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Kindesunterhalt und Splittingvorteil des Unterhaltspflichtigen

Urteilsbesprechung mit Praxishinweis: Berücksichtigung des Splittingvorteils bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs und der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen.

BGH, Urt. v. 17.09.2008 - XII ZR 72/06

Der aus einer neuen Ehe des Unterhaltspflichtigen resultierende Splittingvorteil ist sowohl bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs minderjähriger Kinder gemäß § 1610 Abs. 1 BGB als auch bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen im Sinne von § 1603 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen, soweit er auf seinem alleinigen Einkommen beruht.

So wirkt sich das Urteil des BGH auf Ihre Mandate aus:

Für die Berechnung des Kindesunterhalts ist nach wie vor auf die Einkünfte abzustellen, die sich aus der tatsächlichen Besteuerung, also unter Einbeziehung von Splittingvorteilen aus der neuen Ehe, ergeben. Eine fiktive Berechnung ist nicht notwendig (Nachweise zur BGH-Rechtsprechung in der folgenden Urteilsbesprechung). Auf den Rang des Kindes im Verhältnis zu dem Ehegatten des Unterhaltspflichtigen kommt es dabei nicht an.
Lesen Sie dazu auch den vertiefenden Praxishinweis am Ende der Urteilsbesprechung.

Darum geht es:

Die Klägerin zu 1 und der Beklagte sind geschiedene Eheleute, die Kläger zu 2–4 sind ihre gemeinsamen Kinder. Der Beklagte ist erneut verheiratet, seine neue Ehefrau ist einkommenslos. Die Kläger begehren die Abänderung bestehender Unterhaltstitel aufgrund gesteigerter Einkünfte des Beklagten, die u.a. auch auf den neuen Splittingvorteil des Beklagten zurückzuführen sind.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Der BGH führt aus, dass sowohl bei der Bedarfsermittlung nach § 1610 BGB als auch im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen gemäß § 1603 Abs. 1, 2 BGB der sich aus der neuen Eheschließung ergebende Splittingvorteil als Einkommensbestandteil einzubeziehen sei. An Stelle einer fiktiven Steuerberechnung nach der Grundtabelle sei daher vom tatsächlich erzielten Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen auszugehen.

Der Unterhaltsbedarf richte sich beim Verwandtenunterhalt gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt). Das minderjährige Kind leite seine Lebensstellung von seinen Eltern ab. Die für die Höhe des Unterhalts maßgebende Lebensstellung der Eltern werde in der Regel nach deren verfügbaren Einkommen bestimmt. Anders als beim Ehegattenunterhalt sei der Lebensstandard der Kinder nicht auf die zum Zeitpunkt der Ehescheidung vorhandenen Einkommensquellen begrenzt. Vielmehr seien auch erst nach der Scheidung beim Unterhaltspflichtigen entstandene Vorteile wie ein neu hinzugewonnener Splittingvorteil zu berücksichtigen.

Der BGH hält daher ausdrücklich an seiner bereits vor Inkrafttreten der Unterhaltsrechtsreform gewachsenen ständigen Rechtsprechung fest, siehe dazu:

• BGH, Urt. v. 14.03.2007 - XII ZR 158/04, FamRZ 2007, 882, 885
• BGH, Urt. v. 11.05.2005 - XII ZR 211/02, FamRZ 2005, 1817, 1822
• BGH, FamRZ 2008, 1739, 1740
• BGH FamRZ 2008, 968, 973

Siehe zur Gegenauffassung des Berufungsgerichts:

• OLG Oldenburg, Urt. v. 07.03.2006 - 12 UF 154/05, FamRZ 2006, 1223

Siehe zu der in der Literatur vereinzelt geäußerten Kritik:

• Schürmann FamRZ 2008, 313, 322;
• FamRZ 2007, 987, 988;
• Palandt/Brudermüller BGB 67. Aufl. § 1581 Rdn. 9

Der BGH weist noch darauf hin, dass die Betrachtungsweise bei konkurrierenden Ansprüchen auf Ehegattenunterhalt durchaus unterschiedlich sein könne.

