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BVerwG - Entscheidung vom 15.09.2022

4 C 5.21

Normen:
BauGB § 13a Abs. 1 S. 1
BauGB § 17 Abs. 5
BauGB § 13a Abs. 1 S. 1
BauGB § 17 Abs. 5
BauGB § 9 Abs. 2a
BauGB § 13a Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
DVBl 2023, 89
D_V 2023, 265

BVerwG, Urteil vom 15.09.2022 - Aktenzeichen 4 C 5.21

DRsp Nr. 2022/17502

Bauvorbescheid für eine Nutzungsänderung auf einer Teilfläche des Grundstücks; Außerkrafttreten der Veränderungssperre

Andere Maßnahmen der Innenentwicklung nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB müssen nach Ziel und Inhalt der Entwicklung der überplanten Fläche dienen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2021 - 4 CN 6.19 - BVerwGE 173, 70 Rn. 18). Der vollständige Ausschluss von Einzelhandel im Gebiet eines Bebauungsplans, um außerhalb gelegene Versorgungsbereiche zu schützen, ist daher keine andere Maßnahme der Innenentwicklung.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das auf die mündliche Verhandlung vom 26. Mai 2020 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Normenkette:

BauGB § 9 Abs. 2a ; BauGB § 13a Abs. 1 S. 1;

Gründe

I

Die Klägerin begehrt einen Bauvorbescheid für eine Nutzungsänderung.

Sie beantragte im Jahr 2012 einen Vorbescheid für die Nutzungsänderung auf einer Teilfläche des Grundstücks Flurstück ... der Gemarkung S. (postalisch: ...). Auf der Fläche ist ein Parkhaus errichtet. Ein Teil dessen Erdgeschosses soll als Getränkemarkt mit 790 m2 Verkaufsfläche genutzt werden. Auf einem angrenzenden Grundstücksteil befindet sich ein Einkaufszentrum.

Für die zur Umnutzung vorgesehene Fläche hatte die beklagte Gemeinde bereits zwischen 1960 und 1971 verschiedene bauplanerische Festsetzungen getroffen. Mit dem am 16. März 2000 bekannt gemachten Bebauungsplan "Aldinger Straße Mühlhausen" (Mühl 76) setzte sie für den streitbefangenen Grundstücksteil ein Gewerbegebiet (GE 1) fest. Nach den textlichen Festsetzungen sind nur nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe zulässig, die das Wohnen nordwestlich der Aldinger Straße nicht wesentlich stören. Einzelhandelsbetriebe können ausnahmsweise zugelassen werden. Vor Bekanntmachung des Plans hatte die Rechtsvorgängerin der Klägerin die Festsetzungen nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 BauGB anerkannt.

Die Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Bauvorbescheides wies das Verwaltungsgericht ab. Der Verwaltungsgerichtshof wies die Berufung in einem ersten Berufungsurteil mit der Begründung zurück, eine Ausnahme vom Bebauungsplan Mühl 76 sei fehlerfrei versagt worden. Eine etwaige Unwirksamkeit des Plans könne die Klägerin wegen des Anerkenntnisses nicht geltend machen. Auf die Revision der Klägerin hob der Senat das Urteil auf und verwies die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Weil das Anerkenntnis spätestens mit der Bekanntmachung des Plans wirkungslos geworden sei, stehe es einer Geltendmachung der Unwirksamkeit des Plans nicht entgegen (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2018 - 4 C 6.17 - BVerwGE 164, 40 ).

Am 19. März 2019 beschloss die Beklagte die Aufstellung eines Bebauungsplans "Gewerbegebiet Aldinger Straße" (Mühl 89) und am 11. April 2019 eine Veränderungssperre für das Vorhabengrundstück als Satzung (Mühl 89/1).

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Klägerin in einem zweiten Berufungsurteil erneut zurückgewiesen. Die Klägerin könne keinen Vorbescheid verlangen, weil das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig sei. Allerdings verbiete der Bebauungsplan Mühl 76 die Nutzungsänderung nicht, weil der Plan unwirksam sei und sich die Klägerin darauf berufen könne. Denn es fehle eine Rechtsgrundlage für die Beschränkung auf nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe, die das Wohnen nicht wesentlich störten, zudem sei die Festsetzung nicht ausreichend bestimmt. Die Klägerin habe aber wegen der Veränderungssperre Mühl 89/1 keinen Anspruch auf den Vorbescheid. Diese Veränderungssperre sei ihr gegenüber wirksam. Zeiten seit der Ablehnung der Bauvoranfrage im Jahr 2012 seien nicht analog § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB als faktische Zurückstellung anzurechnen.

