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BSG - Entscheidung vom 09.09.2021

B 12 R 12/21 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 09.09.2021 - Aktenzeichen B 12 R 12/21 B

DRsp Nr. 2021/16783

Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Verstoß gegen das Amtsermittlungsprinzip

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts vom 28. April 2021 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 47.725,91 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die im Rahmen eines Betriebsprüfungsverfahrens getroffene Feststellung der Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 4. bis 7. in der Zeit von Oktober 2006 bis Juni 2007 sowie um eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 47.725,91 Euro von dem Kläger als faktischem Arbeitgeber (Bescheid vom 12.2.2014, Widerspruchsbescheid vom 26.8.2014). Ermittlungen des Hauptzollamts hätten ergeben, dass der Kläger tatsächlich handelnder und verantwortlicher Unternehmer der Firma D gewesen und die Gewerbeanmeldung dieser Firma durch die als Gesamtschuldnerin in Anspruch genommene Frau W nur zum Schein erfolgt sei. Es habe Schwarzarbeit vorgelegen. Das SG Gotha hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 20.2.2017). Das Thüringer LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte habe das Ergebnis der vom Hauptzollamt durchgeführten Prüfung zugrunde legen dürfen. Die vier Beigeladenen hätten zu dem Kläger in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis gestanden; sie seien ihm gegenüber weisungsgebunden und in "dessen Betrieb" eingegliedert gewesen. Dies ergebe sich aus den Akten des Hauptzollamts und des Strafverfahrens, die im Wege des Urkundsbeweises verwertet würden (Beschluss vom 28.4.2021). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG ). Der Kläger hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG den allein geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht hinreichend bezeichnet.

Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann sich ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Auszugehen ist insoweit von der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des LSG (vgl BSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B - juris RdNr 18 mwN). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn er hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt wird, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung - ohne weiteres Studium der Akten - darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.

Wird ein Verstoß gegen das Amtsermittlungsprinzip gerügt, ist darzulegen, dass ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag in der abschließenden mündlichen Verhandlung oder bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung schriftsätzlich zu einem Zeitpunkt, in dem feststand, dass das LSG von sich aus Ermittlungen nicht mehr durchführen würde, bis zuletzt aufrechterhalten oder gestellt worden ist. Wird ein zuvor schriftsätzlich gestellter Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung bzw nach Erhalt einer Anhörungsmitteilung 153 Abs 4 Satz 2 SGG ) nicht wiederholt, so gilt er bei einem rechtskundig vertretenen Beteiligten als erledigt (vgl BSG Beschluss vom 5.8.2014 - B 9 SB 36/14 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 16.7.2019 - B 13 R 150/19 B - juris RdNr 14). Ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag muss sowohl das Beweismittel als auch das Beweisthema angeben und aufzeigen, über welche Tatsachen im Einzelnen Beweis erhoben werden soll (vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 6; BSG Beschluss vom 18.12.2018 - B 12 R 37/18 B - juris RdNr 3).

Dass der Kläger prozessordnungsgemäße Beweisanträge gestellt und bis zuletzt aufrechterhalten hätte, ist nicht substantiiert dargetan.

Der Kläger trägt zwar vor, es sei, nachdem das LSG mit Verfügung vom 2.6.2020 darauf hingewiesen gehabt habe, dass es auf die Angaben der Frau W ankomme, mehrfach ua mit Schriftsatz vom 30.6.2020 sowie nochmals mit Schriftsatz vom 31.3.2021 die Vernehmung der Zeugin W erfolglos beantragt worden. Insoweit fehlt es aber an Ausführungen zum genauen Inhalt und insbesondere zum Beweisthema der Anträge. Nur aufgrund der Benennung des Inhalts eines Beweisantrags bzw dessen Formulierung in der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde kann das Beschwerdegericht überprüfen, ob es sich um einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag und nicht zB um eine Beweisanregung gehandelt hat. Außerdem legt der Kläger allein mit den genannten Daten auch nicht hinreichend dar, dass ein bestimmter Beweisantrag bis zuletzt aufrechterhalten worden ist. Hierzu fehlt die Angabe in der Beschwerdebegründung, wann der Hinweis des LSG auf die aus seiner Sicht entscheidungserhebliche Sachlage und seine Absicht, nach § 153 Abs 4 SGG durch Beschluss zu entscheiden, ergangen ist.

Unabhängig hiervon hat der Kläger nicht aufgezeigt, weshalb das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei. "Ohne hinreichende Begründung" ist nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen ( BSG Beschluss vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § Nr 5 S 6 = juris RdNr 2). Es ist der Fall, wenn sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9). Dafür ist grundsätzlich darzulegen, inwiefern nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind, damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden haben soll und die so zu ermittelnden Tatsachen nach der Rechtsauffassung des LSG entscheidungserheblich sind (vgl BSG Beschluss vom 28.9.2015 - B 9 SB 41/15 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 2.10.2019 - B 12 KR 42/19 B - juris RdNr 3). Insoweit hätte sich die Beschwerdebegründung mit der Rechtsansicht des LSG näher auseinandersetzen müssen. Der Kläger behauptet lediglich, dass sich das LSG entscheidungserheblich auf die Angaben der Zeugin W vor dem Hauptzollamt gestützt habe und deshalb eine Vernehmung mit Zeugenbelehrung notwendig gewesen wäre. Immerhin sei sie die Inhaberin der Firma gewesen. Er legt jedoch nicht dar, auf welche Aussagen sich das LSG im Einzelnen gestützt habe und inwiefern diese bei der Vernehmung vor dem LSG nach einer Zeugenbelehrung anders ausgefallen und deshalb vom LSG nach seiner Rechtsauffassung auch anders zu bewerten gewesen wären. Damit ist auch nicht erkennbar, dass der Beschluss des LSG auf der fehlenden Vernehmung beruhen kann. Allein die gegenteilige Behauptung reicht insofern nicht. Auch wenn der Kläger mit seinem Vortrag, das LSG habe sich nur auf Urkunden gestützt, einen Verstoß gegen das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme 117 SGG ) rügen wollte, wären weitere Ausführungen erforderlich. Denn die Verwertung von beigezogenen Akten ist grundsätzlich zulässig, soweit nicht deren inhaltliche Richtigkeit substantiiert bestritten oder Glaubwürdigkeitsaspekte geltend gemacht werden (vgl BSG Beschluss vom 13.8.2015 - B 9 V 13/15 B - juris RdNr 11 mwN).

Soweit der Kläger sinngemäß auch die Beweiswürdigung angreift, ist dies von vorneherein nicht geeignet, zur Zulassung der Revision zu führen.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3 , § 162 Abs 3 VwGO .

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 3 , § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG und entspricht der Festsetzung des LSG.

Vorinstanz: LSG Thüringen, vom 28.04.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 12 R 291/17
Vorinstanz: SG Gotha, vom 20.02.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 19 R 5552/14