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BGH - Entscheidung vom 04.05.2021

EnVR 13/20

Normen:
ARegV § 10 Abs. 1 S. 1

BGH, Beschluss vom 04.05.2021 - Aktenzeichen EnVR 13/20

DRsp Nr. 2021/11586

Nachhaltige Änderung der Versorgungsaufgabe auf der Hochspannungsebene

Der mangels Übergangsvorschriften zu weit geratene Anwendungsbereich des § 10 Abs. 4 ARegV ist wegen einer planwidrigen Regelungslücke einzuschränken. Auf bis zum 30. Juni 2013 gestellte Anträge auf Anpassung der Erlösobergrenze für die zweite Regulierungsperiode wegen einer Veränderung der Versorgungsaufgabe auf der Hochspannungsebene findet die Regelung danach keine Anwendung. Parameteränderungen in der Hochspannungsebene, die bereits Gegenstand eines bis zum 30. Juni 2013 gestellten Antrags auf Anpassung der Erlösobergrenze waren, sind auch bei der Anpassung des Erweiterungsfaktors aufgrund weiterer, in den Folgejahren gestellter Anträge in der zweiten Regulierungsperiode zu berücksichtigen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 18. Dezember 2019 wird auf Kosten der Bundesnetzagentur, die auch die notwendigen Auslagen der Antragstellerin zu tragen hat, mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass wegen offenbarer Unrichtigkeit im Tenor des Beschlusses die Wörter "aufgrund eines Erweiterungsfaktors für das Jahr 2018" durch die Wörter "aufgrund eines Erweiterungsfaktors für das Jahr 2016" ersetzt werden.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 161.788 € festgesetzt.

Normenkette:

ARegV § 10 Abs. 1 S. 1;

Gründe

I. Die Antragstellerin betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz. Am 24. Juni 2013 beantragte sie bei der Bundesnetzagentur die Anpassung der Erlösobergrenze für die zweite Regulierungsperiode. Dabei begehrte sie die Anerkennung eines Erweiterungsfaktors nach § 10 ARegV, mit dem u.a. die Änderung der Versorgungsaufgabe durch die am 20. November 2012 eingetretene Erhöhung der Anzahl der Anschlusspunkte durch den Anschluss der Hamburger "Hafencity" an die Hochspannungsebene berücksichtigt werden sollte. Die Bundesnetzagentur lehnte die Berücksichtigung des geänderten Parameters in der Hochspannungsebene zunächst ab. Auf die Beschwerde der Antragstellerin verpflichtete sie das Beschwerdegericht zur Neubescheidung (OLG Düsseldorf, RdE 2018, 87 ). Die Bundesnetzagentur erkannte daraufhin mit bestandskräftigem Beschluss vom 19. Dezember 2017 den beantragten Erweiterungsfaktor an.

Am 23. Juni 2015 beantragte die Antragstellerin eine weitere Anpassung ihrer Erlösobergrenze. Mit Beschluss vom 24. Oktober 2018 genehmigte die Bundesnetzagentur eine Anpassung der Erlösobergrenze zum 1. Januar 2016, wobei sie die im Beschluss vom 19. Dezember 2017 berücksichtigten Parameteränderungen in der Hochspannungsebene bei der Bemessung des Erweiterungsfaktors nunmehr unberücksichtigt ließ.

Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwerdegericht den Beschluss insoweit aufgehoben, als die Bundesnetzagentur die Anpassung der Erlösobergrenze aufgrund eines Erweiterungsfaktors für das Jahr "2018" hinsichtlich der Anlagegüter in der Hochspannungsebene abgelehnt hat, und die Bundesnetzagentur verpflichtet, die Antragstellerin unter Beachtung seiner Rechtsauffassung erneut zu bescheiden. Dagegen wendet sich die Bundesnetzagentur mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die von der Antragstellerin aufgewandten Kosten, die am 20. November 2012 zu einer Parameteränderung in der Hochspannungsebene geführt hätten, fielen bei wortlautgetreuer Anwendung des § 10 Abs. 4 ARegV nF aus dem Anwendungsbereich des § 10 ARegV heraus, sobald die Antragstellerin einen Folgeantrag stelle. Sie könnten auch nicht durch das Instrument der Investitionsmaßnahme nach § 23 ARegV erfasst werden.

