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Verspätetes Vorbringen im Verfahren zur Befristung des Unterhalts

Präklusion von Vorbringen zur Befristung des Unterhaltsanspruchs, das eine Partei aufgrund der Grundsatzentscheidung vom 12.04.2006 bereits im rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozess hätte geltend machen können.

 Amtliche Leitsätze:
a) Wurde ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2 BGB nach Veröffentlichung des Senatsurteils vom 12.04.2006 (XII ZR 240/03 - FamRZ 2006, 1006) durch Urteil festgelegt, so ergibt sich weder aus der anschließenden Senatsrechtsprechung noch aus dem Inkrafttreten des § 1578 b BGB am 01.01.2008 eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse. Auch § 36 Nr. 1 EGZPO bietet in diesem Fall keine eigenständige Abänderungsmöglichkeit (im Anschluss an Senatsurteil BGHZ 183, 197 = FamRZ 2010, 111).
b) Das gilt auch dann, wenn aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind, die von der Unterhaltsberechtigten betreut wurden.
BGH , Urt. v. 29.09.2010 – XII ZR 205/08, DRsp-Nr. 2010/18447
Vorinstanz: OLG Saarbrücken v. 04.12.2008 - 6 UF 40/08, DRsp-Nr. 2009/5390
Darum geht es:
Die Parteien sind seit 1995 geschiedene Eheleute. Sie waren 15 Jahre verheiratet, haben zwei gemeinsame Kinder und streiten in diesem Verfahren über die Befristung des nachehelichen Aufstockungsunterhalts.
Der Unterhalt wurde zuletzt festgelegt durch Urteil des Oberlandesgerichts vom 22.03.2007. Eine Befristung und Herabsetzung des Unterhalts hat der Kläger seinerzeit nicht geltend gemacht.
Mit der im November 2007 erhobenen Abänderungsklage erstrebt der Kläger den Wegfall seiner Unterhaltspflicht. Er beruft sich darauf, dass sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Befristung und Begrenzung des Aufstockungsunterhalts in der Zwischenzeit geändert habe. Jedenfalls sei der Unterhaltstitel für die Zeit ab Januar 2008 wegen des Unterhaltsrechtsänderungsgesetzes abzuändern, weil durch dieses die Herabsetzung und zeitliche Beschränkung des Unterhalts hervorgehoben worden seien und nach § 36 Nr. 2 EGZPO die Präklusionsbestimmung des § 323 Abs. 2 ZPO nicht gelten würde.
Seine Klage wurde in allen Instanzen abgewiesen.
Wesentliche Entscheidungsgründe:

Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist.
Die Abänderung einer rechtskräftigen Entscheidung über den Unterhalt setzt nach § 323 Abs. 1 ZPO aF voraus, dass sich die für die Bestimmung der Höhe und Dauer der Leistungen maßgebenden Verhältnisse wesentlich geändert haben. Die wesentliche Änderung kann begründet liegen, in einer
    * Änderung der Tatsachenlage
    * Änderung eines der Entscheidung zugrundeliegenden Gesetzes
    * Änderung der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung
Dies war lange in der Rechtsprechung anerkannt und ist nunmehr in § 238 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 323 Abs. 1 Satz 2 ZPO nF auch gesetzlich klargestellt worden.
Vorliegend ist der Kläger mit seinem Befristungseinwand jedoch präkludiert. Sämtliche Gründe, auf die der Kläger sein Abänderungsverlangen stützt, lagen bereits zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozess vor. Zu diesem Zeitpunkt hätte er die für eine Befristung maßgeblichen Kriterien geltend machen können und müssen. Das gilt für die maßgeblichen tatsächlichen Umstände ebenso wie für die rechtlichen Bewertungen.
Rechtsprechungsänderung präkludiert

