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Unterhaltspflicht von Hartz IV Empfängern

OLG Hamm: Sozialhilfeempfänger ist nicht verpflichtet einer Geringverdienertätigkeit nachzugehen, um höheren Unterhalt für sein minderjähriges Kind zu zahlen.

Darum geht es

Wie bei jedem Unterhaltspflichtigen stellt sich auch bei einem Sozialhilfeempfänger die Frage, ob von ihm eine Nebentätigkeit verlangt werden kann und in welchem Umfang ihm ggf. erzielte oder erzielbare Einkünfte zusätzlich zur Sozialhilfe belassen werden. Denn nur diese anrechnungsfreien Beträge stehen auch zur Erfüllung von Unterhaltspflichten zur Verfügung. Die Oberlandesgerichte beantworten diese wichtige Frage allerdings unterschiedlich.

Entscheidung der Vorinstanz

Der aus einer nichtehelichen Beziehung stammende Sohn nimmt seinen Vater auf Minderjährigenunterhalt in Anspruch. Der Vater, der einem weiteren, bei ihm lebenden Kind unterhaltspflichtig ist, hat eine chronisch floride, hochaktive Hepatitis B und ist nicht erwerbstätig. Der Sohn ist der Ansicht, dass der Vater, der SGB-II-Leistungen bezieht, in der Lage sei, einer Geringverdienertätigkeit nachzugehen und so 400 € monatlich zu verdienen. Dieser Argumentation ist das Familiengericht nicht gefolgt.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des Sohnes ist nicht begründet. Selbst bei Anrechnung eines fiktiven Einkommens in Höhe von 400 € würden dem Vater monatlich lediglich 215 € anrechnungsfrei verbleiben. Hierbei ergibt sich die Anrechnungsfreiheit in Höhe von 55 € aus § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II aufgrund des vorhandenen Unterhaltstitels in der genannten Höhe und in Höhe von 160 € aus § 11b Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II.

Das OLG hält an seiner in ständiger Rechtsprechung vertretenen Ansicht fest, dass die Vorschrift des § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II nicht zu einer Ausweitung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit für den Fall zu titulierenden Unterhalts führt. So auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.06.2010 – II-8 UF 46/10, DRsp-Nr. 2010/12785 = FamRZ 2010, 1740; OLG Hamm, Urt. v. 24.03.2009 – 13 UF 2/09, DRsp-Nr. 2009/25946 = FamRZ 2010, 570; Klinkhammer in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Auflage 2011, § 8 Rdnr. 197 am Ende.

Beurteilung der Leistungsfähigkeit nach bürgerlichem Recht

Dem Regelungsinhalt der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass titulierte Unterhaltsansprüche bereits aufgrund der Möglichkeit einer jederzeitigen Pfändung dem Empfänger von Sozialleistungen nicht als bereites Einkommen zur Verfügung stehen. Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ist nach § 1603 BGB zu beurteilen und wird durch eine sozialrechtliche Vorschrift über die Anrechnungsfreiheit bestimmter Einkommensbestandteile nicht erweitert.

Berechnung der Leistungsfähigkeit des Vaters

Würde man Einkünfte aus einer Geringverdienertätigkeit annehmen, wäre bei der Berechnung der Leistungsfähigkeit von einem dem Vater zuzugestehenden Selbstbehalt in Höhe von 860 € auszugehen (Mittelwert von 950 € und 770 €; vgl. Klinkhammer in Wendl/Dose, a.a.O., § 2 Rdnr. 389). Ginge man weiter zugunsten des Sohnes davon aus, dass der dem Vater zustehende Anteil des Selbstbehalts für Wohnkosten in Höhe von 360 € durch entsprechende Sozialleistungen gedeckt ist, verbliebe ein zu berücksichtigender Selbstbehalt von 500 €. Bei einem Regelbedarf von 374 € zuzüglich des anrechnungsfreien Hinzuverdiensts von 215 € verbliebe danach für Unterhaltszwecke ein Betrag in Höhe von [(374 € + 215 € =) 589 € − 500 € =] 89 €.

Von diesem Betrag würden angesichts der weiteren Unterhaltsverpflichtung lediglich 55 % auf den Sohn entfallen, mithin weniger als die bereits titulierten 55 €.

Praxishinweis

Die Frage möglicher Nebenerwerbseinkünfte von Sozialhilfeempfängern ist umstritten.

Zum Teil wird vertreten, dass ein unterhaltspflichtiger ALG-II-Empfänger Erwerbseinkommen beziehen könne, ohne dass dies seine Bezüge nach dem SGB II mindere (OLG Brandenburg, Urt. v. 01.11.2007 – 9 UF 58/07, DRsp-Nr. 2007/22251 und Beschl. v. 07.06.2007 – 10 WF 144/07, DRsp-Nr. 2007/12054; ausführlich Götsche, ZFE 2008, 170). So wird nicht von einer ausreichenden Darlegung mangelnder Leistungsfähigkeit eines Empfängers von SGB-II-Leistungen bei gesteigerter Erwerbsobliegenheit gem. § 1603 Abs. 2 BGB unter Berücksichtigung fiktiver Einkünfte aus einer Nebenbeschäftigung unter Heranziehung von § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II ausgegangen.

Die Gegenansicht (OLG Hamm, Urt. v. 28.04.2009 – 13 UF 2/09, DRsp-Nr. 2011/2258 = NJW 2009, 3446; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.06.2010 – II-8 UF 46/10, DRsp-Nr. 2010/12785 = FamRZ 2010, 1740 m.w.N.; Schürmann, ZFE 2008, 57) geht davon aus, dass § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II nur dann die Möglichkeit eines anrechnungsfreien Hinzuverdiensts in Höhe einer bestehenden Unterhaltsverpflichtung neben dem ALG II eröffnet, wenn der Unterhaltsanspruch bereits bei Beginn des Bezugs des Arbeitslosengeldes tituliert war.

>> zum Volltext: OLG Hamm, Beschl. v. 18.09.2012 – II-2 UF 117/12

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