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Formwirksame Sorgerechtserklärung in Form einer gerichtlich gebilligten Elternvereinbarung

Sorgerechtserklärungen können gem. § 1626d BGB auch in Form einer gerichtlich gebilligten Elternvereinbarung abgegeben werden. Die Motive eines Elternteils für einen Auswanderungsentschluss stehen grundsätzlich genauso wenig zur Überprüfung des Familiengerichts wie sein Wunsch, in seine Heimat zurückzukehren. Verfolgt der Elternteil mit der Übersiedlung allerdings (auch) den Zweck, den Kontakt zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil zu vereiteln, steht die Bindungstoleranz des betreuenden Elternteils und somit seine Erziehungseignung in Frage.

Darum geht es:

Die nicht miteinander verheirateten Eltern streiten um das alleinige Sorgerecht für ihr 2002 geborenes Kind. Die Mutter besitzt die deutsche, der Vater die französische Staatsangehörigkeit.

Nachdem der Vater die Vaterschaft anerkannt hatte, trennten sich die Eltern kurz nach der Geburt. Mutter und Kind kehrten nach Deutschland zurück. Ein mit der Frage des Sorgerechts befasstes französisches Gericht entschied einstweilen, dass die Eltern ein gemeinsames Sorgerecht hätten, der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes jedoch bei der Mutter liege und dem Vater ein umfangreiches Umgangsrecht zustehe.

Gerichtliche Vereinbarung zwischen den Eltern

Vor dem OLG vereinbarten die Eltern am 06.06.2005 unter anderem, das Kind solle, „wenn möglich, bereits im Kindergarten und/oder der Schule zweisprachig (deutsch/französisch) erzogen werden“ und bis zur Einschulung monatlich zehn Tage beim Vater in Frankreich verbringen. Mangels Einigung über die Schulwahl stritten die Eltern in mehreren langwierigen Verfahren um die Übertragung der entsprechenden Entscheidungsbefugnis.

Gerichtliche Entscheidung des OLG

Auf die vom Vater zuletzt eingelegte befristete Beschwerde hat das OLG nach Austausch des Verfahrenspflegers und ohne Anhörung des Kindes dem Vater das alleinige Sorgerecht übertragen und angeordnet, dass die Mutter das Kind herauszugeben habe. Dagegen wendet sich die Mutter mit der Rechtsbeschwerde.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Entscheidung wird wegen gravierender Verfahrensmängel aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an einen anderen Senat des OLG zurückverwiesen.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Nach Art. 16 Abs. 1 Kinderschutzübereinkommen gelte das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes, im vorliegenden Fall also deutsches Recht.

Nach Auffassung des BGH haben die Eltern, wie in ihrer gerichtlich gebilligten Vereinbarung festgelegt, die gemeinsame elterliche Sorge. Gegen die Entscheidung des OLG, dem Vater die alleinige elterliche Sorge zu übertragen, hat der BGH Bedenken.

Fehlende Anhörung des Kindes

Gemäß § 1671 Abs. 1 und 2 BGB ist dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der elterlichen Sorge stattzugeben, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Die Beurteilung des Kindeswohls liegt in der Verantwortung der Tatsachengerichte. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler. Auf der Grundlage des auf diesen Fall anwendbaren § 12 FGG hat das Gericht alle für die Beurteilung des Kindeswohls erforderlichen Tatsachen zu ermitteln und Beweise zu erheben. Gemäß § 50b Abs. 1 FGG hört sich das Gericht – der gesamte Senat – das Kind persönlich an, wenn dessen Neigung, Bindung oder Wille für die Entscheidung von Bedeutung ist oder es zur Feststellung des Sachverhalts geboten erscheint, dass sich das Gericht einen persönlichen Eindruck vom Kind verschafft. Diese persönliche Anhörung hat das Beschwerdegericht hier verfahrensfehlerhaft unterlassen.

Austausch des Verfahrenspflegers

Zur Berücksichtigung des Willens und der Interessen des Kindes sieht das Gesetz ferner die Bestellung eines Verfahrenspflegers vor. Das Gericht hat dem Verfahrenspfleger durch die Gestaltung des Verfahrens zu ermöglichen, zum Willen und den Interessen des Kindes umfassend Stellung zu nehmen (BGH, Beschl. v. 28.04.2010 – XII ZB 81/09, DRsp-Nr. 2010/9156 = BGHZ 185, 272). Vorliegend war der ursprünglich bestellte und seit über einem Jahr für das Kind tätige Verfahrenspfleger kurz vor Abschluss des Verfahrens entpflichtet worden. Zwar war ein neuer Verfahrenspfleger eingesetzt worden. Dieser habe aufgrund der Kurzfristigkeit jedoch nur kurz mit dem Kind gesprochen und die Akten nur sehr selektiv gelesen. Dadurch, so der BGH, habe das Beschwerdegericht das Instrument der Verfahrenspflegschaft ineffektiv gemacht.

Bewertung der Rückübersiedlung

Im übrigen verkennt das OLG nach Ansicht des BGH die Gewichtung der Sorgerechtskriterien. Es stelle zwar die negativen Aspekte beider Eltern gegenüber, wäge sie jedoch nicht objektiv gegeneinander ab. Unter dem Gesichtspunkt der Bindungstoleranz werde der Mutter die Rückübersiedlung in ihre Heimat vorgeworfen, obwohl dieser Wunsch eines Elternteils nicht zur Überprüfung durch das Gericht stehe. Dem Gericht stehe keine Möglichkeit zur Verfügung, die allgemeine Handlungsfreiheit eines Elternteils einzuschränken, solange die Unterbrechung des Kontakts zum anderen Elternteil nicht der Hauptbeweggrund ist (BGH, Beschl. v. 28.04.2010 – XII ZB 81/09, DRsp-Nr. 2010/9156 = BGHZ 185, 272). Hier hingegen habe die Mutter sogar einer zeitlich umfangreichen Umgangsregelung in Form von Besuchen beim Vater in Frankreich zugestimmt.

Eignung des Vaters

Obwohl das OLG umgekehrt zahlreiche Verhaltensweisen und Eigenschaften des Vaters negativ darstelle, führe es nicht oder jedenfalls nicht nachvollziehbar aus, warum diese zu keiner negativen Bewertung der väterlichen Bindungstoleranz führen. Weitergehende Fragestellungen hierzu würden nicht durchleuchtet.

Insgesamt beruhe die Entscheidung auf einer Verkennung der Gewichtung der jeweiligen Sorgerechtskriterien und vor allem auf unzureichenden Ermittlungen durch das OLG. Somit beruhe der im Rahmen des Gesamtergebnisses gezogene Schluss, der Vater sei besser geeignet, jedenfalls teilweise auf rechtlich nicht haltbaren Annahmen.

BGH, Beschl. v. 16.03.2011 – XII ZB 407/10