Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 15.04.2021

V ZR 170/20

Normen:
BGB § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
BGB § 444
ZPO § 286

BGH, Beschluss vom 15.04.2021 - Aktenzeichen V ZR 170/20

DRsp Nr. 2021/8135

Verletzung der rechtlichen Gehörs durch Nichtzulassen eines Zeugenbeweises über einem Sachmangel eines erworbenen Hauses

Berücksichtigt das Gericht ein erhebliches Beweisangebot nicht, weil es die Behauptung der Pertei zwar vordergründig als wahr unterstellt, dieser aber einen anderen Inhalt gibt, liegt darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 27. Juli 2020 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt bis zu 25.000 €.

Normenkette:

BGB § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ; BGB § 444 ; ZPO § 286 ;

Gründe

I.

Mit notariellem Vertrag vom 28. November 2013 erwarben die Kläger von dem Beklagten ein mit einem Doppelhaus bebautes Grundstück unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. Der Beklagte, ein Heizungsbauer, hatte das Haus zuvor zwanzig Jahre lang selbst bewohnt. Die Übergabe erfolgte zum 1. Juli 2014. Da das Doppelhaus tiefer liegt als die Straße, weist die zu dem Gebäude führende Einfahrt hangabwärts ein Gefälle auf, und bei Regen rinnt Wasser die Einfahrt hinunter.

Gestützt auf die Behauptung, die Entwässerungsanlage entspreche nicht dem Stand der Technik und infolgedessen komme es bei Regenfällen immer wieder zu Überschwemmungen der Einfahrt und Wassereintritt in das Schlafzimmer, wovon der Beklagte Kenntnis gehabt habe, verlangen die Kläger - soweit noch von Interesse - mit der Klage Ersatz der auf die Entwässerung bezogenen Mängelbeseitigungskosten in Höhe von 22.952 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten; ferner wollen sie die Ersatzpflicht des Beklagten für weitere Schäden feststellen lassen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Kläger durch Beschluss zurückgewiesen. Gegen die damit verbundene Nichtzulassung der Revision wenden sich die Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt.

II.

Das Berufungsgericht sieht den behaupteten Mangel als nicht in vollem Umfang erwiesen an. Es stehe nicht fest, dass schon in der Besitzzeit des Beklagten von der Einfahrt aus Wasser in das Schlafzimmer eingedrungen sei. Allerdings weise die Entwässerungsanlage mehrfache Mängel auf, und sie habe bereits im Zeitpunkt der Errichtung nicht dem Stand der Technik entsprochen. Deshalb sei zugunsten der Kläger zu unterstellen, dass sich immer wieder Wasser in der Einfahrt sammele. Das lasse jedoch nicht den Schluss auf die Arglist des Beklagten zu. Von einer Vernehmung der Zeugen, die zu der vor Übergabe aufgetretenen Wasserbelastung benannt worden seien, habe das Landgericht zu Recht abgesehen, weil die in das Wissen der Zeugen gestellten Tatsachen als wahr unterstellt werden könnten. Selbst wenn sich immer wieder nach Regenfällen Wasser in der Einfahrt gestaut habe, erlaube das nicht den Rückschluss, dass der Beklagte den Mangel der Entwässerungsanlage erkannt habe. Jedenfalls lasse sich nicht ausschließen, dass er die Wasserbelastung aufgrund der Hanglage für unvermeidlich gehalten habe, denn es stehe nicht fest, dass die Wasserbelastung ein Ausmaß erreicht habe, das schlechterdings nicht mehr allein mit der Lage des Grundstücks zu erklären gewesen wäre. Der Sachverständige habe nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen können, dass ein Bewohner des Hauses aus der Wasserbelastung auf die Mängelursache habe schließen müssen.

III.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 21. November 2019 - V ZR 101/19, ZMR 2020, 768 Rn. 10 mwN). Dies gilt auch dann, wenn die gebotene Beweisaufnahme unterbleibt, weil das Gericht die Grundsätze der Wahrunterstellung missachtet und die Behauptung der Partei nicht so übernimmt, wie sie von der Partei aufgestellt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 2018 - VIII ZR 223/17, NJW-RR 2018, 647 Rn. 10 mwN). So liegt es hier.

