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Der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt besteht trotz Schwangerschaft und Kindesbetreuung fort

Der Unterhaltsberechtigte verliert seinen Anspruch auf Ausbildungsunterhalt nicht deshalb, weil er infolge einer Schwangerschaft und der Kindesbetreuung seine Ausbildung verzögert beginnt.

Darum geht es:

Die Tochter des unterhaltspflichtigen Vaters konnte infolge einer Schwangerschaft und der anschließenden Kindesbetreuung ihre Ausbildung erst verzögert beginnen. Der BGH befasst sich mit der Frage, wie sich dies auf ihren Anspruch auf Ausbildungsunterhalt auswirkt.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Nach Auffassung des BGH beseitigt eine Ausbildungsverzögerung infolge einer Schwangerschaft und der anschließenden Kindesbetreuung den Unterhaltsanspruch nicht. Vielmehr sei bei einer Bedürftigkeit des volljährigen Kindes aufgrund eigener Kindesbetreuung die in § 1615l BGB und § 1570 BGB konkretisierte gesetzliche Wertung zu beachten. Danach müsse es dem erziehungsberechtigten Elternteil in den ersten drei Lebensjahren des Kindes möglich sein, die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen, ohne daran durch eine eigene Erwerbstätigkeit gehindert zu sein. Insoweit sei eine persönliche Betreuung durch einen Elternteil regelmäßig geboten (vgl. BGH, Urt. v. 01.06.2011 – XII ZR 45/09, FamRZ 2011, 1209 mit Anm. Viefhues; BGH, Urt. v. 6.5.2009 – XII ZR 114/08, FamRZ 2009, 1124 mit Anm. Borth; ).

Diese gesetzgeberische Grundentscheidung wirke mittelbar auch auf das Unterhaltsrechtsverhältnis zwischen dem Unterhaltsberechtigten und seinen unterhaltspflichtigen Eltern. Daher fehle es an einer Obliegenheitsverletzung, wenn sich das unterhaltsberechtigte Kind bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres der Betreuung eines eigenen Kindes widmet, anstatt eine Ausbildung aufzunehmen.

Unterhaltspflicht und Unterhaltsanspruch stünden in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zueinander. Auf der einen Seite müsse der Unterhaltspflichtige eine angemessene Berufsausbildung ermöglichen, auf der anderen Seite der Unterhaltsberechtigte diese mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit beenden. Verzögerungen der Ausbildungszeit, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen zurückzuführen sind, seien hinzunehmen (Viefhues, jurisPK-BGB, 2010, § 1610 Rdnr. 254). Verletze das Kind aber nachhaltig seine Obliegenheit, seine Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büße es seinen Unterhaltsanspruch ein.

Grundsätzlich müsse das Kind die Ausbildung in angemessener Zeit aufnehmen. Eine gewisse Orientierungsphase sei jedoch zuzugestehen, deren Dauer sich jeweils nach Alter, Entwicklungsstand und den gesamten Lebensumständen des Auszubildenden richte (zur unterhaltsrechtlichen Behandlung der Übergangszeiten zwischen Schulabschluss und Ausbildungsbeginn Viefhues, jurisPK-BGB, 2010, § 1610 Rdnr. 63; zum Prüfungsversagen des Unterhaltsberechtigten BGH, Urt. v. 17.05.2006 – XII ZR 54/04, NJW 2006,2984; OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.6.2010 – 10 WF 111/10; zum Prüfungsversagen des Unterhaltspflichtigen KG, Beschl. v. 11.04.2011 – 17 UF 45/11, ZFE 2011, 267).

Eine feste Altersgrenze für die Aufnahme einer Ausbildung, ab deren Erreichen der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt entfällt, gebe es allerdings nicht (OLG Stuttgart, Urt. v. 06.07.1995 – 16 UF 94/95, FamRZ 1996, 181). Sowohl der zeitliche Abstand zum Schulabschluss als auch die erreichte Eigenständigkeit der Lebensstellung des Kindes seien von Bedeutung. Denn verstärkt trete an die Stelle der Elternverantwortung die Eigenverantwortung für den Berufs- und Lebensweg. Selbst bei noch fehlender Berufsausbildung könne eine lange Verzögerung zum Wegfall des Ausbildungsanspruchs führen. Dann müsse der Auszubildende seinen Lebensunterhalt mit ungelernten Tätigkeiten oder aufgrund sonstiger Begabung und Fertigkeiten verdienen.

Aber auch die Zumutbarkeit der Belastung für den Unterhaltspflichtigen nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit müsse berücksichtigt werden. Der BGH verweist auf die Tatsache, dass es sich um die erste Ausbildung des Kindes handele, die der unterhaltspflichtige Elternteil zu finanzieren habe, und auf die zudem vergleichsweise geringen Beträge, die nur für einen relativ kurzen Zeitraum zu zahlen seien. Bei der Zumutbarkeitsbewertung seien aber nicht nur die Belange des unterhaltspflichtigen Elternteils, sondern auch die schutzwürdigen Interessen der anderen Geschwister zu beachten.

Eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 1611 BGB sei wegen der Schwangerschaft des unterhaltsberechtigten Kindes nicht begründet, aber auch nicht wegen der Verweigerung des Kontakts zum unterhaltspflichtigen Elternteil (vgl. BGH, Urt. v. 15.09.2010 – XII ZR 148/09, FamRZ 2010, 1888 mit Anm. Hauß, FamRZ 2010, 1892; Viefhues, jurisPK-BGB, 2010, § 1611 Rdnr. 25 m.w.N.).

Folgerungen aus der Entscheidung

Die verspätete Aufnahme einer – an sich angemessenen Ausbildung – durch das Kind kann einem Unterhaltsanspruch entgegenstehen. Die Eltern müssen nicht nach Ablauf mehrerer Jahre einen Ausbildungsanspruch des Kindes erfüllen, wenn nach dessen schulischen Ergebnissen und bisherigem Werdegang nicht mehr mit dem Erwerb der Hochschulreife oder der Aufnahme eines Studiums zu rechnen war.
Der BGH verweist auch darauf, dass die Unterhaltsverpflichtung infolge der Verzögerungen dann unter Umständen in Zeiträume fällt, in denen steuerliche Erleichterungen, Kindergeld oder kindbezogene Gehaltsbestandteile aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Kindes bereits entfallen sind.

Beim Unterhaltsanspruch wegen Schwangerschaft oder Kindesbetreuung haftet vorrangig der Vater des Kindes gem. § 1615l Abs. 3 Satz 2 BGB.

BGH, Urt. v. 29.06.2011 – XII ZR 127/09