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Berücksichtigungsfähigkeit der zusätzlichen Altersvorsorge im Ehegattenunterhalt

Urteilsanmerkung mit Praxishinweis: Auch der Unterhaltspflichtige darf grundsätzlich neben der gesetzlichen Altersvorsorge eine zusätzliche Altersvorsorge betreiben.

Diese ist beim Ehegattenunterhalt mit einem Betrag bis zu 4 % seines Bruttoeinkommens zu berücksichtigen.

Darum geht es:

Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt. Der unterhaltspflichtige Ehemann hat nach der Trennung eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen, auf die er monatliche Beiträge zahlt. Im Rahmen der Ermittlung seines unterhaltrechtlichen Einkommens begehrt er den Abzug der Monatsbeiträge.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Nach der Entscheidung des BGH kommt es nicht darauf an, ob eine Unterhaltspartei bereits während des ehelichen Zusammenlebens eine zusätzliche Altersvorsorge betrieben hat. Die Rechtsprechung des Senats zu den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen führe zur Berücksichtigung von nach Trennung oder Scheidung erstmals hinzutretenden zusätzlichen Altersvorsorgeverträgen, weil darin kein unterhaltsrechtlich vorwerfbares Verhalten liege, welches die nacheheliche Solidarität der geschiedenen Ehegatten verletze (BGH, Urt. v. 17.12.2008 - XII ZR 9/07, DRsp Nr. 2009/3400 = FamRZ 2009, 411, 413 f.). Der Unterhaltspflichtige dürfe von seinen Einkünften grundsätzlich neben der gesetzlichen Altersvorsorge eine zusätzliche Altersvorsorge bis zu 4 % des Bruttoeinkommens betreiben.

Anmerkung:

Mittlerweile ist anerkannt, dass auch aus unterhaltsrechtlicher Sicht über die gesetzliche Altersvorsorge hinaus eine zusätzliche Altersversorgung zuzubilligen ist (grundlegend BGH, Urt. v. 30.08.2006 - XII ZR 98/04, DRsp Nr. 2006/24712 = FamRZ 2006, 1511, 1514; BGH, Urt. v. 11.05.2005 - XII ZR 211/02, DRsp Nr. 2005/17631 = FamRZ 2005, 1817, 1821 f.; BGH, Urt. v. 14.01.2004 - XII ZR 149/01, DRsp Nr. 2004/5401 = FamRZ 2004, 792, 794). Nur wenn der notwendige Bedarf des Unterhaltsberechtigten nicht gedeckt ist, scheidet im Rahmen der Einkommensberechnung der Abzug einer zusätzlichen Altersvorsorge aus (OLG Brandenburg, FuR 2006, 523; OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.03.2006 - 9 UF 229/05, DRsp Nr. 2007/1426 = FamRZ 2006, 1396, 1398; OLG Stuttgart, Beschl. v. 17.07.2006 - 16 WF 159/06, DRsp Nr. 2006/22399 = FamRZ 2006, 1850; Borth, FPR 2004, 549, 552; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 10. Aufl. 2008 Rn. 1029).

Die Praxisrelevanz ist wegen der Vielzahl zulässiger Vorsorgeformen (dazu unten) immens hoch. Allgemein ist festzuhalten:

Die Grundsätze der Zulässigkeit einer ergänzenden Altersvorsorge gelten gleichermaßen
•für den Unterhaltsberechtigten und den Unterhaltspflichtigen,
•im Eltern-, Ehegatten- oder auch im Kindesunterhalt.

Beim Elternunterhalt können bis zu 5 %, für übrige Unterhaltsansprüche bis zu 4 % abgesetzt werden; diese Prozentzahlen beziehen sich auf das Bruttoerwerbseinkommen des Vorjahres.

