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BSG - Entscheidung vom 21.07.2005

B 11a AL 37/05 B

Normen:
GG Art. 3 Abs. 1
SGB III § 150 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluß vom 21.07.2005 - Aktenzeichen B 11a AL 37/05 B

DRsp Nr. 2005/17896

Anspruchsdauer beim Teilarbeitslosengeld

Durch § 150 Abs. 2 Nr. 3 SGB III wird geregelt, dass die Bezieher von Teilarbeitslosengeld hinsichtlich der Dauer des Anspruchs anders behandelt werden als Bezieher von Arbeitslosengeld. Dadurch wird der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

GG Art. 3 Abs. 1 ; SGB III § 150 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe:

I

Der Kläger begehrt über den 29. März 2002 hinaus Teilarbeitslosengeld (Teil-Alg). Der Kläger stand bis zum 30. September 2001 in insgesamt drei Beschäftigungsverhältnissen als Musiklehrer. Er war bei der Kreisjugendmusikschule W. /Jugendmusikschule S. , bei der Jugendmusikschule in D. und bei der Musikschule M. tätig. Die letztgenannte Musikschule kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 30. September 2001. Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab 1. Oktober 2001 Teil-Alg in Höhe von 66,08 DM wöchentlich (Bemessungsentgelt 140,00 DM, Leistungsgruppe E, allgemeiner Leistungssatz). Zahlungen erfolgten bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 29. März 2002.

Gegen den Bewilligungsbescheid vom 20. Dezember 2001 legte der Kläger mit der Begründung Widerspruch ein, es sei verfassungswidrig und diskriminierend, dass Teil-Alg lediglich für 180 Kalendertage gewährt werde. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2002 zurück.

Das Klageverfahren verlief erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid vom 1. Dezember 2003 mit Urteil vom 19. Januar 2005 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Regelung für das Teil-Alg sei verfassungsgemäß. Es liege im Ermessen des Gesetzgebers, wie und in welchem Umfang er die Rechtsstellung der Teilarbeitslosen verbessern wolle. Da es bei der Vollarbeitslosigkeit und der Teilarbeitslosigkeit um unterschiedliche Lebenssachverhalte gehe, dürfe er daran anknüpfend eine differenzierte Regelung treffen. Eine andere Behandlung sei auch vor dem Hintergrund berechtigt, dass der Teilarbeitslose neben der Teilarbeitslosigkeit noch weiterhin Einnahmen aus Teilzeitbeschäftigungen habe. Zu berücksichtigen sei weiter, dass nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Zeitraum von sechs Monaten eine angemessene Zeit darstelle, für die verlorene Beschäftigung gleichwertigen Ersatz zu finden. Jedenfalls für die Gruppe der Musiklehrer sei ein derartiger Zeitraum ausreichend. Während der Vollarbeitslose nur 60 % seines bisherigen Nettoentgelts erhalte, verbleibe dem Kläger aus den zwei von ihm weiterhin ausgeübten Arbeitsverhältnissen mehr als 60 % seiner bisherigen Nettobezüge, sodass ein längeres zusätzliches Teil-Alg ihn unverhältnismäßig besser stellen würde. Die unterschiedliche Anspruchsdauer sei deshalb gerechtfertigt und stelle keinesfalls einen Verstoß gegen Art 3 Grundgesetz ( GG ) dar.