Während des Revisionsverfahrens machte die Beklagte den einfachen Bebauungsplan Mühl 89 bekannt. Der im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB erlassene Plan gilt für das streitbefangene Grundstück und weitere Flächen südlich der Aldinger Straße. Gestützt auf § 9 Abs. 2a BauGB erklärt er Einzelhandelsbetriebe für nicht zulässig.

Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Der Bebauungsplan Mühl 89 hindere die Erteilung des Vorbescheids nicht, weil der Plan unwirksam sei. Da auch die früheren Festsetzungen unwirksam seien, müsse die Zulässigkeit des Vorhabens anhand von § 34 BauGB geprüft werden. Hilfsweise begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte bis zum Inkrafttreten des Bebauungsplans Mühl 89 verpflichtet war, ihr einen Vorbescheid zu erteilen. Sie, die Klägerin, beabsichtige, Amtshaftungs- und Entschädigungsansprüche zu verfolgen. Die Veränderungssperre habe ihr nicht entgegengehalten werden können, weil die Zeiten der - nach Auffassung der Klägerin rechtswidrigen - Ablehnung des Antrags analog § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB als faktische Zurückstellung angerechnet werden müssten.

Die Beklagte tritt der Revision entgegen. Der Bebauungsplan Mühl 89 und die Veränderungssperre Mühl 89/1 ständen der Erteilung des Vorbescheides und der begehrten Feststellung entgegen.

II

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten nach § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung.

Die Revision führt zur Zurückverweisung an die Vorinstanz. Nach der für die Revisionsentscheidung maßgeblichen Rechtslage steht das Urteil nicht mit Bundesrecht in Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ). Für eine abschließende Entscheidung über den Hauptantrag reichen die tatsächlichen Feststellungen nicht. Dies führt zur Zurückverweisung nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO .

Anspruchsgrundlage für den Bauvorbescheid ist § 57 Abs. 1 Satz 1 LBO BW . Danach kann vor Einreichen des Bauantrags auf Antrag des Bauherrn in Textform ein schriftlicher Bescheid zu einzelnen Fragen des Vorhabens erteilt werden (Bauvorbescheid). Der Bauvorbescheid - hier zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit - ist nur zu erteilen, wenn seinem Inhalt keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen (§ 57 Abs. 2 LBO BW i. V. m. § 58 Abs. 1 Satz 1 LBO BW ).

1. Die Versagung des Vorbescheides kann nicht auf die Veränderungssperre Mühl 89/1 gestützt werden. Denn nach § 17 Abs. 5 BauGB tritt die Veränderungssperre in jedem Fall außer Kraft, sobald und soweit die Bauleitplanung rechtsverbindlich abgeschlossen ist. Damit ist die Veränderungssperre mit Bekanntmachung des Bebauungsplans Mühl 89 am 24. Februar 2022 außer Kraft getreten. Ob der Bebauungsplan wirksam ist, spielt insoweit keine Rolle (BVerwG, Beschlüsse vom 28. Februar 1990 - 4 B 174.89 - Buchholz 406.11 § 17 BauGB Nr. 3 S. 2 und vom 29. März 2007 - 4 BN 11.07 - Buchholz 406.11 § 14 BauGB Nr. 28 Rn. 3).

Die Änderung der Rechtslage ist im Revisionsverfahren zu beachten. Das Revisionsgericht hat Rechtsänderungen, die während des Revisionsverfahrens eintreten, in gleichem Umfang zu berücksichtigen wie die Vorinstanz, wenn sie jetzt entschiede (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Oktober 2017 - 4 C 5.16 - BVerwGE 160, 104 Rn. 11 und vom 25. Januar 2022 - 4 C 2.20 - NVwZ 2022, 893 Rn. 9). Weil eine Klage auf Verpflichtung zur Erteilung eines Vorbescheides nur begründet ist, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Anspruch auf dessen Erlass besteht (UA S. 15 f.), hätte der Verwaltungsgerichtshof das Außerkrafttreten der Veränderungssperre zu berücksichtigen, wenn er jetzt entschiede.

2. Die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz lassen keine Entscheidung zu, ob die Klägerin einen Anspruch auf den Vorbescheid hat.

a) § 30 Abs. 3 BauGB i. V. m. dem Bebauungsplan Mühl 89 steht dem Vorbescheid nicht entgegen. Der Plan ist unwirksam, weil er nicht im beschleunigten Verfahren ohne Umweltprüfung und Umweltbericht hätte ergehen dürfen.

Das Berufungsgericht hat über das Bestehen und den Inhalt des Bebauungsplans Mühl 89 keine Entscheidung getroffen, die nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO für die auf die Revision ergehende Entscheidung maßgeblich wäre. Der Senat macht aus Gründen der Prozessökonomie von der in § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 563 Abs. 4 ZPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch, dieses irrevisible Recht selbst auszulegen (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. März 2019 - 9 C 4.18 - BVerwGE 165, 138 Rn. 113 und vom 18. Juni 2020 - 3 C 3.19 - BVerwGE 168, 287 Rn. 70). Soweit es dazu auf die Begründung des Bebauungsplans ankommt, kann der Senat deren Inhalt als nicht beweisbedürftige Tatsache selbst feststellen (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 a. a. O. Rn. 74).

