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BSG - Entscheidung vom 04.05.2021

B 2 U 222/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
VO (EG) 883/2004 Art. 38

BSG, Beschluss vom 04.05.2021 - Aktenzeichen B 2 U 222/20 B

DRsp Nr. 2021/8880

Entschädigungsansprüche in Form von Lebzeitenleistungen und Hinterbliebenenleistungen nach postmortaler Feststellung einer Berufskrankheit Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Oktober 2020 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; VO (EG) 883/2004 Art. 38;

Gründe

Mit Urteil vom 27.10.2020 hat das LSG Rheinland-Pfalz festgestellt, dass bei dem verstorbenen Ehemann der Klägerin eine Berufskrankheit (BK) nach Nr 4105 der Anl 1 zur BKV vorgelegen hat, und zugleich Entschädigungsansprüche in Form von Lebzeiten- und Hinterbliebenenleistungen verneint, weil die darauf gerichtete Leistungsklage unzulässig sei. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Beklagte Beschwerde eingelegt.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG ), weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend dargelegt ist.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine konkrete Rechtsfrage zu einer Norm des Bundesrechts aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. In der Beschwerdebegründung muss daher angegeben werden, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Vorschrift des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Sodann ist unter Auswertung der Rechtsprechung insbesondere des BSG darzulegen, dass diese Rechtsfrage klärungsbedürftig, dh höchstrichterlich nicht geklärt, und im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist (vgl BSG Beschlüsse vom 7.7.2020 - B 2 U 201/19 B - juris RdNr 7, vom 30.7.2019 - B 2 U 239/18 B - juris RdNr 2, vom 7.3.2017 - B 2 U 140/16 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 18 RdNr 5, vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 5 und vom 19.4.2012 - B 2 U 348/11 B - UV-Recht Aktuell 2012, 755 sowie zum Ganzen BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Anforderungen vgl zB BVerfG Beschluss vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24). Schließlich ist auch aufzuzeigen, dass die Rechtssache über den Einzelfall hinaus von allgemeiner Bedeutung ist (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2012 - B 5 R 334/11 B - NZS 2012, 428 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Beklagte stellt in der Beschwerdebegründung folgende Fragen:

"Ist es Voraussetzung der Anwendung des Art. 38 VO (EG) 883/2004, dass das System der sozialen Sicherung des Staates, in dem die letzte gefährdende Exposition stattgefunden hat, einen (eigenständigen) Versicherungsfall 'Berufskrankheit' kennt?

Noch konkreter formuliert: Meint das Tatbestandsmerkmal 'Berufskrankheit' des Art. 38 VO (EG) 883/2004 (ausschließlich) einen Versicherungsfall 'Berufskrankheit', der ein vom allgemeinen Krankenversicherungsschutz zu unterscheidendes Versicherungssystem (Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten) voraussetzt? [Oder genügt ein (allgemeiner) Schutz des Systems der sozialen Sicherung, der das Risiko einschließt, durch die berufliche Tätigkeit als Beschäftigter zu erkranken?]"

Damit ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan. Die Beklagte lässt schon unerörtert, warum Art 38 VO (EG) 883/2004 überhaupt anwendbar sein könnte, obwohl sich diese kollisionsrechtliche Vorschrift ausschließlich auf "Leistungen bei Berufskrankheiten" bezieht, deren Gewährung "in Form von Lebzeiten- und Hinterbliebenenleistungen" das LSG nach innerstaatlichem Recht aber gerade verneint hat. Es ist weder dargelegt noch sonst erkennbar, dass und warum die bloße gerichtliche Feststellung eines Versicherungsfalls schon eine koordinierungsbedürftige "Leistung" und nicht lediglich notwendige Voraussetzung für das Eingreifen des Art 38 VO (EG) 883/2004 sein könnte. Im angestrebten Revisionsverfahren könnte jedenfalls nur über die Feststellung der BK 4105 als leistungsrechtlicher Vorfrage entschieden werden. Über die Gewährung von Lebzeiten- und Hinterbliebenenleistungen wäre erst anschließend in einem nachgelagerten Verwaltungsverfahren zu befinden. Nur wenn sich dort herausstellen sollte, dass die Klägerin aufgrund der BK nach innerstaatlichem Recht tatsächlich leistungsberechtigt ist, würde sich die koordinationsrechtliche Frage stellen, ob gleichwohl "Leistungen … ausschließlich nach den Rechtsvorschriften" des Königreichs der Niederlande zu gewähren sind, weil dort möglicherweise die letzte mitgliedsstaatliche Asbestexposition stattgefunden hat. Dann müsste die Beklagte das Verfahren nach Art 36 VO (EG) 987/2009 (sog "Durchführungsverordnung") einleiten. Dass sich die angesprochene Problematik mithilfe dieser Vorschrift nicht lösen lässt, obwohl Art 36 VO (EG) 987/2009 gerade auf Fälle der vorliegenden Art zugeschnitten ist und dafür ein spezielles Verfahren vorsieht, behauptet die Beschwerdebegründung nicht und zeigt auch nicht auf, warum vorliegend ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer solchen Verfahrensweise vgl BVerfG Beschluss vom 8.12.2010 - 1 BvR 1382/10 - NJW 2011, 1497 ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183 , 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Rheinland-Pfalz, vom 27.10.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 3 U 226/18
Vorinstanz: SG Mainz, vom 23.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen S 14 U 64/18