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Kein Abzug einer zusätzlichen Altersversorgung, wenn kein Mindestunterhalt gezahlt werden kann

Aufwendungen des gesteigert unterhaltspflichtigen Elternteils für eine zusätzliche Altersversorgung und eine Zusatzkrankenversicherung sind unterhaltsrechtlich nicht berücksichtigungsfähig, wenn der Mindestunterhalt für ein minderjähriges Kind andernfalls nicht aufgebracht werden kann.

Darum geht es

In der Rechtsprechung war bisher ungeklärt, ob eine zusätzliche Altersversorgung des Unterhaltspflichtigen auch dann abgezogen werden darf, wenn dieser dadurch keinen Mindestunterhalt zahlen kann. Mit diesem Urteil schafft der BGH nun Klarheit.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Grundsätzlich bestätigt der BGH, dass Aufwendungen für eine zusätzliche Altersversorgung unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen sind, und zwar beim Ehegatten- und Kindesunterhalt mit bis zu 4 % des Gesamtbruttoeinkommens des Vorjahres (BGH, Urt. v. 11.05.2005 – XII ZR 211/02, DRsp-Nr. 2005/17631 = FamRZ 2005, 1817, 1821).

Umfang der gesteigerten Unterhaltspflicht

Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist nur derjenige nicht unterhaltspflichtig, der bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB besteht gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern aber eine gesteigerte Unterhaltspflicht. Daraus ergibt sich für die Eltern eine besondere Verpflichtung zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft, die auch zur Anrechnung fiktiv erzielbarer Einkünfte führen kann.

Kriterien bei der Anerkennung von Ausgaben

Diese besonderen Anforderungen betreffen aber nicht nur die Ausnutzung der Arbeitskraft, sondern auch einen eventuellen Verzicht, der den Eltern im Ausgabenbereich zuzumuten ist. Daher muss im Einzelfall unter umfassender Interessenabwägung beurteilt werden, ob eine Verpflichtung unterhaltsrechtlich als abzugsfähig anzuerkennen ist. Dabei kommt es insbesondere auf den Zweck der Verbindlichkeit, den Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Kenntnis des Unterhaltspflichtigen von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld und andere Umstände an.

Abwägung zwischen Barunterhalt und Altersvorsorge

Bei der gebotenen Abwägung fällt in erster Linie ins Gewicht, dass es wesentliche Aufgabe des barunterhaltspflichtigen Elternteils ist, das Existenzminimum seines minderjährigen Kindes sicherzustellen. Diesem ist im Gegensatz zu Erwachsenen aufgrund seines Alters von vornherein die Möglichkeit verschlossen, durch eigene Anstrengungen zur Deckung seines notwendigen Lebensbedarfs beizutragen. Demgegenüber kommt der zusätzlichen Altersversorgung des Unterhaltspflichtigen keine vergleichbare Dringlichkeit zu. Dass der 1967 geborene Unterhaltspflichtige im Alter sein Existenzminimum nicht wird decken können, ist nicht festgestellt worden. In der Vergangenheit hat er bereits zusätzlich für sein Alter vorgesorgt und kann diese Vorsorge auch fortsetzen, wenn die gesteigerte Unterhaltspflicht nicht mehr besteht.

Ergebnis der Interessenabwägung zugunsten des Kindes

Seine kapitalbildende Lebensversicherung kann er für einige Zeit ruhend stellen. Bei dieser Sachlage kann eine zusätzliche Altersversorgung des gesteigert unterhaltspflichtigen Elternteils, der zur Zahlung des Mindestunterhalts für sein minderjähriges Kind nicht in der Lage ist, nicht anerkannt werden, weil die Interessen des Kindes gewichtiger sind als diejenigen des Elternteils.

Kein „Pfändungsschutz“ der Einkünfte für eine private Altersvorsorge

Der auf § 851c ZPO gestützte Vorrang der zusätzlichen Altersversorgung steht dem nicht entgegen. Nach § 851c Abs. 2 Satz 1 ZPO kann der Schuldner nach seinem Lebensalter gestaffelt jährlich einen bestimmten Betrag auf der Grundlage eines nach § 851c Abs. 1 ZPO abgeschlossenen privaten Altersrentenvertrags pfändungsfrei ansammeln. Ein weiter gehender Schutz, der auch das Einkommen des Schuldners erfasst, das zum Aufbau der privaten Altersversorgung eingesetzt wird, und nicht nur das angesparte Vermögen, ist der Regelung aber nicht zu entnehmen.

Historische Auslegung maßgebend

Zwar könnte der Wortlaut des § 851c Abs. 2 ZPO, nach dem der Schuldner unabhängig von seinem Lebensalter einen bestimmten Betrag pro Jahr „unpfändbar ansammeln“ kann, dafür sprechen, dass auch die Einkünfte des Schuldners, die dieser einsetzt, um eine geschützte Altersvorsorge i.S.d. § 851c Abs. 1 ZPO aufzubauen, pfändungsfrei bleiben müssen. Nach der Entstehungsgeschichte des § 851c ZPO kommt jedoch eine entsprechende Auslegung der Vorschrift nicht in Betracht.

Kein Abzug der Krankenzusatzversicherung

Aus den gleichen Erwägungen ist nach Auffassung des BGH auch die private Krankenzusatzversicherung des Unterhaltspflichtigen nicht berücksichtigungsfähig.

Folgerungen aus der Entscheidung

Der BGH berücksichtigt auch, dass es sich bei der zusätzlichen Altersvorsorge um eine kapitalbildende Lebensversicherung handelt, die ohne Schwierigkeiten für einige Zeit ruhend gestellt werden kann. Die zusätzliche Altersvorsorge kann aber auch in der Tilgung der Belastungen einer Eigentumswohnung oder eines Hauses bestehen (siehe zuletzt BGH, Urt. v. 11.01.2012 – XII ZR 22/10, DRsp-Nr. 2012/8462 = FamRZ 2012, 56). Dann dürfte eine Aussetzung der Zahlungen sich deutlich schwerer realisieren lassen und zumindest die Zustimmung der finanzierenden Bank erfordern.

Werden bestimmte Aufwendungen unterhaltsrechtlich nicht als Abzugsposten anerkannt, können – wie der BGH erneut betont – aber auch die sich daraus ergebenden Steuervorteile nicht als anzurechnende Einkünfte herangezogen werden. Dies gilt zum einen bei den Abzügen von Vorsorgeaufwendungen für die Beiträge zur Lebens- und Krankenversicherung, zum anderen aber auch für Fahrtkosten: Werden dem Unterhaltschuldner die konkret anfallenden Fahrtkosten nicht als einkommensmindernd anerkannt, können auch die Steuervorteile, die dieser daraus im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung erzielt, nicht als unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen herangezogen werden.

Praxishinweis

Der BGH bestätigt erneut, dass der notwendige Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen herabgesetzt werden kann, wenn er mit seinem Lebensgefährten in einer gemeinsamen Wohnung wohnt. Denn dann ist eine durch Synergieeffekte eintretende Haushaltsersparnis zu berücksichtigen, die der BGH der Höhe nach allerdings nicht mit 12,5 %, sondern nur mit 10 % bemisst (BGH, Urt. v. 28.07.2010 – XII ZR 140/07).

Weiter zum Volltext BGH, Urt. v. 30.01.2013 – XII ZR 158/10, DRsp-Nr. 2013/4047