Dass solche Investitionskosten sowohl aus dem Regime des Erweiterungsfaktors als auch dem der Investitionsmaßnahme herausfielen, stelle sich als eine planwidrige Regelungslücke dar, die über eine verfassungskonforme Anwendung des Regimes des Erweiterungsfaktors gemäß § 10 ARegV für alle bis zum 30. Juni 2013 gestellten Anträge und für alle Folgeanträge bis zum 30. Juni 2017 von Verteilnetzbetreibern wegen Erweiterungsinvestitionen zu schließen sei.

2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.

Der Antragstellerin steht ein Anspruch auf Neubescheidung unter Berücksichtigung des für die Hochspannungsebene geltend gemachten Erweiterungsfaktors zu. Zutreffend hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die Erhöhung der Anzahl der Anschlusspunkte im Jahr 2012 in der Hochspannungsebene bei der Neubestimmung des Erweiterungsfaktors zu berücksichtigen ist.

a) Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ARegV wird eine während der Regulierungsperiode eingetretene nachhaltige Änderung der Versorgungsaufgabe durch einen Erweiterungsfaktor berücksichtigt. Durch diesen Faktor kann auf Antrag des Netzbetreibers (§ 4 Abs. 4 Nr. 1 ARegV) die von der Bundesnetzagentur zu Beginn der Regulierungsperiode festgelegte Erlösobergrenze angepasst werden. § 10 Abs. 2 Satz 2 ARegV definiert eine nachhaltige Änderung der Versorgungsaufgabe dahingehend, dass sich die dort genannten Parameter, nämlich die Fläche des versorgten Gebietes (Nr. 1), die Anzahl der Anschlusspunkte (Nr. 2), die Jahreshöchstlast (Nr. 3) sowie sonstige von der Regulierungsbehörde nach § 32 Abs. 1 Nr. 3 ARegV festgelegten Parameter (Nr. 4) im Antragszeitpunkt dauerhaft und in erheblichem Umfang geändert haben.

b) Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Annahme des Beschwerdegerichts, die hier in Rede stehende Parameteränderung in der Hochspannungsebene müsse beim Erweiterungsfaktor weiterhin Berücksichtigung finden.

Mit der am 22. August 2013 in Kraft getretenen Verordnung zur Änderung von Verordnungen auf dem Gebiet des Energiewirtschaftsrechts vom 14. August 2013 (BGBl. I, S. 3250 ) wurde allerdings § 10 Abs. 4 ARegV dahingehend geändert, dass die Regelungen über den Erweiterungsfaktor bei Hochspannungsnetzen von Verteilernetzbetreibern keine Anwendung (mehr) finden. Das Beschwerdegericht hat jedoch zutreffend den mangels entsprechender Übergangsvorschriften zu weit geratenen Anwendungsbereich der Vorschrift wegen einer planwidrigen Regelungslücke eingeschränkt. Auf bis zum 30. Juni 2013 gestellte Anträge auf Anpassung der Erlösobergrenze für die zweite Regulierungsperiode wegen einer Veränderung der Versorgungsaufgabe auf der Hochspannungsebene findet die Regelung danach keine Anwendung. Parameteränderungen in der Hochspannungsebene, die bereits Gegenstand eines bis zum 30. Juni 2013 gestellten Antrags auf Anpassung der Erlösobergrenze waren, sind auch bei der Anpassung des Erweiterungsfaktors aufgrund weiterer, in den Folgejahren gestellter Anträge in der zweiten Regulierungsperiode zu berücksichtigen.

Eine wortlautgetreue Anwendung des § 10 Abs. 4 ARegV hätte zur Folge, dass einem nach früherer Rechtslage an sich begründeten Antrag auf Anpassung der Erlösobergrenze aufgrund einer bereits eingetretenen nachhaltigen Änderung der Versorgungsaufgabe auf der Hochspannungsebene im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 ARegV, welcher fristgemäß bis zum 30. Juni 2013 (§ 4 Abs. 4 Satz 2 ARegV) bei der Regulierungsbehörde gestellt wurde, bei einer Entscheidung der Regulierungsbehörde nach Inkrafttreten der Verordnung am 22. August 2013 der Erfolg versagt werden müsste. Antragsteller, über deren Antrag nicht bis zu diesem Zeitpunkt entschieden wurde, würden gegenüber den anderen Antragstellern benachteiligt. Dies war von dem Verordnungsgeber, der die Rechtsstellung der Betreiber von Verteilernetzen auf der Hochspannungsebene verbessern und gerade nicht verschlechtern wollte, offenkundig nicht bezweckt.