1. Die Kläger nehmen hin, dass das Berufungsgericht das Eindringen von Feuchtigkeit in das Haus infolge von Wasseransammlungen in der Einfahrt während der Besitzzeit des Beklagten nicht für erwiesen hält. Sie haben aber, wie die Nichtzulassungsbeschwerde aufzeigt, darüber hinaus folgendes unter Beweisantritt vorgetragen: In der Zeit vor Kaufvertragsabschluss sei das Grundstück „immer wieder überflutet gewesen“, es habe „oft bei Regen Wasser hoch vor dem Haus“ gestanden. Die Zeugin R. und die Zeitungsausträgerinnen G. P. und N. P. haben sie benannt zum Beweis der Tatsache, dass „ständig Wasser in der Einfahrt stand“. Die Postbotin D. könne bestätigen, dass es schon lange Probleme mit der Entwässerung gab. Sie habe immer wieder festgestellt, dass das Grundstück überflutet gewesen sei, weil die Entwässerungsanlage nicht funktionierte. Auf diese Beweisantritte haben die Kläger wiederholt verwiesen; es gebe „Überschwemmungen“ und „regelmäßige Grundstücksüberflutungen“, für die Zeugenbeweis angetreten sei. Das Wasser stehe „über längere Zeiträume knöchelhoch“. In ihrer Stellungnahme zu dem gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ergangenen Hinweisbeschluss haben die Kläger nochmals ausgeführt, dass die „regelmäßige Ansammlung erheblicher Mengen Niederschlagswasser zum Besitzzeitpunkt des Beklagten“ unter Zeugenbeweis gestellt worden sei.

2. Das Berufungsgericht hingegen führt aus, zu dem Ausmaß der Wasserbelastung erweckten die Kläger in ihrer Stellungnahme zu dem gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ergangenen Hinweisbeschluss den Eindruck, als müssten die Bewohner und Besucher des Hauses „bei Regen regelmäßig durch knöcheltief stehendes Wasser waten“; indes hätten sie in der Klageschrift nur auf die Wasserbelastung bei starkem Regen abgestellt. Der Vernehmung der Zeugen bedürfe es nicht, weil als wahr unterstellt werden könne, dass sich immer wieder Wasser in der Einfahrt sammele. Damit unterstellt das Berufungsgericht die Behauptungen der Kläger zwar vordergründig als wahr, gibt ihnen aber einen anderen Inhalt und verletzt auf diese Weise das rechtliche Gehör der Kläger. Dass der knöchelhohe Wasserstau nur bei seltenen, extremen Wetterereignissen auftritt, haben die Kläger - wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt - gerade nicht vorgetragen. Nach dem oben wiedergegebenen Inhalt ihrer Schriftsätze tritt der Wasserstau zwar (naturgemäß) nur bei feuchter Witterung auf; er beschränkt sich aber gerade nicht auf seltenen Starkregen, sondern übersteigt die üblicherweise zu erwartende Wasserbelastung eines Hanggrundstücks.

3. Der Verstoß gegen das rechtliche Gehör ist entscheidungserheblich, weil nicht auszuschließen ist, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn es den Vortrag der Kläger in gehöriger Weise zur Kenntnis genommen und dementsprechend die insoweit angebotenen Beweise erhoben hätte.

a) Das Berufungsgericht stellt fest, dass die Entwässerung in mehrfacher Hinsicht mangelhaft war und die Kläger vor Vertragsschluss nicht wussten, dass es Probleme mit einem Wasserstau in der Einfahrt gab. Sollten die Zeugen die in ihr Wissen gestellten Tatsachen vollen Umfangs bestätigen, könnten die regelmäßig auftretenden Grundstücksüberschwemmungen als solche einen Sachmangel (§ 434 Abs. 1 BGB ) darstellen, und zwar auch dann, wenn das Wasser sich „nur“ in der Einfahrt sammelt und - wovon auszugehen ist - nicht in das Haus eindringt. Denn auch bei einem tieferliegenden Grundstück entspricht es nicht der üblichen Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB ), wenn sich am Fuße einer abschüssigen Einfahrt regelmäßig über längere Zeit knöchelhoch Wasser staut und Überschwemmungen auftreten. Sollte sich daraus ein Sachmangel ergeben, hätte dieser bei Übergabe bestanden und könnte dem Beklagten nicht verborgen geblieben sein, so dass ein arglistiges Verschweigen (§ 444 BGB ) in Betracht käme. Entscheidend ist das Ausmaß der Wasserbelastung in der Einfahrt, zu dem die Zeugen benannt sind.

