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Das Altersphasenmodell ist nicht mit dem neuen Unterhaltsrecht vereinbar

Auch wenn die Altersphasen nur als Regelfall behandelt werden, innerhalb dessen die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, wird dieses Modell den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht.

Darum geht es:

Für das neue Unterhaltsrecht lehnt der BGH ein Altersphasenmodell – auch in modifizierter Form – konsequent ab (grundlegend BGH, Urt. v. 06.05.2009 – XII ZR 114/08, FamRZ 2009, 1124; BGH, Urt. v. 24.06.2009 – XII ZR 161/08, FamRZ 2009, 1477.

Einzelne Obergerichte – wie hier das OLG Düsseldorf in der Berufungsinstanz – haben Erleichterungen zugunsten der unterhaltsberechtigten kindesbetreuenden Mutter angewandt, indem sie von Regelfällen ausgegangen sind, in denen geringere Anforderungen an die Darlegungslast zu stellen seien (OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 17.02.2010 – 5 UF 45/09, FamRZ 2010, 1449; Büttner/Niepmann/Schwamb, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 11. Auflage 2010, Rdnr. 472). Auch dies lehnt der BGH eindeutig ab.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Nicht mit dem neuen Unterhaltsrecht vereinbar seien demnach auch solche Ansätze, bei denen die entsprechenden Altersphasen nur als Regelfall behandelt werden, innerhalb dessen die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, die Begründung der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils aber nicht auf individuelle Einzelumstände gestützt ist.

Auch wenn die gesetzliche Neuregelung keinen abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit verlange, setze ein solcher gestufter Übergang voraus, dass der unterhaltsberechtigte Elternteil kindbezogene oder ganz konkrete und fallbezogene elternbezogene Gründe vorträgt, die nach Vollendung des dritten Lebensjahres einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils entgegenstehen (BGH, Urt. v. 01.07.2011 – XII ZR 45/09). Nur an solchen individuellen Gründen könne sich der gestufte Übergang im Einzelfall orientieren, nicht aber an rein pauschalen Überlegungen.

Die im OLG-Urteil zur Begründung angeführten Umstände könnten weder als individuelle kindbezogene noch als individuelle elternbezogene Gründe eine Fortdauer des Betreuungsunterhalts über die Vollendung des dritten Lebensjahres hinaus rechtfertigen. Die gemeinsame Tochter besuche die dritte Grundschulklasse und könne nach der Unterrichtszeit im Rahmen der offenen Ganztagsschule betreut werden. Mangels weiterer Feststellungen sei nicht ersichtlich, ob es daneben einer persönlichen Betreuung durch die Mutter bedürfe, die einer Vollzeiterwerbstätigkeit entgegenstehen könnte.

Soweit das OLG ergänzend darauf abstelle, dass die Tochter zeitweise in einer Pflegefamilie wohnte und sich erst seit Januar 2006 im Haushalt der Mutter aufhält, erschöpfe sich dieser Vortrag in allgemeinen Ausführungen zur Betreuungsbedürftigkeit. Ob der damit verbundene Wechsel der Betreuungsperson auch für die relevante Zeit seit Februar 2008 eine persönliche Betreuung durch die Mutter erfordert, sei nicht konkret festgestellt worden. Auch fehlten jegliche Feststellungen dazu, ob und in welchem Umfang eine persönliche Betreuung der Tochter durch die Mutter in den Nachmittagsstunden erforderlich sei.

Selbst wenn das OLG nicht allein auf das Alter des Kindes abgestellt, sondern die von ihm dargelegten Altersphasen nur als Regelfall bewertet habe, innerhalb dessen die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien, entspreche dies nicht der BGH-Rechtsprechung. Denn indem es keine durchgreifenden individuellen Einzelumstände anführe, stelle es letztlich überwiegend auf den allein am Alter des Kindes orientierten Regelfall ab.

Folgerungen aus der Entscheidung

Angesichts der eindeutigen, gefestigten BGH-Rechtsprechung muss der Anwalt des Unterhaltsberechtigten wohl mit haftungsrechtlichen Konsequenzen rechnen, wenn er weiterhin der in der Literatur noch vereinzelt vertretenen Ansicht folgt und mit rein pauschalen Argumenten in den Unterhaltsrechtsstreit zieht. Der BGH besteht auf einer Einzelfallentscheidung, und das bedeutet in der Praxis: Sachvortrag, Sachvortrag, Sachvortrag!

Es kommt in erster Linie –konkret auf den Einzelfall bezogen – auf die objektiven Möglichkeiten der Kindesbetreuung an: Wie lange ist der Kindergarten oder Hort geöffnet? Damit werden die zeitlichen Rahmenbedingungen der Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils vorgezeichnet, und dann ist es wiederum Sache des darlegungsbelasteten Unterhaltsberechtigten, ausreichend substantiiert Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit vorzutragen.

Auch der pauschale Hinweis auf mögliche Probleme des Kindes (hier der zeitweise Aufenthalt in einer Pflegefamilie) reicht nicht aus, sofern nicht dargelegt wird, wie sich diese Probleme ganz konkret gegenwärtig auf die Erwerbsmöglichkeiten des Unterhaltsberechtigten auswirkt (ausführlich zum „Problemkind“: Viefhues, FF 2011, 153).

Fehlt es an ausreichendem Sachvortrag des Unterhaltsberechtigten, so ist die Anrechnung hypothetischer Einkünfte kaum zu vermeiden.

BGH, Urt. v. 15.06.2011, XII ZR 94/09