(1) Der Nachteil des Ausschlusses eines Erweiterungsfaktors wird nicht durch den mit der Neuregelung geschaffenen § 23 Abs. 7 ARegV ausgeglichen. Danach können Betreibern von Verteilernetzen Investitionsmaßnahmen auch für Erweiterungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen in der Hochspannungsebene durch die Regulierungsbehörde genehmigt werden. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist bei wortlautgetreuer Anwendung der hierfür vorgesehenen Antragsfristen der zeitliche Anwendungsbereich des § 23 Abs. 7 ARegV für Investitionen der Jahre 2012 und 2013 nicht eröffnet (BGH, Beschluss vom 12. Juni 2018 - EnVR 31/17, RdE 2018, 483 Rn. 13 - DB Energie GmbH). Für im Jahr 2012 ganz oder teilweise kostenwirksam gewordene Investitionen hätte nach § 23 Abs. 3 Satz 1 ARegV in der bis zum 21. März 2012 geltenden Fassung der Antrag auf Genehmigung eines Investitionsbudgets spätestens sechs Monate vor Beginn des Kalenderjahres, in dem die Investitionskosten wirksam werden sollen, d.h. zum 30. Juni 2011, gestellt werden müssen. Für im Jahr 2013 erstmals ganz oder teilweise kostenwirksam gewordene Investitionen hätte gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 ARegV in der seit 23. März 2012 geltenden Fassung ein Antrag neun Monate vor Beginn des Kalenderjahres, in dem die Investitionen erstmals kostenwirksam wurden, d.h. zum 31. März 2012, gestellt werden müssen. Eine Antragstellung für Investitionen im Sinne des Absatz 7 kam damit bei wortlautgetreuer Anwendung erstmals zum 31. März 2014 und damit für die im Jahr 2015 aktivierten Kosten in Betracht. Von dieser vom Wortlaut ausgehenden Auslegung ist die Bundesnetzagentur zwar im Wege einer Erweiterung des zeitlichen Anwendungsbereichs insoweit abgewichen, als sie für erstmals im Jahr 2014 kostenwirksame Investitionen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zum 31. März 2013 gewährt und damit eine Anpassung der Erlösobergrenze zum 1. Januar 2014 ermöglicht hat. Darüber hinaus hat sie - wie aus dem Parallelverfahren bekannt - im Rahmen von Anträgen auf Genehmigung einer Investitionsmaßnahme mit Wirkung zum 1. Januar 2014 auch bereits im Jahr 2013 aktivierte Anlagegüter berücksichtigt. Für eine darüber hinaus gehende Erstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 23 Abs. 7 ARegV gibt der Wortlaut dieser Norm aber nichts her (BGH, RdE 2018, 483 Rn. 13 - DB Energie GmbH). Nach dem klaren Willen des Verordnungsgebers sollte die Möglichkeit, Umstrukturierungsmaßnahmen auf der Hochspannungsebene des Verteilernetzes über Investitionsmaßnahmen nach § 23 ARegV zu berücksichtigen, erst "zukünftig" (BT-Drucks. 447/13, S. 12) bestehen, d.h. ab Inkrafttreten der Neuregelung am 22. August 2013 (vgl. BGH, RdE 2018, 4 ). Eine entsprechende Anwendung des § 23 Abs. 7 ARegV auf einen vor Verkündung der Verordnung nach alter Rechtslage entscheidungsreifen Sachverhalt, wie er hier hinsichtlich der den Gegenstand des Antrags vom 28. Juni 2013 bildenden Parameteränderungen bis zum 30. Juni 2013 vorliegt, kommt daher nicht in Betracht (vgl. aber zu Parameteränderungen nach dem 30. Juni 2013: BGH, Beschluss vom 4. Mai 2021 - EnVR 14/20 Rn. 24 ff.).

Dass danach das eine Instrument (Erweiterungsfaktor) auf die Hochspannungsebene nicht mehr und das neue Instrument (Investitionsmaßnahme) noch nicht anwendbar ist, führt zu einer Schlechterstellung der Verteilernetzbetreiber auf der Hochspannungsebene. Denn die Kosten für Investitionsmaßnahmen könnten zwischenzeitlich mangels Anwendbarkeit beider Instrumentarien nicht mehr ohne zeitlichen Verzug in der Erlösobergrenze berücksichtigt werden (vgl. BR-Drucks. 860/11, S. 5 und 8 zu § 23 ARegV).

