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Mithaftung des betreuenden Elternteils für den Barunterhalt des minderjährigen Kindes

Auch der betreuende Elternteil kann ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter i.S.v. § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB sein, wenn der Kindesunterhalt von ihm unter Wahrung seines angemessenen Selbstbehalts gezahlt werden kann und ohne seine Beteiligung an der Barunterhaltspflicht ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern entstünde.

Darum geht es

Die Beteiligten streiten um Kindesunterhalt. Der 1997 geborene Antragsteller ist der nicht eheliche Sohn der Antragsgegnerin, bei der er zunächst lebte. Seit 2010 lebt er bei seinem Vater. Das AG hat die Antragsgegnerin, die vollschichtig als Sachbearbeiterin mit einem unterhaltsrechtlich relevanten Nettoeinkommen in Höhe von 2.538 € bei einer Versicherung arbeitet, zur Zahlung eines monatlichen Kindesunterhalts in Höhe von 398 € verpflichtet.

Der verheiratete Vater ist als Rechtsanwalt mit einem unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen in Höhe von rund 5.100 € in einer größeren Kanzlei tätig.

Die Antragsgegnerin meint, angesichts seines hohen Einkommens sei auch der Vater zur Zahlung von Barunterhalt verpflichtet.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Auch der Vater kommt als anderer unterhaltspflichtiger Verwandter in Betracht, der sich am Barunterhalt beteiligen muss, wenn er in der Lage ist, unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen neben der Betreuung des Antragstellers auch dessen Barunterhalt ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Selbstbehalts aufzubringen.

Um die Regel der Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB) dabei nicht ins Leere laufen zu lassen, setzt die anteilige oder vollständige Haftung des betreuenden Elternteils für den Barunterhalt des minderjährigen Kindes zusätzlich voraus, dass ohne die Beteiligung des betreuenden Elternteils am Barunterhalt ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern entstünde.

Demnach kann die Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils entfallen oder sich ermäßigen, wenn er zur Unterhaltszahlung nicht ohne Beeinträchtigung des eigenen angemessenen Unterhalts in der Lage wäre. Kann er demgegenüber – wie hier – auch bei Zahlung des vollen Kindesunterhalts seinen angemessenen Selbstbehalt noch verteidigen, kommt eine vollständige oder anteilige Haftung des betreuenden Elternteils für den Barunterhalt nur in wenigen, besonderen Ausnahmefällen in Betracht.

Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, kann nicht schematisch durch die Gegenüberstellung der beiderseitigen, bei dem barunterhaltspflichtigen Elternteil ggf. auch fiktiven Nettoeinkünfte beurteilt werden. Im Rahmen einer umfassenden Billigkeitsabwägung kann bei dem barunterhaltspflichtigen Elternteil insbesondere berücksichtigt werden, ob der eigene Unterhalt in neuer Lebensgemeinschaft gesichert ist.

Demgegenüber kommt es bei dem betreuenden Elternteil vor allem darauf an, inwieweit er aufgrund der individuellen Verhältnisse durch die Übernahme der Kindesbetreuung neben der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit belastet wird. Daneben kann aber auch die Belastung des betreuenden Elternteils mit anderen – ggf. auch nachrangigen – Unterhaltspflichten von Bedeutung sein. Zugunsten eines wirtschaftlich besser gestellten betreuenden Elternteils ist zu bedenken, dass das minderjährige Kind faktisch auch dessen gehobene Lebensverhältnisse teilt; ein dadurch erzeugter zusätzlicher Barbedarf des Kindes muss von vornherein allein durch den betreuenden Elternteil befriedigt werden.

Wenn der betreuende Elternteil etwa über das Dreifache der unterhaltsrelevanten Nettoeinkünfte des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils verfügt, nähert sich die Einkommensdifferenz einer Grenze, an der es unter gewöhnlichen Umständen der Billigkeit entsprechen kann, den betreuenden Elternteil auch den Barunterhalt für das Kind in voller Höhe aufbringen zu lassen.

Unterhalb dieser Schwelle wird auch bei einer erheblichen Einkommensdifferenz eine vollständige Enthaftung des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils häufig ausscheiden; in welchem Umfang der nicht betreuende Elternteil in solchen Fällen bei der Aufbringung des Barunterhalts ausnahmsweise entlastet werden kann, ist im Einzelfall zu prüfen. Im rechnerischen Ausgangspunkt darf auf den Verteilungsmaßstab der elterlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB) zurückgegriffen werden.

Wird allerdings bei der Quotenberechnung das vergleichbare Einkommen der Eltern dadurch bestimmt, dass von den unterhaltsrelevanten Einkünften beider Elternteile gleichermaßen der angemessene Selbstbehalt als Sockelbetrag abgezogen wird, müssen die auf diese Weise ermittelten Haftungsanteile i.d.R. zugunsten des betreuenden Elternteils wertend verändert werden, um der Gleichwertigkeitsregel des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB Geltung zu verschaffen. Denkbar ist auch, dem betreuenden Elternteil bereits bei der Bestimmung des vergleichbaren Einkommens im Rahmen der Quotenberechnung einen höheren Sockelbetrag zu gewähren. Auch bei erheblich günstigeren Einkommensverhältnissen des betreuenden Elternteils kann der nicht betreuende Elternteil im erhöhten Maße und ggf. auch allein zur Aufbringung des Barunterhalts heranzuziehen sein.

Berücksichtigt werden darf hier, dass der Vater gegenüber seiner Ehefrau, die selbst nur über geringe Einkünfte verfügt, unterhaltspflichtig ist.

Der BGH betont, dass Unterhaltsansprüchen kein allgemeiner Vorrang vor anderen Verbindlichkeiten des Unterhaltspflichtigen zukommt. Erforderlich ist eine umfassende Interessenabwägung, bei der insbesondere der Zweck der Verbindlichkeiten, der Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Dringlichkeit der beiderseitigen Bedürfnisse, die Kenntnis des Unterhaltsschuldners von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld und seine Möglichkeiten von Bedeutung sind, die Leistungsfähigkeit ganz oder teilweise wiederherzustellen.

In Kenntnis der Unterhaltsverpflichtung eingegangene Schulden des Unterhaltspflichtigen sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie unausweichlich notwendige und nicht durch anderweitige Mittel finanzierbare Anschaffungen oder Dienstleistungen betreffen. Überziehungskredite oder sonstige Konsumkredite, die in Kenntnis der Unterhaltspflicht deswegen aufgenommen worden sind, weil der Unterhaltspflichtige mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zur Bestreitung seiner allgemeinen Lebenshaltungskosten nicht auskommt, können unterhaltsrechtlich grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Von gewichtiger Bedeutung ist allerdings der Umstand, ob die Schulden zu einem Zeitpunkt entstanden sind, als der Unterhaltspflichtige mit seiner Inanspruchnahme (noch) nicht rechnen musste.

Weiter zum Volltext: BGH, Beschl. v. 10.07.2013 – XII ZB 297/12, DRsp-Nr. 2013/18519