Praxishinweis:

Die Problematik der Berücksichtigung des Splittingvorteils als Bestandteil des Einkommens des Unterhaltspflichtigen hat mit der Unterhaltsrechtsreform eine neue Dynamik erhalten. Derzeit kann man sich aufgrund der aktuelle BGH-Rechtsprechung an Folgendem orientieren:

1. Splittingvorteil und Kindesunterhalt

Für die Berechnung des Kindesunterhalts ist nach wie vor auf die Einkünfte ab, die sich aus der tatsächlichen Besteuerung, also unter Einbeziehung von Splittingvorteilen aus neuer Ehe, ergeben. Eine fiktive Berechnung ist nicht notwendig (Nachweise zur BGH-Rechtsprechung s. zuvor). Auf den Rang des Kindes im Verhältnis zu dem Ehegatten des Unterhaltspflichtigen kommt es dabei nicht an.

2. Splittingvorteil und konkurrierende (Ex-)Ehegattenansprüche oder Ansprüche kinderbetreuender Elternteile nach § 1615l BGB

Hier ist nach dem Rang der Ansprüche zu differenzieren:

a. bei Gleichrang der Ansprüche

In folgenden Konstellationen können die Ansprüche des ehemaligen und des aktuellen Ehegatten gleichrangig sein:

• wegen beiderseitigen Betreuungsunterhalts
• bei Betreuungsunterhalt des einen und lang andauernder Ehe des geschiedenen Ehegatten, § 1609 Nr. 2 BGB

Bei Gleichrang der Ansprüche wird der Splittingvorteil bei der Bedarfsbemessung beider Unterhaltsansprüche berücksichtigt. Es hat eine gleichmäßige Aufteilung des vorhandenen Einkommens aller drei Beteiligten zu erfolgen (BGH, FamRZ 2008, 1911, 1916 – re. Sp. –; OLG Düsseldorf, FamRZ 2008, 1254, 1256).

Allerdings fordert der BGH noch eine Kontrollberechnung: Dem geschiedenen Ehegatten darf kein höherer Unterhalt zustehen, als er ohne die neue Ehe des Unterhaltspflichtigen hätte. Zur Kontrolle ist dann der Unterhalt des geschiedenen Ehegatten auf der Grundlage des Einkommens des Unterhaltspflichtigen nach der Lohnsteuerklasse I bzw. Grundtabelle des EStG zzgl. des eventuell vorhandenen Einkommens des geschiedenen Ehegatten zu berechnen (BGH, FamRZ 2008, 1911, 1916 – re. Sp. –; OLG Düsseldorf, FamRZ 2008, 1254, 1256).

Die vorhergehenden Ausführungen gelten an sich auch für eine gleichrangige Konkurrenz von Ehegattenansprüchen mit Ansprüchen aus § 1615l BGB (BGH, FamRZ 2008, 1739, 1746 m. Anm. Maurer, FamRZ 2008, 1830). Da aber der Bedarf des kinderbetreuenden Elternteils nach § 1615l BGB sich nach der eigenen Lebensstellung richtet (§§ 1615 l Abs. 2 und 3, 1610 Abs. 1 BGB; vgl. z.B. Ziff. 18 der UnterhaltsL des Brandenburgischen OLG), ist dies erst bei der Frage der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen von Bedeutung. Eine Kontrollberechnung entfällt daher hier.

b. bei ungleichem Rang der Ansprüche

Sind nachrangige Unterhaltsansprüche betroffen, muss der Splittingvorteil der neuen Ehe vorbehalten bleiben (so Bißmaier, jurisPR-FamR 23/2008 Nr. 5 unter Hinweis auf BGH, FamRZ 2008, 1739, 1746). Es ist daher eine fiktive Berechnung des Einkommens des Unterhaltspflichtigen erforderlich.

Weiterführende Informationen in rechtsportal.de:

• Bibliothek, Lexika, Lexikon des Unterhaltsrechts, "Splittingvorteil"