(2) Dieses Ergebnis widerspricht dem Willen des Verordnungsgebers. Die durch das Entfallen des Erweiterungsfaktors bedingte Schlechterstellung stünde im Widerspruch zum erklärten Zweck der Neuregelung, die Investitionsbedingungen in der Hochspannungsebene zu verbessern und verlässliche Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen. Anlass der Neuregelung war die Befürchtung, Netzinvestitionen zur Integration erneuerbarer Energien bei einzelnen Netzbetreibern auf der Hochspannungsebene könnten nicht adäquat über das vorhandene Instrument des Erweiterungsfaktors nach § 10 ARegV abgedeckt werden, was sich nachteilig auf die Investitionsbereitschaft einzelner Netzbetreiber und die Integrationsgeschwindigkeit erneuerbarer Energien auswirken könnte (BR-Drucks. 447/13, S. 11 f.). Nach Einschätzung des Verordnungsgebers wurde die bisherige eingeschränkte Genehmigungsfähigkeit für Investitionsmaßnahmen auf der Hochspannungsebene den aufgrund der Energiewende entstandenen und entstehenden geänderten Anforderungen an die Hochspannungsebene nicht mehr gerecht. Die Hochspannungsebene weise gegenüber anderen Spannungsebenen spezifische Eigenschaften auf, bei denen abhängig vom Einzelfall einmal die Transporteigenschaften und dann wieder die Verteilereigenschaften überwiegen könnten. Dies führe dazu, dass sich die Situation hinsichtlich des notwendigen Netzausbaus bei einzelnen Netzbetreibern in dieser Spannungsebene deutlich unterscheiden könne und daher individuell beurteilt werden sollte. Für eine individuelle Beurteilung sei das Instrument der Investitionsmaßnahme besser geeignet als der eher pauschale Ansatz des Erweiterungsfaktors (BR-Drucks. 447/13, S. 20). Es sollten verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen in die Hochspannungsebene geschaffen und damit die Integration erneuerbarer Energien in das Energieversorgungssystem unterstützt werden (BR-Drucks. 447/13, S. 13).

