Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0

Betreuungsleistungen: Mehrbedarf beim Kindesunterhalt?

Für welche Betreuungsleistungen kann ein Mehrbedarf beim Kindesunterhalt beansprucht werden? Das OLG Bremen hat die geltenden Kriterien erläutert. Im Streitfall entscheid das Gericht, dass die durch den Besuch eines „pädagogischen Mittagstisches“ entstehenden Aufwendungen keinen Mehrbedarf darstellen, wenn sich die pädagogische Förderung auf den Erwerb sozialer Kompetenzen beschränkt.

Sachverhalt

Der Antragsteller ist der 2007 geborene Sohn des Antragsgegners und lebt bei seiner vom Antragsteller geschiedenen Mutter. Der Antragsteller – z. Zt. in der vierten Grundschulklasse – besucht den sogenannten „pädagogischen Mittagstisch“, der eine nachschulische Betreuung der Kinder zwischen 13 und 15 Uhr anbietet.

Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten.

Das OLG hat die Kindeseltern persönlich angehört und Beweis zur Ausgestaltung des pädagogischen Mittagstisches und zum pädagogischen Förderbedarf des Antragstellers erhoben.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Ein betreuungsbedingter Mehrbedarf des Kindes liegt nur dann vor, wenn es sich um einen Betreuungsbedarf handelt, der über den Umfang der von dem betreuenden Elternteil ohnehin geschuldeten Betreuung hinausgeht. Generell kann daher ein Mehrbedarf des Kindes angenommen werden, wenn die Fremdbetreuungsleistung über die üblicherweise von einem Elternteil erbrachte Betreuungsleistung hinausgeht oder die weitere Betreuung etwa pädagogisch veranlasst ist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lässt sich beides nicht feststellen.

Die durch den Besuch eines sogenannten „pädagogischen Mittagstisches“ durch ein Schulkind entstehenden Aufwendungen stellen keinen unterhaltsrechtlichen Mehrbedarf des Kindes dar, da sich die pädagogische Förderung auf den Erwerb sozialer Kompetenzen beschränkt, deren Vermittlung üblicherweise zu den ureigenen Elternaufgaben gehört.

Nach den Angaben der Zeugin begeben sich alle Kinder gemeinsam in das Gemeindehaus, wo zwei Kinder eingeteilt werden, die mittels eines Essenwagens das Mittagessen aus einem anderen Gebäude herbeiholen. Es wird dann das Mittagessen eingenommen, wobei besonderes Augenmerk auf die Einhaltung der Tischsitten gerichtet wird. Dieser Abschnitt der Betreuung lässt keine Umstände der Betreuung erkennen, die nicht auch von einem Elternteil in einer vergleichbaren Situation geleistet werden könnten.

Die Einbindung von Kindern in die Vorgänge der Essenszubereitung oder des Auf- und Abdeckens, aber auch die Wahrung von hergebrachten Tischmanieren gehören nach den eigenen Erfahrungen der Senatsmitglieder zu den allgemein üblichen Erziehungsaufgaben, die von Eltern wahrgenommen werden können und müssen. Einzig die Tatsache, dass hier 13 Kinder gleichzeitig betreut werden, bildet einen Unterschied gegenüber einer Familie üblicher Größe.

Dieser Umstand allein reicht indes nicht aus, um eine „besondere pädagogische Förderung“ i.S.d. Rechtsprechung des BGH zu bejahen. Das hier insoweit im Vordergrund stehende Gruppenerlebnis, das sicher geeignet ist, Rücksichtnahme und Empathie zu fördern, wird in vielen alltäglichen Lebenssituationen ebenso wahrnehmbar sein; sei es im Umgang mit Geschwistern, beim Schulbesuch, beim gemeinsamen Musizieren oder der Teilnahme an Mannschaftssportarten.

Auch im weiteren Verlauf des pädagogischen Mittagstisches findet keine Betreuung statt, die den Anspruch einer besonderen pädagogischen Förderung erfüllen könnte. Denn es steht es den Kindern frei, ob sie Hausaufgaben machen oder den Rest der Betreuungszeit im freien Spiel verbringen wollen.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das OLG Bremen differenziert anschaulich für eine nachschulische Betreuung eines Kindes zwischen den normalen Erziehungsaufgaben der Eltern, die keinen Mehrbedarf auslösen, und pädagogisch begründeten Zusatzaufgaben, die als Mehrbedarf einzustufen sind.

Von besonderer pädagogischer Förderung im Zusammenhang mit unterhaltsrechtlichem Mehrbedarf kann gesprochen werden bei der Aneignung von Kompetenzen und Fähigkeiten, die üblicherweise nicht von Eltern vermittelt werden, wie z.B. das Lernen von Lesen und Schreiben, der Grundrechenarten oder fremder Sprachen, also um die Bereiche der frühkindlichen und schulischen Bildung.

Praxishinweis

Das OLG Bremen führt konsequent die vom BGH in seinem Beschluss vom 4.10.2017 (XII ZB 55/17) eingeschlagene Linie der Rechtsprechung fort. Für die Eingruppierung als Mehrbedarf des Kindes muss Betreuungsbedarf erbracht werden, der über das normale Maß der elterlichen Erziehung und Betreuung hinausgeht. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde gem. § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG zugelassen, sodass eine weitere Klärung durch den BGH möglich ist.

Wenn Mehrbedarf gegeben ist, ist zu beachten, dass hierfür beide Eltern anteilig nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen haften (vgl. Viefhues, in: jurisPK-BGB, 2016, § 1613 Rdnr. 184 m.w.N.).

In der Praxis ist zudem zu prüfen, ob für diese Kosten – ungeachtet der unterhaltsrechtlichen Einordnung als Mehrbedarf oder normaler Bedarf – nicht eine gesamtschuldnerische Haftung in Betracht kommt, wenn beide Eltern das Kind zu dieser Einrichtung gemeinsam angemeldet haben.

OLG Bremen, Beschl. v. 23.11.2017 – 5 UF 54/17