Aufwendungen für die eigene Altersvorsorge müssen tatsächlich gezahlt werden , ein fiktiver Abzug scheidet aus (BGH, Urt. v. 28.02.2007 - XII ZR 37/05, DRsp Nr. 2007/6837 = FamRZ 2007, 793, 795; BGH, Urt. v. 22.11.2006 - XII ZR 24/04, DRsp Nr. 2007/13 = FamRZ 2007, 193 f.; OLG Hamm, Urt. v. 30.10.2008 - 2 UF 43/08, DRsp Nr. 2008/23684 = FamRZ 2009, 981, 984).

Die Art der Vorsorge steht dem Vorsorgenden frei, z.B.:
•als Lebensversicherung, Rentenversicherung, Kapitallebensversicherung, Direktversicherung (BGH, Urt. v. 27.05.2009 - XII ZR 78/08, FamRZ 2009, 1300; OLG Hamm, Urt. v. 30.10.2008 - 2 UF 43/08, DRsp Nr. 2008/23684 = FamRZ 2009, 981, 984)
•als Beitrag zur freiwilligen Rentenversicherung (BGH, Urt. v. 27.05.2009 - XII ZR 78/08, FamRZ 2009, 1300)
•zur Bildung von Wohneigentum (Tilgungsleistungen auf Darlehen) für eigengenutztes Wohneigentum (BGH, Urt. v. 27.05.2009 - XII ZR 78/08, FamRZ 2009, 1300; BGH, Urt. v. 05.03.2008 - XII ZR 22/06, DRsp Nr. 2008/8712 = FamRZ 2008, 963; 2007, 879; OLG Hamm, Urt. v. 30.10.2008 - 2 UF 43/08, DRsp Nr. 2008/23684 = FamRZ 2009, 981, 984), für vermietetes Wohneigentum (OLG Karlsruhe OLGR 2009, 502),
•als reiner Sparvertrag (BGH, Urt. v. 30.08.2006 - XII ZR 98/04, DRsp Nr. 2006/24712 = FamRZ 2006, 1511, 1514; BGH, Urt. v. 11.05.2005 - XII ZR 211/02, DRsp Nr. 2005/17631 = FamRZ 2005, 1817, 1821 f.; BGH, Urt. v. 14.01.2004 - XII ZR 149/01, DRsp Nr. 2004/5401 = FamRZ 2004, 792, 794).

Praxishinweis:

In jedem Unterhaltsfall sollte geprüft werden, ob der Mandant bereits eine ergänzende Altersvorsorge betreibt und ggf. ob er die zulässigen Höchstgrenzen ausschöpft. Ist dies nicht der Fall, sollte der Mandant darauf hingewiesen werden, die ergänzende Altersvorsorge aufzunehmen bzw. aufzustocken. Die damit verbundene Verminderung der eigenen Einkünfte ist nahezu in jedem Fall vorteilhaft. Besonders zeigt sich dies im Ehegattenunterhalt, wo auch die nachträgliche Aufnahme oder Erhöhung der ergänzenden Altersvorsorge eheprägend und damit beachtlich ist. Hierdurch wird der andere Ehegatte zu einem Anteil von 3/7 (wenn man den Erwerbstätigenbonus mit 1/7 ansetzt) an den geleisteten Beiträgen beteiligt.

Beispiel:

Der Ehemann verdient 1.800 € netto/monatlich.
Die Ehefrau verdient 1.000 € netto/monatlich.
Beide betreiben keinerlei ergänzende Altersvorsorge.

Zunächst die Berechnung ohne Beachtung einer zusätzlichen Altersversorgung:

Bedarfsbemessung    
Einkommen Ehemann    1.800,00 € 
abzgl. 5% berufsbedingter Aufwendungen  -90,00 € 
ergibt  1.710,00 €
abzgl. Erwerbstätigensiebtel  -244,29 € 
verbleibt  1.465,71 €
  
Einkommen Ehefrau  1.000,00 € 
abzgl. 5% berufsbedingter Aufwendungen  -50,00 €
ergibt  950,00 €
abzgl. Erwerbstätigensiebtel  -135,71 € 
verbleibt  814,29 € 
   