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er macht geltend, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu. Der Rechtsstreit werfe die Frage auf, ob § 150 Abs 2 Nr 3 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - ( SGB III ) gegen Art 3 Abs 1 GG verstoße, soweit der Anspruch auf Teil-Alg auf sechs Monate beschränkt sei, auch wenn Teilarbeitslose die gleichen Vorleistungen wie Vollarbeitslose für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) erbracht hätten. Die Rechtsfrage sei klärungsbedürftig. Inwieweit § 150 SGB III Grundrechte der Verfassung berühre, sei ersichtlich vom Bundessozialgericht (BSG) noch nicht untersucht worden. Aus Gesetzesbegründung, Wortlaut des § 150 SGB III und der Verweisung auf die entsprechende Anwendung der §§ 117 ff SGB III sei ersichtlich, dass neben dem objektiven Tatbestand der Versicherungsfall Teilarbeitslosigkeit als subjektiven Tatbestand voraussetze, dass der Teilarbeitslose für eine Teilzeittätigkeit arbeitsfähig und arbeitsbereit sei. Die Regelvoraussetzungen für das Alg seien die gleichen. Soweit sich das BSG bisher mit dem Teil-Alg beschäftigt habe, hätten andere Rechtsfragen im Vordergrund gestanden. Auch in der Literatur seien hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der zum Alg abweichenden Regelungen zur Anwartschaftszeit, zur Dauer des Anspruchs und zum Erlöschen von Teil-Alg keine rechtserheblichen Bedenken geäußert worden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe zur Frage der Nichtberücksichtigung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt bei der Berechnung von Lohnersatzleistungen es zwar von Verfassungs wegen nicht für geboten erachtet, dass eine versicherungsmathematische Äquivalenz zwischen den entrichteten Beiträgen und der Höhe der Leistung erzielt werde, jedoch für unterschiedliche Leistungen an Versicherte mit gleicher Beitragsleistung einen hinreichend sachlichen Grund gefordert. Für die Ungleichbehandlung zwischen Alg und Teil-Alg seien hinreichende sachliche Gründe nicht ersichtlich. Es handele sich nicht um unterschiedliche Lebenssachverhalte, wenn über längere Jahre Teilarbeitsverhältnisse bestünden, die der Beitragspflicht unterlägen. Die verkürzte Rahmenfrist des Teil-Alg und die kurze Erlöschensfrist schränkten zusammen gesehen die Möglichkeit ein, vorübergehende Verringerungen der Erwerbstätigkeit zu nutzen, welches im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Alg durchaus möglich sei. Anders als das LSG meine, sei es auch nicht schon vor dem Hintergrund gerechtfertigt, den Leistungszeitraum bei Teil-Alg auf 180 Tage zu beschränken, wenn nach der Ansicht des Gesetzgebers davon ausgegangen werden könne, im Teilzeitbereich bestünde für Betroffene eine wesentlich größere Möglichkeit, kurzfristig die eingetretene Lücke wieder zu schließen. Gehe man davon aus, dass Beiträge den gleichen Erfolgswert haben müssten, so greife auch das Argument des LSG nicht, es bestünden weitere Teilzeitarbeitsverhältnisse, aus denen weiterhin entsprechendes Arbeitsentgelt erzielt werde. Auf die Rechtsfrage komme es im vorliegenden Rechtsstreit auch entscheidungserheblich an.

Die Beklagte ist der Auffassung, verfassungsrechtliche Überlegungen zur Gültigkeit einer Norm hätten grundsätzlich eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, die die Zulassung der Revision rechtfertige. Anderes könne allenfalls dann gelten, wenn der Anwendungsbereich der anzuwendenden Norm ausschließlich auf den entschiedenen Streitfall begrenzt sei. Dies sei bei durchschnittlich 100 bis 200 Beziehern von Teil-Alg pro Stichtag jedoch nicht der Fall. Auch die Beklagte könne deshalb nicht nachvollziehen, weshalb die Revision vom LSG nicht zugelassen worden sei. Inhaltlich sei die Beklagte dagegen der Auffassung, dass die von den Alg-Regelungen abweichenden Bestimmungen für das Teil-Alg verfassungskonform seien.

II

Die Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerdebegründung genügt den prozessualen Anforderungen an die Darlegung von Zulassungsgründen (§ 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz >SGG<). Sachlich ist die Beschwerde jedoch nicht begründet, denn die aufgeworfene Frage ist nicht im Allgemeininteresse klärungsbedürftig.

Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) kommt nach ständiger Rechtsprechung, von der auch die Beschwerdebegründung ausgeht, einer Rechtsfrage zu, die sich nach der Gesetzeslage, dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne weiteres beantworten, eine verallgemeinerungsfähige Antwort des Revisionsgerichts erwarten lässt und nach den Gegebenheiten des Falles klärungsfähig ist (BSGE 40, 41 f = SozR 1500 § 160a Nr 4; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerde ist nicht begründet, weil die vom Kläger zur Dauer des Anspruchs auf Teil-Alg aufgeworfene Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig ist. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17) oder praktisch von vornherein außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4; BSG vom 30. März 2005 - B 4 RA 257/04 B). Dies gilt auch für verfassungsrechtliche Fragestellungen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11).

Zwar hat die Beschwerdebegründung zutreffend herausgearbeitet, dass höchstrichterliche Rechtsprechung, die sich mit der Dauer des Anspruchs auf Teil-Alg unter Einbeziehung verfassungsrechtlicher Fragestellung befassen würde, nicht vorliegt. Die Beschwerdebegründung räumt jedoch selbst ein, dass auch in der Literatur verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anspruchsdauer des Teil-Alg nicht erhoben worden sind. Auch die Bedenken, die die Beschwerdebegründung aus den Entscheidungen des BVerfG (BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6; BVerfGE 102, 127 = SozR 3-2400 § 23a Nr 1) zur Berücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Berechnung von kurzfristigen Lohnersatzleistungen herleiten will, führen nicht dazu, die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage zu bejahen.

§ 150 Abs 2 Nr 3 SGB III verletzt nicht dadurch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG , dass die Bezieher von Teil-Alg hinsichtlich der Dauer des Anspruchs anders behandelt werden als die Bezieher von Alg. Insoweit haben das LSG und die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass durch die unterschiedlichen Voraussetzungen der Ansprüche von Alg und Teil-Alg Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht vorliegen, dass die ungleiche Behandlung gerechtfertigt ist. Diese Unterschiede liegen insbesondere darin, dass der Teilarbeitslose Einschränkungen bei der Verfügbarkeit für zumutbare Beschäftigungen geltend machen kann, die bei einem Empfänger von (Voll-)Alg zur Verneinung der Anspruchsvoraussetzungen führen würden. Im Hinblick auf die hieraus erwachsene unterschiedliche Belastung der Versichertengemeinschaft durch ein erhöhtes Risiko konnte der Gesetzgeber typisierend anknüpfen und Folgerungen für die Anspruchsdauer ziehen.

Unabhängig von diesen Erwägungen beachtet die Beschwerdebegründung nicht, dass die Erschöpfung des Anspruchs auf Teil-Alg der späteren Geltendmachung eines Anspruchs auf Alg nicht entgegensteht. Dies folgt unmittelbar aus der Regelung in § 128 Abs 1 Nr 2 SGB III , wonach die Dauer des Anspruchs auf Alg sich um jeweils einen Tag für jeweils zwei Tage, für die ein Anspruch auf Teil-Alg innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs erfüllt worden ist, mindert. Werden durch den Verlust einer weiteren Beschäftigung die Voraussetzungen für den Bezug von Alg erfüllt, erlischt der Anspruch auf Teil-Alg (vgl § 150 Abs 2 Nr 5 b SGB III ) und ein (geminderter) Anspruch auf Alg entsteht. Bei der Bemessung des Alg im Anschluss an einen Anspruch auf Teil-Alg wird auch das Entgelt der früher aufgegebenen Teilzeitbeschäftigung nach Maßgabe des § 134 Abs 1 Satz 3 Nr 9 SGB III berücksichtigt. Das Fortbestehen der Anwartschaft auf Alg ist ebenfalls auf die vorherige Beitragsleistung zurückzuführen und wahrt folglich den Erfolgswert der zuvor geleisteten Beiträge.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 19.01.2005 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 AL 192/04
Vorinstanz: SG Stuttgart, vom 01.12.2003 - Vorinstanzaktenzeichen S 2 AL 3195/02