht als "derzeit unzulässig" zurück. Der Beschwerdeführer habe die Möglichkeit der Anschlussberufung; demgegenüber sei die Anhörungsrüge subsidiär. Auch eine Gegenvorstellung gegen diesen Beschluss blieb vor dem Amtsgericht ohne Erfolg. Die Gehörsrüge sei derzeit unzulässig, weil dem Beschwerdeführer mit der Anschlussberufung ein vollwertiges Rechtsmittel zur Verfügung stehe.

2. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ). Das Urteil des Amtsgerichts erwähne die hilfsweise erklärte Aufrechnung weder im Tatbestand noch in den Entscheidungsgründen. Es sei deshalb davon auszugehen, dass die Hilfsaufrechnung übersehen worden sei. Die Zurückweisung von Gehörsrüge und Gegenvorstellung sei fehlerhaft. Auf die nach § 524 ZPO statthafte Anschlussberufung könne er nicht verwiesen werden, weil diese unselbständig sei. Nehme die Klägerin die Berufung zurück, werde seine Anschlussberufung gegenstandslos, und er habe wegen des zwischenzeitlichen Fristablaufs keine Möglichkeit mehr, die erstinstanzlichen Entscheidungen anzugreifen.

II. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung des als verletzt bezeichneten grundrechtsgleichen Rechts angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

1. Vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde ist nicht nur der in der maßgeblichen Prozessordnung vorgesehene Rechtsweg zu erschöpfen. Der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität erfordert vielmehr auch, dass der Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung durch die Fachgerichte zu erwirken. Im Rahmen des Zumutbaren (vgl. BVerfGE 77, 275 [282]; 85, 80 [86]) muss der Beschwerdeführer bereits während des Ausgangsverfahrens alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, um den Verfassungsverstoß zu verhindern oder die geschehene Grundrechtsverletzung zu beseitigen (vgl. BVerfGE 22, 287 [290 f.]; 81, 97 [102 f.]; 112, 50 [60]).

2. Vor diesem Hintergrund hätte der Beschwerdeführer zunächst von der Möglichkeit der Anschlussberufung Gebrauch machen müssen.

a) Durch die Anschlussberufung (§ 524 ZPO ) kann der Beschwerdeführer - obwohl für ihn weder die Berufungssumme erreicht noch die Berufung zugelassen ist (vgl. § 511 Abs. 2 ZPO ) - eine Überprüfung des ihn belastenden Teils des erstinstanzlichen Urteils herbeiführen (vgl. BGH, NJW 1984, S. 2951 [2952]). Dem Beschwerdeführer ist damit eine Möglichkeit eröffnet, eine Berücksichtigung der von ihm geltend gemachten Hilfsaufrechnung bei der Entscheidung des Rechtsstreits zu erreichen und damit die von ihm gerügte Gehörsverletzung auszuräumen.

b) Dem Beschwerdeführer ist die Einlegung der Anschlussberufung auch zumutbar.

Der Zumutbarkeit steht insbesondere nicht entgegen, dass die Anschlussberufung unselbständig ist und ihre Wirkung etwa bei Rücknahme der Hauptberufung verliert (§ 524 Abs. 4 ZPO ). In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Anschlussberufung nicht von der Nebenintervention (§ 66 ZPO ), die durch eine - vom Nebenintervenienten nicht zu verhindernde - Klagerücknahme beendet wird (vgl. BGH, NJW 1965, S. 760). Gleichwohl ist die Nebenintervention in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Anwendungsfall des Subsidiaritätsgrundsatzes anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 1998, S. 2663 [2664]; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 598 [600]).

Die Unzumutbarkeit einer Anschlussberufung kann ferner nicht damit begründet werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Berufungsrücknahme wegen des zwischenzeitlichen Fristablaufs gehindert sein könnte, die erstinstanzlichen Entscheidungen noch anzugreifen. Diese Gefahr besteht nicht. Da der Subsidiaritätsgrundsatz verlangt, dass der Beschwerdeführer den Versuch unternimmt, eine behauptete Grundrechtsverletzung im Rahmen einer Anschlussberufung zu beseitigen, ist die möglicherweise eintretende Versäumung der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG wegen einer späteren Berufungsrücknahme dem Beschwerdeführer nicht vorwerfbar. Gegen die Fristversäumung wäre ihm daher gemäß § 93 Abs. 2 BVerfGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG ).

Vorinstanz: AG Hersbruck, vom 11.11.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 2 C 0103/05
Vorinstanz: AG Hersbruck, vom 22.09.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 1 C 0103/05
Vorinstanz: AG Hersbruck, vom 10.08.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 1 C 0103/05
Fundstellen
NJW 2006, 1505
NVwZ 2006, 1049