Einkünfte beider Ehegatten  2.280,00 €
Hälfte = Bedarf  1.140,00 €
bedarfsdeckende Einkünfte Ehefrau  -814,29 € 
Unterhaltsanspruch  325,71 €

Wird z.B. der Ehemann vertreten, ist ihm anzuraten, eine ergänzende Altersversorgung abzuschließen und zu zahlen (bei Vertretung der Ehefrau gilt gleiches für diese). Hatte er beispielsweise im Vorjahr ein Jahresbruttoerwerbseinkommen von 37.500 €, so sollte er 4% davon als ergänzende Altersvorsorge aufwenden:

Bruttoeinkommen des Vorjahres  36.500,00 €
davon 4% als zulässige ergänzende Altersvorsorge  1.460,00 € 
ergibt monatlich an zulässiger ergänzender Altersvorsorge  121,67 € 

Der Ehemann könnte also z.B. eine Lebensversicherung mit einem Monatsbeitrag von 120 € abschließen. Dann ergibt sich für die Unterhaltsberechnung folgendes:

Bedarfsbemessung
Einkommen Ehemann    1.800,00 € 
abzgl. 5% berufsbedingter Aufwendungen  -90,00 € 
abzgl. Altersvorsorge  -120,00 € 
ergibt  1590,00 €
abzgl. Erwerbstätigensiebtel  -227,14 € 
verbleibt   1.362,86 €
  
Einkommen Ehefrau  1.000,00 € 
abzgl. 5% berufsbedingter Aufwendungen  -50,00 €
ergibt  950,00 €
abzgl. Erwerbstätigensiebtel  -135,71 € 
verbleibt  814,29 € 
   
Einkünfte beider Ehegatten  2.177,14 €
Hälfte = Bedarf  1.088,57 €
bedarfsdeckende Einkünfte Ehefrau  -814,29 € 
Unterhaltsanspruch  274,29 €

Differenz der Unterhaltsansprüche   
Unterhaltsanspruch ohne ergänzende Altersversorgung  325,71 €
Unterhaltsanspruch mit ergänzender Altersversorgung 274,29 €
Differenz 51,42 €

Die Differenz der Unterhaltsansprüche beträgt mit 51,42 € genau 3/7 der gezahlten Lebensversicherungsbeiträge von 120 €.

Folgt der Mandant dem Ratschlag seines Bevollmächtigten, so werden üblicherweise bereits einige Monate des laufenden Jahres vergangen sein. Um sich gleichwohl die volle absetzbare ergänzende Altersvorsorge zu sichern, kann es sich anbieten, eine Einmalzahlung zu leisten. Auch solche Einmalzahlungen dürften voraussichtlich anzuerkennen sein. Ein Grundsatz, dass monatliche Beiträge geleistet werden müssen, dürfte nicht begründbar sein. Jedoch wird dann die Einmalzahlung anteilig monatlich auf das Jahr umzurechnen sein.

Sind im angeführten Beispiel Unterhaltsansprüche ab Januar 2009 im Streit und wird der Ehemann im Oktober 2009 beraten, so kann sich dieser überlegen, z.B. einen Bausparvertrag abzuschließen, in den er sogleich 1.200 € (zehn Monatsbeiträge für Januar bis Oktober 2009) und ab November 2009 regelmäßig 120 € einzahlt. So würde sein monatliches Einkommen im gesamten Jahr 2009 um jeweils 120 € gemindert.

BGH, Urt. v. 27.05.2009 - XII ZR 111/08, DRsp Nr. 2009/14020 = FamExpress 2009, 86 mit Anm. Knoche = FamRZ 2009, 1300

Weiterführende Informationen in rechtsportal.de:

Bibliothek, Lexikon des Unterhaltsrechts, "Zeitliche Begrenzung von Ehegattenunterhalt" ( Dok-Nr.  D5721_5688890 )