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BSG - Entscheidung vom 01.07.2021

B 1 KR 49/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 01.07.2021 - Aktenzeichen B 1 KR 49/20 B

DRsp Nr. 2021/12997

Kostenerstattung für stationär durchgeführte Liposuktionen Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Mai 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren, ihr die Kosten für die im April und November 2018 auf eigene Kosten stationär durchgeführten Liposuktionen zu erstatten, in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung - gestützt auf frühere, mittlerweile aufgegebene Rspr des erkennenden Senats (vgl BSG vom 8.10.2019 - B 1 KR 2/19 R - SozR 4-5562 § 6 Nr 3; BSG vom 28.5.2019 - B 1 KR 32/18 R - SozR 4-2500 § 137c Nr 13; BSG vom 24.4.2018 - B 1 KR 13/16 R - BSGE 125, 262 = SozR 4-2500 § 137e Nr 1) - insbesondere ausgeführt, dass ein Erstattungsanspruch aus § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V deshalb nicht bestehe, weil stationäre Liposuktionen im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst gewesen seien. Denn die Anforderungen des Qualitätsgebotes nach § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V seien nicht erfüllt gewesen. § 137c SGB V setze dessen Geltung im Bereich der stationären Versorgung nicht außer Kraft. Etwas Abweichendes ergebe sich auch nicht aus § 137c Abs 3 SGB V idF des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz <GKV-VSG> vom 16.7.2015, BGBl I 1211, 1230 mWv 23.7.2015). Die Vorschrift begründe keinen Leistungsanspruch der Versicherten, sondern setze diesen voraus. Schließlich seien auch die Voraussetzungen eines Systemversagens sowie des § 2 Abs 1a SGB V nicht erfüllt gewesen (Urteil vom 18.5.2020).

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG- Urteil.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.

1. Eine Zulassung wegen einer nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eingetretenen "nachträglichen Divergenz" aufgrund des Urteils des Senats vom 25.3.2021 kommt hier nicht in Betracht.

Allerdings konnte die Klägerin auf die erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist zum 20.7.2020 ergangene höchstrichterliche Rspr nicht eingehen. Der erkennende Senat hat unter Aufgabe seiner bisherigen ständigen Rspr am 25.3.2021 entschieden, dass § 137c Abs 3 SGB V das allgemeine Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V partiell einschränkt: Versicherte können vor Erlass einer Richtlinie zur Erprobung iS des § 137e SGB V in Fällen schwerwiegender Erkrankungen nach Ausschöpfung der Standardtherapien einen Anspruch auf Krankenhausbehandlung haben, wenn die eingesetzten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zwar nicht dem allgemeinen Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V entsprechen, sie jedoch das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten (vgl Senatsurteil vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R). Insoweit hat der erkennende Senat seine bisherige Rspr zu § 137c Abs 3 SGB V aufgegeben.

Die Abweichung eines LSG-Urteils von einer nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist ergangenen höchstrichterlichen Entscheidung kann aber nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde die Darlegungsanforderungen des Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der Beschwerdebegründungsfrist erfüllt hat (vgl zB BSG vom 26.6.2006 - B 1 KR 19/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 10 = juris RdNr 4 mwN auch zur stRspr des BFH und BVerwG; Hauck in Hauck/Behrend, SGG , Stand 1.9.2019, § 160a RdNr 308 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 19; vgl auch zur Änderung der höchstrichterlichen Rspr nach Ergehen der Berufungsentscheidung und vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist BSG vom 8.9.2015 - B 1 KR 34/15 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 28 RdNr 6 f mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht (dazu 2.).

2. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 14/19 B - juris RdNr 4 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

Die Klägerin formuliert als Rechtsfrage,

"ob § 137c Abs 3 SGB V die Kostenübernahme einer stationären Liposuktion ausspricht".

a) Hierbei handelt es sich nicht um eine der Grundsatzrevision zugängliche Rechtsfrage. Denn die Frage nach den Therapiemöglichkeiten für ein einzelnes Leiden und den darauf bezogenen krankenversicherungsrechtlichen Behandlungsanspruch ist regelmäßig keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher" Bedeutung, sondern zielt nur auf die Klärung von Tatfragen ab, soweit die erfragte - generelle - Tatsache nicht ausnahmsweise selbst Tatbestandsmerkmal einer gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelung ist (vgl BSG vom 24.1.2017 - B 1 KR 92/16 B - juris RdNr 9 mwN). Hierzu hat die Klägerin nichts vorgetragen.

b) Sollte die Frage dahin zu verstehen sein, ob Versicherte stationär erbrachte neue Behandlungsmethoden, die nicht dem allgemeinen Qualitätsgebot entsprechen, nach § 137c Abs 3 SGB V als stationäre Behandlung außerhalb einer Richtlinie zur Erprobung iS des § 137e SGB V beanspruchen können, legt die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht dar.

Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rspr und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG <Kammer> vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rspr in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden, was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zB BSG vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32; BSG vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - juris RdNr 7). Erneute Klärungsbedürftigkeit ist darüber hinaus auch gegeben, wenn neue erhebliche Gesichtspunkte gegen die bisherige Rspr vorgebracht werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung führen können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl BSG vom 30.9.1992 - 11 BAr 47/92 - SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 = juris RdNr 8; BSG vom 11.2.2020 - B 10 EG 14/19 B - juris RdNr 6, jeweils mwN). Die Klägerin hätte nach diesem Maßstab darlegen müssen, dass und warum die aufgeworfene Rechtsfrage trotz der durch die im Zeitpunkt des Ablaufs der Beschwerdebegründungsfrist vorliegende ständige höchstrichterliche Rspr zu § 137c Abs 3 SGB V einer erneuten Überprüfung bedürfe. Hieran fehlt es.

Der Senat hatte nach Inkrafttreten des § 137c Abs 3 SGB V an seiner bisherigen, mittlerweile aufgegebenen Rspr zunächst festgehalten, dass Versicherte außerhalb von Seltenheitsfällen und des Anwendungsbereichs des § 2 Abs 1a SGB V (stRspr; vgl zB BSG vom 28.5.2019 - B 1 KR 32/18 R - SozR 4-2500 § 137c Nr 13 RdNr 13) keinen Anspruch auf Krankenhausbehandlung haben, wenn die eingesetzten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht dem allgemeinen Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V entsprechen (vgl BSG vom 24.4.2018 - B 1 KR 13/16 R - BSGE 125, 262 = SozR 4-2500 § 137e Nr 1, RdNr 9, 21 , 23 f; BSG vom 24.4.2018 - B 1 KR 10/17 R - BSGE 125, 283 = SozR 4-2500 § 137c Nr 10, RdNr 11, 18 und 25; BSG vom 28.5.2019 - B 1 KR 32/18 R - SozR 4-2500 § 137c Nr 13 RdNr 9, 27, 29 ff). Die Erbringung von Leistungen, die zwar nicht dem allgemeinen Qualitätsgebot entsprechen, aber das "Potential" einer Behandlungsalternative bieten, hat der Senat allein im Rahmen einer Erprobung iS des § 137e SGB V für möglich gehalten und insoweit lediglich einen Anspruch Versicherter auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihre Aufnahme in ein Erprobungsverfahren nach § 137e SGB V angenommen (vgl BSG vom 24.4.2018 - B 1 KR 13/16 R - BSGE 125, 262 = SozR 4-2500 § 137e Nr 1, RdNr 27 ff; BSG vom 28.5.2019 - B 1 KR 32/18 R - SozR 4-2500 § 137c Nr 13 RdNr 37 ff).

Auf diese im Zeitpunkt des Ablaufs der Beschwerdebegründungsfrist bestehende ständige Rspr geht die Klägerin nur insoweit ein, als sie vorträgt, das vom LSG herangezogene BSG -Urteil habe selbst festgestellt, dass § 137c Abs 3 SGB V keine Anforderung an das Qualitätsgebot stelle. Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage sei "bislang aber von den Gerichten differenziert entschieden" worden. Die vorgenannte Rspr wird von der Klägerin weder dargestellt noch geht sie darauf ein, weshalb die aufgeworfene Frage weiterhin klärungsbedürftig geblieben sein sollte. Auf Basis des Vortrags der Klägerin ist nicht erkennbar, in welcher Weise sich das BSG mit einem Anspruch auf Potentialleistungen näher befasst hat. Gründe, warum an dieser Rspr nicht festzuhalten sei, benennt sie deshalb auch nicht, insbesondere auch nicht durch Bezugnahme auf sonstige Rspr und Literatur. Sie verweist ansonsten lediglich darauf, dass der Wortlaut der Vorschrift - entgegen der Auffassung des LSG - die Kostenübernahme einer entsprechenden Behandlung "impliziere".

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 18.05.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 KR 2897/19
Vorinstanz: SG Freiburg, vom 29.07.2019 - Vorinstanzaktenzeichen S 14 KR 1882/18