Entgegen der Auffassung des Klägers liegt die maßgebliche Rechtsprechungsänderung nicht erst in den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 26.09.2007 (XII ZR 11/05 - FamRZ 2007, 2049 und XII ZR 15/05 - FamRZ 2007, 2052), sondern bereits in dessen Entscheidung vom 12.04.2006 (XII ZR 240/03 - FamRZ 2006, 1006). Der einzige Unterschied besteht darin, dass erst der späteren Entscheidung über eine Ehe entschieden wurde, aus der Kinder hervorgegangen sind. Dies ist jedoch unerheblich.
Bereits in der maßgeblichen Entscheidung vom 12.04.2006 hat der BGH im Gegensatz zu seiner vorausgegangenen Rechtsprechung die Ehedauer in ihrer Bedeutung nicht mehr anderen Billigkeitskriterien vorangestellt. Entscheidend für die Befristung nach § 1573 Abs. 5 BGB (aF) sind seitdem die (Erwerbs-)Nachteile für den Unterhaltsberechtigten. Während diese eine Befristung in der Regel auch bei kurzer Ehedauer hindern würden, stehe ohne ehebedingte Nachteile selbst eine lange Ehedauer der Befristung nicht schon für sich genommen entgegen. Dass die Ehe der Parteien mit einer Dauer von annähernd fünfzehn Jahren zuzüglich der Zeiten der nachehelichen Kinderbetreuung als Ehe von langer Dauer anzusehen war, hätte die Befristung bereits nach dieser Entscheidung aus dem Jahr 2006 nicht (mehr) ausgeschlossen. Statt dessen wäre es schon nach dem Stand der Rechtsprechung zum Zeitpunkt der abschließenden mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht am 01.03.2007 vorwiegend auf die Frage angekommen, ob der Beklagten nach der Scheidung ehebedingte Nachteile verblieben sind.
Da das Gericht die Frage der Befristung von Amts wegen zu prüfen hat und jedenfalls bei einer abgeschlossenen Entflechtung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten auch nicht offen lassen darf (vgl. Senatsurteil vom 14.04.2010 - XII ZR 89/08 - FamRZ 2010, 869 Rn. 51, 52), erfasst die Rechtskraft des Urteils im Zweifel auch die künftige Befristung, die damit bei unveränderter Tatsachenlage ausgeschlossen ist (Senatsurteil vom 26.05.2010 -XII ZR 143/08 -FamRZ 2010, 1238 Rn. 25).
Keine Gesetzesänderung

Auch soweit der Kläger eine Abänderung wegen Änderung der Gesetzeslage begehre, stehe die Zeitschranke des § 323 Abs. 2 ZPO (aF) entgegen. Durch das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz vom 21.12.2007 hat sich die Rechtslage für die vorliegende Fallkonstellation nicht geändert. Denn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nach § 323 Abs. 1 ZPO aF (§ 238 Abs. 1 Satz 2 FamFG; § 323 Abs. 1 Satz 2 ZPO nF) liegt nur vor, wenn die Gesetzesänderung für den konkreten Einzelfall erheblich ist. Das ist hier nicht der Fall.
Zwar ist im Fall, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte gemeinsame Kinder betreut hat, der Gesetzeswortlaut geändert worden, indem die in § 1573 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2, § 1578 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB aF noch enthaltene Regelung, dass eine fortlaufende und ungeminderte Unterhaltszahlung in der Regel nicht unbillig ist, wenn der Unterhaltsberechtigte nicht nur vorübergehend ein gemeinschaftliches Kind allein oder überwiegend betreut hat oder betreut, nicht in § 1578 b BGB übernommen worden ist. Damit war aber eine materielle Rechtsänderung nicht verbunden. Denn die Kinderbetreuung stand schon nach der bis 2007 geltenden Rechtslage einer Befristung oder Herabsetzung des Unterhalts nicht generell entgegen, sondern entsprechend §§ 1573 Abs. 5 Satz 2, 1578 Abs. 1 Satz 3 BGB aF nur in Abhängigkeit von ihrer Dauer.
Der Gesetzgeber ist mit dem Unterhaltsrechtsänderungsgesetz vom 21.12.2007 insoweit von der bestehenden Rechtsprechung des Senats ausgegangen, die gerade im Jahr 2007 mehrfach auch in Fällen mit Kinderbetreuung ergangen war. Er hat durch die Streichung der einschränkenden Formulierung keine sachliche Änderung vorgenommen, sondern das Gesetz lediglich entsprechend klargestellt (vgl. Senatsurteile BGHZ 183, 197 = FamRZ 2010, 111 Rn. 60 und vom 27.01.2010 - XII ZR 100/08 - FamRZ 2010, 538 Rn. 34; BT-Drucks. 16/1830 S. 18 ff.).
Keine Abänderung gestützt auf § 36 Nr. 1 EGZPO

Wie der Senat bereits entschieden hat (BGHZ 183, 197 = FamRZ 2010, 111 - Rn. 62, 63), eröffnet § 36 Nr. 1 EGZPO keine eigenständige Abänderungsmöglichkeit, sondern stellt lediglich klar, dass die Gesetzesänderung ein Anwendungsfall des § 323 Abs. 1 ZPO (aF) ist.
In der Sache ist eine Anpassung von bestehenden Titeln und Unterhaltsvereinbarungen danach nur möglich, wenn eine wesentliche Änderung der Unterhaltsverpflichtung eintritt. In einer Gesamtschau aller Umstände ist zu prüfen, in welchem Umfang sich die für Unterhaltsverpflichtung und -bemessung maßgeblichen Verhältnisse geändert haben.
Im vorliegenden Fall sind die für die Befristung angeführten Umstände nicht erst durch das neue Unterhaltsrecht erheblich geworden. Sie hätten bereits aufgrund der zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess geltenden Gesetzeslage und Rechtsprechung für eine Befristung des Unterhalts vorgebracht werden können.