Die Nichtanwendbarkeit des Erweiterungsfaktors auf der Hochspannungsebene war nach der Begründung der Verordnung "notwendige Folge" der Ausweitung des Anwendungsbereichs der Investitionsmaßnahmen nach § 23 ARegV auf dieser Ebene. Es sollte lediglich eine Doppelberücksichtigung von Investitionskosten in der Erlösobergrenze sowohl über den Erweiterungsfaktor als auch die Genehmigung von Investitionsmaßnahmen vermieden werden (vgl. BR-Drucks. 447/13, S. 19). Für Investitionen, auf die § 23 Abs. 7 ARegV noch keine Anwendung findet, besteht eine solche Gefahr der Doppelberücksichtigung nicht. Es sind zwar Fälle denkbar, in denen eine bis zum 30. Juni 2013 eingetretene Parameteränderung zu Investitionsmaßnahmen im Jahr 2014 führt. So kann beispielsweise ein dauerhaft hoher Jahreshöchstlastwert die Gefahr einer zu geringen Kapazität indizieren und eine Erweiterung der Netzkapazität erforderlich machen. Auch in diesen Fällen besteht aber regelmäßig keine Gefahr der Doppelberücksichtigung. Denn insoweit kommt dem vor dem 30. Juni 2013 beantragten Erweiterungsfaktor entsprechend § 23 Abs. 6 Satz 1 ARegV grundsätzlich der Vorrang zu und ist für die Genehmigung einer Investitionsmaßnahme kein Raum. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Kosten der geplanten Investitionsmaßnahme durch den Erweiterungsfaktor nicht einmal ansatzweise abgedeckt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2018 - EnVR 9/17, RdE 2018, 210 Rn. 27 - Erweiterungsfaktor). Investitionsmaßnahmen und Erweiterungsfaktor sind unterschiedliche Instrumente, mit denen Veränderungen der Versorgungsaufgabe berücksichtigt werden. Die Investitionsmaßnahme erkennt die mit der konkreten Investition verbundenen Kosten schon in der Planungsphase als dauerhaft nicht beeinflussbar an, während sich der Erweiterungsfaktor von den mit der Veränderung der Versorgungsaufgabe konkret verbundenen Kosten löst und stattdessen an die Veränderung von (exogenen) Strukturdaten anknüpft. Der Vorrang des einen Instruments vor dem anderen folgt damit nicht aus der Natur der Sache, sondern steht im Regelungsermessen des Gesetz- oder Verordnungsgebers (BGH, RdE 2018, 210 Rn. 22 - Erweiterungsfaktor). § 23 Abs. 6 Satz 1 ARegV sieht in seinem Anwendungsbereich, zu dem jedenfalls vor der Einfügung des Absatz 7 auch die Hochspannungsebene gehörte, die vorrangige Anwendbarkeit des Erweiterungsfaktors vor. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Regelung des § 23 Abs. 7 ARegV als lex specialis die Anwendbarkeit des Absatz 6 auf die Hochspannungsebene ausschließt (Sandhaus, RdE 2014, 170 , 173) oder daneben anwendbar bleibt (Lüdtke-Handjery/Paust/Weyer in Holznagel/Schütz, Anreizregulierungsrecht, 2. Aufl. 2019, ARegV § 23 Rn. 185). Daraus, dass der in § 23 Abs. 7 Satz 2 ARegV enthaltene Katalog der entsprechend anwendbaren Regelungen Absatz 6 nicht enthält, lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, dass der Verordnungsgeber für den Fall des Nebeneinanders von nach altem Recht zu gewährendem Erweiterungsfaktor und nach neuem Recht zu genehmigender Investitionsmaßnahme entgegen seinem ausdrücklich erklärten Willen eine Doppelberücksichtigung begründen wollte. Es spricht im Gegenteil alles dafür, dass der Verordnungsgeber ein Nebeneinander von Investitionsmaßnahme und Erweiterungsfaktor nicht bedacht hat und deshalb eine Vorrangregelung nicht für erforderlich hielt. Die sich daraus ergebende planwidrige Regelungslücke ist durch eine analoge Anwendung des § 23 Abs. 6 Satz 1 ARegV zu schließen. Aus der Anreiz- bzw. Lenkungsfunktion der Neuregelung ergibt sich nichts Gegenteiliges. Der vom Verordnungsgeber intendierten Förderung der Investitionsbereitschaft der Netzbetreiber bedarf es nur im Hinblick auf zukünftige noch nicht geplante Maßnahmen. Machen bereits eingetretene Parameteränderungen eine Investitionsmaßnahme erforderlich, bedarf es keiner weiteren Anreize zur Durchführung der Investitionsmaßnahme. Vor etwaigen Härten wird der Verteilernetzbetreiber - wie bisher - dadurch geschützt, dass der Vorrang dann nicht gilt, wenn die Kosten der geplanten Investitionsmaßnahme durch den Erweiterungsfaktor nicht einmal ansatzweise abgedeckt werden (vgl. BGH, RdE 2018, 210 Rn. 27 - Erweiterungsfaktor).

(3) Aus dem Schweigen des Verordnungsgebers zu der Forderung des Verbands kommunaler Unternehmen nach einer Übergangsregelung ergibt sich nicht, dass die Anwendbarkeit des Erweiterungsfaktors auf bis zum 30. Juni 2013 gestellte Anträge betreffend die Hochspannungsebene dem klaren Willen des Verordnungsgebers widerspricht. Allerdings wurde dort die Notwendigkeit einer Übergangsregelung damit begründet, dass andernfalls Investitionen, die im Jahr 2012 erstmalig kostenwirksam werden, in der 2. Regulierungsperiode nicht mehr im Erweiterungsfaktor berücksichtigt werden könnten (Stellungnahme zum Entwurf der Änderungen von Verordnungen auf dem Gebiet des Energiewirtschaftsgesetzes [Strom- und GasNEV, ARegV, StromNZV] vom 18. April 2013, S. 13). Das Schweigen des Verordnungsgebers hierzu lässt jedoch die Deutung zu, dass er, sollte er das Anliegen der Stellungnahme erwogen haben, von einer Weitergeltung des Erweiterungsfaktors ausgegangen ist und keinen Anlass für eine entsprechende Klarstellung sah.

