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BGH - Entscheidung vom 23.03.2021

XIII ZB 3/20

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3

BGH, Beschluss vom 23.03.2021 - Aktenzeichen XIII ZB 3/20

DRsp Nr. 2021/9202

Rechtmäßige Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung

1. Die Entscheidung der beteiligten Behörde zur Erforderlichkeit einer Sicherheitsbegleitung bei der Vollziehung der Abschiebung unterliegt grundsätzlich keiner Nachprüfung im Verfahren der Haftanordnung.2. Es erschließt sich grundsätzlich ohne weiteres, dass der organisatorische Aufwand für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung sechs Wochen in Anspruch nimmt und daher als angemessen angesehen werden kann, da erst die für die Begleitung in Betracht kommenden Personen ermittelt und innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitfenster die Flüge für den Betroffenen und die Begleitpersonen gebucht werden müssen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Ingolstadt - 3. Zivilkammer - vom 11. Dezember 2019 wird auf Kosten der Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I. Die Betroffene, eine tunesische Staatsangehörige, reiste am 20. Oktober 2019 mit dem Fernzug aus Italien in das Bundesgebiet ein. Bei der Kontrolle durch die Grenzpolizei konnte sie keinen gültigen Reisepass oder Aufenthaltstitel vorweisen und zeigte lediglich ein auf ihrem Mobiltelefon gespeichertes Bild ihres Reisepasses vor. Nachdem eine EURODAC-Recherche keinen Treffer ergab, stellte die beteiligte Behörde durch sofort vollziehbaren Bescheid vom 21. Oktober 2019 die Ausreisepflicht der Betroffenen ohne Gewährung einer Ausreisefrist fest und drohte ihre Abschiebung an. Zugleich verfügte sie die sofort vollziehbare Abschiebung der Betroffenen nach Tunesien. Mit Beschluss vom selben Tag ordnete das Amtsgericht Rosenheim gegen die Betroffene eine vorläufige Freiheitsentziehung bis 2. November 2019 an.

Nach Verbringung der Betroffenen in die Abschiebungshafteinrichtung Eichstätt hat das Amtsgericht Ingolstadt mit Beschluss vom 31. Oktober 2019 auf Antrag der beteiligten Behörde Haft zur Sicherung der Abschiebung bis einschließlich 16. Januar 2020 angeordnet. Die Beschwerde gegen die Haftanordnung hat das Landgericht mit Beschluss vom 11. Dezember 2019 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde möchte die Betroffene, die am 8. Januar 2020 nach Tunesien abgeschoben wurde, die Feststellung erreichen, dass sie der Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt sowie der Beschluss des Beschwerdegerichts in ihren Rechten verletzt haben.

II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Haftantrag genüge den gesetzlichen Anforderungen. Auch die materiellen Voraussetzungen für die Haftanordnung lägen vor. Die Betroffene sei mangels Passes oder Aufenthaltstitels wegen unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig. Es bestehe auch Fluchtgefahr. Die Betroffene habe anlässlich ihrer Vernehmung durch die beteiligte Behörde erklärt, nicht nach Tunesien zurückkehren zu wollen, und habe ihr zur Verfügung stehende Identitäts- oder Reisedokumente bewusst nicht mit sich geführt. Die Betroffene sei bereits vor Einreise in das Bundesgebiet in Frankreich untergetaucht und habe sich im August 2019 in Kassel versteckt.

Die Anordnung einer Haftdauer bis 16. Januar 2020 sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Identifizierung der Betroffenen sei zwar inzwischen erfolgreich abgeschlossen. Da sie angegeben habe, nicht nach Tunesien zurückkehren zu wollen, habe das Amtsgericht aber zutreffend angenommen, dass ihre Abschiebung mit einem Linienflug nicht möglich sei. An einem begleiteten Charterflug nach Tunesien vom Flughafen Leipzig aus könne die Betroffene nicht teilnehmen, da dieser bereits belegt sei. Infolgedessen habe es bei der angeordneten Haftdauer zu verbleiben.

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.

a) Der Haftanordnung liegt ein zulässiger Haftantrag zugrunde.

aa) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8, und vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7).

bb) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen der beteiligten Behörde auch im Hinblick auf die Haftdauer gerecht. Die beteiligte Behörde hat im Haftantrag ausgeführt, bisherige Erfahrungen und die Auswertung des Zentralen Ausländerinformationsportals zeigten, dass Personen, bei denen Sachbeweise für ihre tunesische Staatsangehörigkeit vorlägen, bis zur zehnten Woche nach Abgabe der Identifizierungsunterlagen bei der tunesischen Botschaft positiv identifiziert würden. Dieser Erfahrungswert werde dem Haftantrag zugrunde gelegt. Die Abgabe der Passbeschaffungsunterlagen bei der tunesischen Botschaft sei am 25. Oktober 2019 erfolgt, sodass seitens der Bundespolizei mit einem Identifizierungsergebnis spätestens zehn Wochen später, also in der ersten Kalenderwoche 2020, gerechnet werde. Eine Überstellung mit Linienflug sei nicht möglich, da die Betroffene nach ihren Angaben nicht freiwillig nach Tunesien zurückkehren wolle und bereits "bei der Sachbearbeitung" Widerstand gegen polizeiliche Maßnahmen geleistet habe; zudem sei sie auch in Frankreich wegen Körperverletzung in Erscheinung getreten. Nach Identifizierung werde die Überstellung daher für den nächstmöglichen Charterflug nach Tunesien organisiert, wobei für die Ausstellung eines Passersatzpapiers, die Flugbuchung sowie die Mitteilung des Überstellungstermins an die tunesischen Behörden zwei Wochen veranschlagt werden müssten.

