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Befugnis des Familiengerichts zur Ausgestaltung des Umgangs

Das OLG Saarbrücken entscheidet über den Ausgestaltungsspielraum, der einem Richter bei einer Umgangsentscheidung offen steht sowie zu den Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung im Umgangsverfahren bei Verdachtsvortrag eines Elternteils (hier zu Alkohol- und Drogenmissbrauch).

Darum geht es

Die Eltern des im August 2009 geborenen Kindes sind gemeinsam sorgeberechtigt. Durch eine gerichtliche Umgangsregelung vom Oktober 2012 wurde der Vater berechtigt und verpflichtet, mit seinem Kind in drei- bzw. zweiwöchentlichem Rhythmus von Samstagmorgen bis Sonntagabend einschließlich Übernachtung Umgang zu pflegen. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Mutter gegen die angeordneten Übernachtungen des Kindes beim Vater. Sie beruft sich auf ihren fortbestehenden Verdacht, der Vater konsumiere mit hoher Wahrscheinlichkeit „auch aktuell noch Alkohol und Betäubungsmittel“. Der Vater bestreitet dies und beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Umgangsrecht steht ebenso wie die elterliche Sorge unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Beide Rechtspositionen erwachsen aus dem natürlichen Elternrecht und müssen von den Eltern im Verhältnis zueinander respektiert werden. Der Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, muss den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil ermöglichen. Das Umgangsrecht ermöglicht dem anderen Elternteil, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten und einer Entfremdung vorzubeugen sowie dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung zu tragen.

Konkordanz der verschiedenen Grundrechte

Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen, entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung der beiderseitigen Grundrechtspositionen und des Wohls des Kindes. Nach § 1697a BGB ist die Entscheidung zu treffen, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

Kriterien zur Beurteilung des Kindeswohls

In den Blick zu nehmen sind insoweit insbesondere die Belastbarkeit des Kindes, die bisherige Intensität seiner Beziehungen zu und seine Vertrautheit mit dem Umgangsberechtigten, die räumliche Entfernung der Eltern voneinander, die Interessen und Bindungen von Kind und Eltern, das Verhältnis der Eltern zueinander, die persönliche und berufliche Situation und Betreuungsmöglichkeit des Umgangsberechtigten, der Wille des Kindes, dessen Alter sowie Entwicklungs- und Gesundheitszustand.

Kein Ermittlungsanlass bei bloßem Verdacht

Nach § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen vorzunehmen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Bloße Verdachtsäußerungen, die jeglicher tatsächlichen Grundlage entbehren, geben keinen Ermittlungsanlass (dazu BGH, Beschl. v. 30.03.2011 – XII ZB 537/10, DRsp-Nr. 2011/9202 = FamRZ 2011, 1047). Eine Pflicht zu Ermittlungen besteht jedoch insoweit, als das Vorbringen der Beteiligten und der Sachverhalt als solcher bei sorgfältiger Prüfung hierzu Anlass geben.

Umfang und Abschluss der Ermittlungen

Die Ermittlungen sind erst dann abzuschließen, wenn von weiteren Ermittlungen ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten ist (BGH, Beschl. v. 17.02.2010 – XII ZB 68/09, DRsp-Nr. 2010/4896 = FamRZ 2010, 720), wobei in kindschaftsrechtlichen Familiensachen besondere Anforderungen an die tatrichterliche Sachaufklärung zu stellen sind. Der genaue Umfang richtet sich nach den im konkreten Einzelfall betroffenen Kindeswohlbelangen (BGH, Beschl. v. 16.03.2011 – XII ZB 407/10, DRsp-Nr. 2011/5855 = FamRZ 2011, 796).

Weitreichende Ermittlungen trotz unsubstanziierten Vorbringens

Den Alkohol- oder Drogenkonsum des Vaters hat die Mutter nicht durch einen einzigen konkreten Vorfall belegt. Auch die weiteren Verfahrensbeteiligten sowie das Jugendamt und die Umgangsbegleiterin haben den Verdacht der Mutter nicht bestätigen können. Der schriftlich als Zeuge vernommene Facharzt hat nach – im Einverständnis mit dem Vater durchgeführten – Blut- und Haaranalysen keinerlei Anhaltspunkte für einen Alkohol- oder Drogenmissbrauch des Vaters festgestellt. Das OLG ist der Auffassung, dass es in Anbetracht des nicht ansatzweise mit belastbaren Tatsachen unterlegten Vorbringens solch weitreichender Ermittlungen nicht bedurft hätte.

Ziel einer ausgewogenen Übernachtungsregelung

Darüber hinaus wendet sich die Mutter ausdrücklich nur gegen die Übernachtungen, was das OLG in Bezug auf den von ihr geäußerten Verdacht nachdenklich stimmt; denn ein übermäßiger Alkohol- und Drogenkonsum des Vaters wäre auch tagsüber ein erhebliches Problem. Der Einwand der Mutter, das Kind habe noch nie auswärts übernachtet, greift ebenfalls nicht. Das Kind ist drei Jahre alt, besucht den Kindergarten und hat unstreitig bereits gelegentlich bei beiden Großeltern übernachtet. Es wird als ein weder besonders ängstliches noch unsicher gebundenes noch sehr zurückhaltendes Kind beschrieben. Die Realität - in Gestalt eines mitsorgeberechtigten und zu ausgiebigem Umgang berechtigten Vaters – soll ihm angemessen deutlich werden.

Folgerungen aus der Entscheidung

Neben dem Alter des Kindes sind auch sein aktueller Entwicklungsstand, seine Vertrautheit mit dem anderen Elternteil und die Möglichkeit der gestaffelten Heranführung des Umgangs bis zur Übernachtung zu berücksichtigen.

Praxishinweis

Behauptungen, die ein Elternteil im Rahmen einer kindschaftsrechtlichen Familiensache zur Untermauerung seines Antrags vorträgt, müssen durch Tatsachen belegt werden. Zumindest aber müssen Anhaltspunkte vorliegen, die Ermittlungen des Gerichts rechtfertigen. Denn auch wenn die tatrichterliche Sachaufklärung in kindschaftsrechtlichen Familiensachen grundsätzlich an besondere Anforderungen geknüpft ist, ist sie letztlich vom Sachvortrag der Verfahrensbeteiligten abhängig. Sind die vorgetragenen Anhaltspunkte oder Verdachtsmomente nicht substanziiert genug, verpflichten sie das Gericht nicht zu weiteren Ermittlungen.

weiter zum Volltext OLG Saarbrücken, Beschl. v. 23.01.2013 – 6 UF 20/13, DRsp-Nr. 2013/3006