Der Bebauungsplan regelt einzig den Ausschluss des Einzelhandels im Plangebiet. Die Regelung ist keine andere Maßnahme der Innenentwicklung im Sinne von § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB . Solche Maßnahmen müssen nach Ziel und Inhalt der Entwicklung der überplanten Fläche dienen, ein Bebauungsplan nach § 13a BauGB muss mithin die bauplanungsrechtliche Grundlage für Maßnahmen der Innenentwicklung selbst schaffen. Es reicht nicht, wenn aufgrund eines nur mittelbaren Ursachenzusammenhangs die Innenentwicklung in anderen Teilen des Siedlungsbereichs positiv beeinflusst wird (BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2021 - 4 CN 6.19 - UPR 2021, 490 Rn. 18). Der Bebauungsplan Mühl 89 soll indes nach seiner Begründung - mindestens ganz vorrangig - zur Sicherung und Entwicklung der Nahversorgung in den im Einzelhandel- und Zentrenkonzept definierten Bereichen beitragen, die außerhalb des Plangebiets liegen (Planbegründung S. 4, 6). Aus § 9a Abs. 2 Satz 1 BauGB folgt nichts Anderes. Ein Bebauungsplan für die Einzelhandelssteuerung kann danach erlassen werden zur Erhaltung oder Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche, auch im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und der Innenentwicklung der Gemeinden. Zwar mag die Stärkung eines Nahversorgungszentrums der dortigen Innenentwicklung dienen, wenn der Einzelhandel an anderen Standorten unterbleibt. Die Verfolgung dieses Interesses außerhalb des Plangebiets macht den Plan nach § 9 Abs. 2a Satz 1 BauGB aber nicht zu einer anderen Maßnahme der Innenentwicklung im Sinne von § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB .

Das gewählte Vorgehen kann nicht als vereinfachtes Verfahren gebilligt werden. Zwar kann die Gemeinde nach § 13 Abs. 1 BauGB unter bestimmten Voraussetzungen einen Bebauungsplan im vereinfachten Verfahren erlassen, wenn der Plan lediglich Festsetzungen nach § 9 Abs. 2a BauGB enthält. Das vereinfachte Verfahren nach § 13 BauGB und das beschleunigte Verfahren nach § 13a BauGB unterscheiden sich aber nach Verfahrensanforderungen und -zweck in einer Weise, die einer Umdeutung entgegensteht (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 4 BN 14.16 - Buchholz 406.11 § 13 BauGB Nr. 4 Rn. 10).

Für den Bebauungsplan ist keine förmliche Umweltprüfung vorgenommen worden. Es fehlt daher ein Umweltbericht als gesonderter Teil der Begründung nach § 2a Satz 2 Nr. 2, Satz 3 BauGB . Dieser Verfahrensfehler ist nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB beachtlich (BVerwG, Urteile vom 4. November 2015 - 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 29 und vom 25. Juni 2020 - 4 CN 5.18 - BVerwGE 169, 29 Rn. 34). Er ist nicht nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB unbeachtlich geworden, weil die Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB noch nicht abgelaufen ist (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 13. Oktober 2015 - 1 KN 66.14 - NVwZ 2016, 783 Rn. 21; VGH München, Urteil vom 24. Mai 2022 - 15 N 21.2545 - juris Rn. 25).

b) Die Festsetzungen früherer Bebauungspläne sind unwirksam. Auf diese Unwirksamkeit kann sich die Klägerin auch berufen. Dies hat der Verwaltungsgerichtshof ohne Verstoß gegen Bundesrecht festgestellt. Einwände haben die Beteiligten insoweit nicht erhoben. Vielmehr nahm auch die Beklagte bei Erlass des Bebauungsplans Mühl 89 ausweislich der Planbegründung (S. 4, 5 und 8) an, einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil zu überplanen. Die tatrichterlichen Feststellungen lassen keine Entscheidung darüber zu, ob die Erteilung des Vorbescheides mit § 34 BauGB in Einklang stände (vgl. UA S. 15).

Dies zwingt zur Zurückverweisung. An einer Entscheidung über den Hilfsantrag ist der Senat gehindert.

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG auf 59 250 € festgesetzt.

Vorinstanz: VG Stuttgart, vom 16.12.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 13 K 2249/13
Vorinstanz: VGH Baden-Württemberg, vom 26.05.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 8 S 1081/19
Fundstellen
DVBl 2023, 89
D_V 2023, 265