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EGMR: Biologischer Vater kann die rechtliche Vaterschaft nicht anfechten

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 22.03.2012 im Ergebnis das deutsche Abstammungsrecht bestätigt. In Deutschland kann der biologische Vater die rechtliche Vaterstellung nicht erstreiten, wenn bereits ein rechtlicher Vater vorhanden ist, der eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind unterhält.

Darum geht es

In den entschiedenen Fällen

  • Ahrens gegen Deutschland (Beschwerdenummer 45071/09) und
  • Kautzor gegen Deutschland (Beschwerdenummer 23338/09),

hatte der neue Partner der Mutter die Vaterschaft mit Einverständnis der Mutter anerkannt und galt daher als rechtlicher Vater.

Herr Ahrens ist leiblicher Vater einer Tochter, die bei der Mutter und deren neuem Partner lebt. Das KG Berlin hatte seinen Antrag auf Anfechtung der Vaterschaft abgelehnt, da das Kind einen rechtlichen Vater habe und eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater bestehe. In dem Fall von Herrn Kautzor hatte das Amtsgericht bereits die Feststellung der Vaterschaft durch einen Gentest abgelehnt.

Da ihre Anträge auf Anfechtung der (rechtlichen) Vaterschaft keinen Erfolg hatten, legten beide (unabhängig voneinander) Beschwerde beim EGMR ein. Sie beriefen sich dabei auf Art. 8 der EMRK sowie eine Diskriminierung gem. Art. 8 i.V.m. Art 14 EMRK und machten geltend, dass sie im Verhältnis zur Mutter, zum rechtlichen Vater und zum Kind diskriminiert würden. Ohne Erfolg.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Gerichte durften auch nach der EMRK die Anträge der Beschwerdeführer auf Feststellung ihrer und Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft des neuen Partners der Mutter in dieser Konstellation zurückweisen.

Zwar stellen die ablehnenden Entscheidungen der deutschen Gerichte einen Eingriff in das Recht der biologischen Väter auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK dar. Jedoch bedeuten diese Entscheidungen nach Ansicht des EGMR keinen Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne von Art. 8 EMRK, da niemals eine enge persönliche Bindung zwischen den biologischen Vätern und den Kindern bestanden hatte.

Diese Konstellation ist anders als im Fall Anayo gegen Deutschland (Beschwerdenummer 20578/07 vom 21.12.2010). Damals hatten die deutschen Gerichte einem biologischen Vater das Umgangsrecht verweigert, was nach Ansicht des EGRM gegen Art. 8 EMRK verstößt. Die nun von Herrn Ahrens und Herrn Kautzor erhobenen Klagen haben jedoch ein weitreichenderes Ziel: Sie sind auf ihre vollständige Anerkennung als rechtlicher Vater des jeweiligen Kindes ausgerichtet und somit darauf, die Vaterschaft des existierenden rechtlichen Vaters anzufechten. In diesen Fällen geht das Wohl des Kindes gegenüber dem Recht des Vaters auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK vor.

Mitgliedstaaten haben Beurteilungsspielraum

Die deutschen Gerichte räumen einem bestehenden Familienverband zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater, der sich regelmäßig um das Kind kümmert, Vorrang ein gegenüber der Beziehung zwischen dem (angeblichen) leiblichen Vater und seinem Kind. Dies ist mit der EMRK vereinbar. Da es zwischen den Mitgliedstaaten der EMRK keinen gefestigten Konsens hinsichtlich des rechtlichen Rahmens der Vaterschaftsanerkennung gibt, haben die Mitgliedstaaten diesbezüglich einen weiten Beurteilungsspielraum.

Aus dem Urteil im Fall Anayo gegen Deutschland lässt sich darüber hinaus ableiten, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 8 EMRK verpflichtet sind zu prüfen, ob es im Kindeswohlinteresse liegt, dem leiblichen Vater die Möglichkeit zu geben, eine Beziehung zu seinem Kind aufzubauen, etwa durch Gewährung des Umgangsrechts. Daraus folgt aber nicht notwendigerweise eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach der Konvention, biologischen Vätern die Möglichkeit einzuräumen, den Status des rechtlichen Vaters anzufechten.

Aufgrund des weiten Beurteilungsspielraums der Mitgliedstaaten liegt auch keine Diskriminierung gem. Art. 8 i.V.m. Art. 14 EMRK vor. Denn Hauptgrund für die Ungleichbehandlung der Beschwerdeführer im Vergleich zur Mutter, zum rechtlichen Vater und zum Kind hinsichtlich der Möglichkeit, die Vaterschaft anzufechten bzw. den Gentest durchzuführen liegt in der Absicht der Gerichte, das jeweilige Kind und seine soziale Familie vor äußerer Beeinträchtigung zu schützen. Ebendiese Wertung bleibt dem jeweiligen Recht des Mitgliedstaates vorbehalten.

Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Sie liegen im Volltext nur in Englisch vor:

Ahrens gegen Deutschland (Beschwerdenummer 45071/09), Urt. v. 22.03.2012

Kautzor gegen Deutschland (Beschwerdenummer 23338/09), Urt. v. 22.03.2012

Link zur Pressemitteilung des EGMR v. 22.02.2012 zu beiden Entscheidungen