Damit hat die beteiligte Behörde die Erforderlichkeit einer Haft bis zum 16. Januar 2020 ausreichend dargelegt. Nach Inhaftierung der Betroffenen am 21. Oktober 2019 waren die Passbeschaffungsunterlagen für sie am 25. Oktober 2019 und damit alsbald bei der tunesischen Botschaft abgegeben worden. Die nach den Erfahrungswerten der beteiligten Behörde im Fall von Tunesien anzusetzenden zehn Wochen liefen am 3. Januar 2020 ab. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die beteiligte Behörde ab Identitätsfeststellung bis zur Überstellung mit dem nächstmöglichen Charterflug nach Tunesien einen Zeitraum von zwei weiteren Wochen, also bis zum 16. Januar 2020, veranschlagt hat.

b) Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, das Amtsgericht (Ingolstadt) habe keinen Haftgrund festgestellt und auf die vom Amtsgericht Rosenheim festgestellten Haftgründe hätte sich das Beschwerdegericht nicht beziehen dürfen, weil es die Betroffene hierzu nicht angehört habe.

Das Beschwerdegericht hat unter Bezugnahme auf die Begründung des Amtsgerichts in seinem Beschluss vom 31. Oktober 2019 und dem Nichtabhilfebeschluss vom 29. November 2019 den Haftgrund der Fluchtgefahr bejaht und sich lediglich ergänzend auf den Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 21. Oktober 2019 bezogen. Dies ist nicht zu beanstanden.

c) Auch die Dauer der angeordneten Haft greift die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg an.

aa) Zu Unrecht meint sie, die Angaben im Haftantrag rechtfertigten keine Abschiebung mit Sicherheitsbegleitung. Die Entscheidung der beteiligten Behörde zur Erforderlichkeit einer Sicherheitsbegleitung bei der Vollziehung der Abschiebung unterliegt grundsätzlich keiner Nachprüfung im Verfahren der Haftanordnung (BGH, Beschluss vom 25. August 2020 - XIII ZB 45/19, juris Rn. 21). Eine Ausnahme kommt dann in Betracht, wenn die Notwendigkeit einer Sicherheitsbegleitung nach den Umständen so fernliegt, dass der Zeitaufwand für die Vorbereitung der Sicherheitsbegleitung die Gefahr einer Verletzung des Beschleunigungsgebots begründet. Dafür zeigt die Rechtsbeschwerde nichts auf.

bb) Entgegen der Rüge der Rechtsbeschwerde musste das Beschwerdegericht die Haftdauer auch nicht auf einen vor dem Haftende am 8. Januar 2020 endenden Zeitraum verkürzen.

Der beteiligten Behörde wurde zwar bereits am 26. November 2019 und damit wesentlich früher als erwartet mitgeteilt, dass die Betroffene erfolgreich als tunesische Staatsangehörige identifiziert worden sei. Das Beschwerdegericht hat gleichwohl rechtsfehlerfrei die Erforderlichkeit der Fortdauer der Haft bis zum 16. Januar 2020 bejaht, da es nach seinen unangegriffenen Feststellungen nicht gelungen war, noch eine Teilnahme der Betroffenen an einem für den 11. Dezember 2019 vorgesehenen Charterflug von Leipzig nach Tunesien zu organisieren, und der nächste Charterflug erst am 22. Januar 2020 stattfinden sollte.

Bestand danach keine Möglichkeit einer kurzfristigen Abschiebung mittels Charterflugs, hat die beteiligte Behörde pflichtgemäß eine möglichst frühe begleitete Rückführung nach Tunesien vorgesehen. Zu deren Vorbereitung war der von der beteiligten Behörde ursprünglich angesetzte Zeitraum von zwei Wochen nach der Identitätsfeststellung nicht ausreichend, weil dabei die Teilnahme der Betroffenen an einem Charterflug vorausgesetzt worden war, die Organisation einer individuellen begleiteten Abschiebung jedoch erfahrungsgemäß einen längeren Vorbereitungszeitraum erfordert. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erschließt sich grundsätzlich ohne weiteres, dass der organisatorische Aufwand für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung sechs Wochen in Anspruch nimmt und daher als angemessen angesehen werden kann, da erst die für die Begleitung in Betracht kommenden Personen ermittelt und innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitfenster die Flüge für den Betroffenen und die Begleitpersonen gebucht werden müssen (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 11, und vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7). Die Abschiebung der Betroffenen ist sechs Wochen nach der Mitteilung von ihrer frühzeitigen Identifizierung erfolgt, wobei dieser Zeitraum die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel umfasste und es nicht zu beanstanden ist, dass die beteiligte Behörde mit der Organisation erst begann, als sich der Charterflug ab Leipzig als nicht verfügbar erwies. Auf die letzte Woche der angeordneten Haftdauer kommt es angesichts des tatsächlichen Haftendes am 8. Januar 2020 für den Feststellungsantrag nicht an.

3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG ).

Meier-Beck Schmidt-Räntsch Kirchhoff

Vorinstanz: AG Ingolstadt, vom 31.10.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 4 XIV 444/19
Vorinstanz: LG Ingolstadt, vom 11.12.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 31 T 2872/19