b) Dem steht, anders als das Berufungsgericht meint, nicht entgegen, dass nach den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen „nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ feststellbar ist, dass der Beklagte aus der erhöhten Wasserbelastung auf die vorliegenden und augenscheinlich nicht erkennbaren Mängelursachen geschlossen hat. Abgesehen davon, dass das Beweismaß des § 286 ZPO gerade keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erfordert (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 - VI ZR 235/07, NJW-RR 2008, 1380 Rn. 8 mwN), könnten die nicht auf eigener Wahrnehmung beruhenden Schlussfolgerungen des Sachverständigen die Vernehmung der Zeugen nicht entbehrlich machen. Vor allem aber beziehen sich die genannten Ausführungen des Sachverständigen ausschließlich auf die Erkennbarkeit der Mangelursache in Gestalt der fehlerhaften Entwässerungsanlage. Sollte jedoch schon der Wasserstau als solcher einen Sachmangel darstellen, käme es darauf an, ob insoweit ein arglistiges Verschweigen im Sinne von § 444 BGB anzunehmen ist. Das hängt wiederum von dem Ausmaß der für den Beklagten erkennbaren Wasserbelastung und damit von der Vernehmung der dazu benannten Zeugen ab.

IV.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Ein arglistiges Verschweigen setzt voraus, dass der Verkäufer den Fehler kennt oder ihn zumindest für möglich hält und zugleich weiß oder doch damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Käufer den Fehler nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte (vgl. Senat, Urteil vom 7. März 2003 - V ZR 437/01, NJW-RR 2003, 989 , 990; Urteil vom 12. April 2013 - V ZR 266/11, NJW 2013, 2182 Rn. 12). Sollte die Beweisaufnahme ergeben, dass die Wasseransammlungen nicht ein solches Ausmaß hatten, dass sie schon als solche einen Sachmangel darstellten, käme es darauf an, ob der Beklagte aus dem Auftreten von Wasseransammlungen den Schluss gezogen hat, dass die Entwässerungsanlage mangelhaft war; dann nämlich hätte er die Käufer gemäß seinem Kenntnisstand aufklären müssen und hätte sein Wissen nicht zurückhalten dürfen (vgl. Senat, Urteil vom 16. März 2012 - V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn. 22). Bei der insoweit erforderlichen Würdigung müsste sich das Berufungsgericht ergänzend mit dem Vortrag der Nichtzulassungsbeschwerde zu dem Sachverständigengutachten auseinandersetzen. Die Kläger stützen sich auf ein Privatgutachten, in dem ausgeführt wird, dass die Mängel der Entwässerungsanlage einem Bewohner des Hauses angesichts der Wasseransammlungen nicht entgangen sein könnten, zumal der Beklagte eigene Mängelbeseitigungsarbeiten durchgeführt habe. Demgegenüber hängt die Bewertung der erkennbaren Auffälligkeiten (Wasseransammlungen) dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen zufolge stark „von dem subjektiven Empfinden sowie dem Fachwissen der Bewohner“ ab. Die Nichtzulassungsbeschwerde verweist darauf, dass sich die Kläger gerade auf das besondere Fachwissen des Beklagten bezogen haben, der von Beruf Heizungsbauer ist; als technisch versierter Handwerker könne er nicht davon ausgegangen sein, dass man mit Grundstücksüberflutungen leben müsse. Damit hat sich das Berufungsgericht bislang nicht auseinandergesetzt und wird dies u.U. nachholen müssen, wenn es nach dem Ergebnis der weiteren Beweisaufnahme darauf ankommen sollte.

Vorinstanz: LG Flensburg, vom 18.10.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 3 O 14/18
Vorinstanz: SchlHOLG, vom 27.07.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 1 U 120/19