(4) Für eine Fortgeltung des Erweiterungsfaktors spricht auch Sinn und Zweck der von § 4 ARegV ermöglichten Anpassungen der jährlichen Erlösobergrenze. Diese sind ein zentraler Bestandteil des Anreizregulierungssystems. Die Norm zielt darauf ab, die für die Dauer der Regulierungsperiode festgelegte Erlösobergrenze hinreichend flexibel für Änderungen innerhalb der Regulierungsperiode zu halten (BGH, Beschluss vom 11. Februar 2020 - EnVR 122/18, RdE 2020, 419 Rn. 12 - Anpassung der Erlösobergrenze). Daraus folgt, dass die fortlaufende Anpassung der Erlösobergrenze an die tatsächlichen Veränderungen möglichst lückenlos zu gewährleisten ist (BGH, RdE 2020, 419 Rn. 21 - Anpassung der Erlösobergrenze). Hätte der Verordnungsgeber beabsichtigt, tatsächlich eingetretene Veränderungen für eine Übergangszeit bei der Anpassung der Erlösobergrenze unberücksichtigt zu lassen, hätte er dies zum Ausdruck gebracht.

Zu Recht ist das Beschwerdegericht der Auffassung, dass Parameteränderungen in der Hochspannungsebene, die - wie hier - bereits Gegenstand eines bis zum 30. Juni 2013 gestellten Antrags auf Anpassung der Erlösobergrenze für die zweite Regulierungsperiode waren, auch bei der Anpassung des Erweiterungsfaktors aufgrund weiterer, in den Folgejahren gestellter Anträge betreffend die zweite Regulierungsperiode zu berücksichtigen sind.

(1) Allerdings ist bei der Ermittlung des Erweiterungsfaktors bei den Parametern zur Erfassung einer nachhaltigen Änderung der Versorgungsaufgabe des Netzbetreibers der im Antragszeitpunkt jeweils aktuelle Wert anzusetzen (BGH, Beschluss vom 3. März 2020 - EnVR 114/18, RdE 2020, 465 Rn. 11 - Jahreshöchstlast). Dies gilt insbesondere auch für Folgeanträge (vgl. BGH, RdE 2020, 465 Rn. 21 - Jahreshöchstlast). Bei wortlautgetreuer Anwendung des zum Zeitpunkt des Folgeantrags geltenden § 10 Abs. 4 ARegV wäre danach eine Berücksichtigung der Parameteränderungen auf der Hochspannungsebene bei dem hier in Rede stehenden Folgeantrag ausgeschlossen.

(2) Auch insoweit ist der Anwendungsbereich der Norm allerdings zu weit gefasst und bedarf wegen des eindeutigen Willens des Verordnungsgebers, die Rechtsstellung der Betreiber der Verteilernetze auf der Hochspannungsebene zu verbessern, einer einschränkenden Auslegung. Hätte der Verordnungsgeber die durch die Regelung bewirkte Schlechterstellung erkannt, hätte er eine entsprechende Übergangsregelung vorgesehen. Dies zeigt § 23 Abs. 2b Satz 9 ARegV in der Fassung vom 17. September 2016. Danach bleibt im Fall von Änderungsanträgen zu Erweiterungs- und Umstrukturierungsinvestitionen, für die eine Investitionsmaßnahme bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung durch die Regulierungsbehörde genehmigt worden ist, der in dieser Genehmigung festgesetzte Ersatzanteil unverändert und ist auf die beantragten Änderungen anzuwenden.

3. Die Bundesnetzagentur und die Antragstellerin sind zutreffend der Ansicht, dass der angefochtene Beschluss eine offensichtliche Unrichtigkeit enthält, soweit der Tenor auf den Antrag auf Anpassung der Erlösobergrenze aufgrund eines Erweiterungsfaktors für das Jahr 2018 Bezug nimmt. Der mit der Verpflichtungsbeschwerde weiterverfolgte Antrag betraf den Erweiterungsfaktor für das Jahr 2016. Wie sich aus der Beschwerdebegründung mit unzweifelhafter Deutlichkeit ergibt, ist Gegenstand der Beschwerde der Antragstellerin die Erlösobergrenze für das Jahr 2016. Die Antragstellerin rügt ausdrücklich die fehlende Berücksichtigung des Erweiterungsfaktors "für die Erlösobergrenze 2016". Eine solche offenbare Unrichtigkeit ist, auch wenn sie sich auf den Beschlusstenor bezieht, auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen zu berichtigen (§ 319 Abs. 1 ZPO , § 118 Abs. 1 VwGO ; vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 1964 - VII ZR 152/62, NJW 1964, 1858 ; BGH, Beschluss vom 22. Juli 2014 - VIII ZR 49/13, MDR 2015, 52 Rn. 2; BVerwGE 30, 146 , juris-Rn. 9).

Verkündet am: 4. Mai 2021

Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 18.12.2019 - Vorinstanzaktenzeichen VI-3 Kart 892/18 [V]