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BGH - Entscheidung vom 10.03.2021

StB 8/21

Normen:
StGB § 129a Abs. 1 Nr. 1
StGB § 129a Abs. 5 S. 1
StGB § 129b Abs. 1
StPO § 112 Abs. 1 S. 1

BGH, Beschluss vom 10.03.2021 - Aktenzeichen StB 8/21

DRsp Nr. 2021/4866

Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland; Hai´at Tahir al-Sham - HTS ist ei Zusammenschluss verschiedener Gruppierungen militant-fundamentalistischer Ausrichtung; Spendeneinzahlungen trotz Wissen um Zwecke und Strukturen der Vereinigung sowie der Absicht, den bewaffneten Kampf der Vereinigung zu fördern

Tenor

1.

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 7. Januar 2021 wird verworfen.

2.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Normenkette:

StGB § 129a Abs. 1 Nr. 1 ; StGB § 129a Abs. 5 S. 1; StGB § 129b Abs. 1 ; StPO § 112 Abs. 1 S. 1;

Gründe

I.

Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (Hai´at Tahir al-Sham - HTS) u.a. gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 StGB . Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 7. Januar 2021 einen auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl erlassen und in Vollzug gesetzt. Mit Schriftsatz vom 2. Februar 2021 hat der Beschuldigte Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt, mit der er dessen Aufhebung, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung begehrt, und die Beschwerde mit Schriftsatz vom 26. Februar 2021 weiter begründet. Er beanstandet die Annahme dringenden Tatverdachts und von Fluchtgefahr; ebenso hält er die Anordnung der Untersuchungshaft insgesamt für unverhältnismäßig. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat der Beschwerde mit Verfügung vom 5. Februar 2021 nicht abgeholfen.

II.

Die gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat zu Recht Untersuchungshaft angeordnet.

1. In Bezug auf die im Haftbefehl genannten Tatvorwürfe besteht dringender Tatverdacht gemäß § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO .

a) Im Sinne eines solchen Verdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Der Beschuldigte sagte dem anderweitig verfolgten W. und derzeit unbekannten weiteren Mitgliedern der HTS jedenfalls vor Juli 2018 zu, Spendenzahlungen Dritter entgegenzunehmen und diese über im Einzelnen näher verabredete Transaktionswege an W. zu übermitteln, damit dieser hiervon Ausrüstungsgegenstände, Waffen oder andere für den bewaffneten Kampf benötigte Gegenstände beschaffen könne.

aa) Die HTS ist ein Zusammenschluss verschiedener Gruppierungen militant-fundamentalistischer Ausrichtung, insbesondere unter Beteiligung der "Jabhat al-Nusra" (JaN). Wie die JaN hat sich die HTS zum Ziel gesetzt, das Assad-Regime in Syrien zu stürzen und jedenfalls einen das Gebiet des Staates Syrien umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden Gottesstaat zu errichten. Die JaN wurde Ende 2011 in Syrien durch Abu Muhammad al-Jaulani gegründet, der auf Aiman az-Zawahiri, den Führer von al-Qaida, einen Treueeid ablegte. Ihre Ziele verfolgt die JaN seit ihrer Gründung bis heute mittels militärischen Bodenkampfs, Sprengstoffanschlägen, Entführungen, gezielter Tötungen von Angehörigen des syrischen Militärs und des Sicherheitsapparats aber auch durch Selbstmordattentate. Im Juli 2016 verkündete Abu Muhammad al-Jaulani die Trennung von al-Qaida und die Umbenennung der Vereinigung in "Jabhat Fath al-Sham" ("Eroberungsfront für Großsyrien"). Nach eigenen Verlautbarungen war Ziel dieser Trennung, die Anti-Assad-Fraktion wieder zu vereinen. Nach allgemeiner Ansicht handelte es sich indes um eine rein strategisch motivierte Trennung, um als Verhandlungspartner für gemäßigte Gruppierungen und ausländische Staaten gelten zu können. Anfang des Jahres 2017 gründete die "Jabhat Fath al-Sham" als Reaktion auf die Friedensgespräche in Astana mit weiteren extremistisch-islamistischen Milizen das hierarchisch organisierte Bündnis "Hai´at Tahrir al-Sham" (HTS - "Komitee zur Befreiung Großsyriens"), das jegliche Friedensgespräche ablehnt, die nicht den Rücktritt Assads beinhalten. Das Bündnis bekämpfte im Laufe des Jahres 2017 die Regierungstruppen und oppositionelle Gruppen und konnte im Sommer 2017 die Vorherrschaft etwa im Gebiet um Idlib erringen.

bb) Im Wissen um diese Zwecke und Strukturen der Vereinigung sowie in der Absicht, den bewaffneten Kampf der Vereinigung zu fördern, transferierte der Beschuldigte folgende - zuvor von ihm als Spenden zugunsten der Vereinigung vereinnahmte - Beträge an W. und damit an die HTS:

(1) Am 25. Juli 2018 empfing der Beschuldigte auf seinem bei der AG in Be. geführten Girokonto mit der IBANvon dem anderweitig verfolgten M. eine Zahlung in Höhe von 445 € (Verwendungszweck "Schulden"), die er tatplangemäß an W. weiterleitete.

(2) Auch am 23. August 2018 von dem anderweitig verfolgten M. per Überweisung auf dasselbe Konto erhaltene 80 € (Verwendungszweck "Restschulden danke") leitete er an W. weiter.

(3) Am 17. September 2018 transferierte der gesondert verfolgte M. einen Geldbetrag in Höhe von 100 € mittels des Finanztransferdienstleisters Western Union an die Ehefrau des Beschuldigten, D. A. ; das Geld war tatsächlich für den Beschuldigten zum Zwecke der Weitergabe an die HTS bestimmt und wurde von dem Beschuldigten tatplangemäß an W. weitergeleitet.

(4) Der Beschuldigte leitete ferner 300 € an W. weiter, die ihm zuvor am 10. September 2018 von der gesondert verfolgten Mu. auf das vorgenannte Konto zum Zwecke der Weiterleitung an die HTS überwiesen worden waren.

b) Der dringende Verdacht gründet sich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens in dem Schriftsatz vom 26. Februar 2021 maßgeblich auf folgende Ermittlungsergebnisse:

aa) Die Feststellungen zur Organisationsstruktur, zur Aktivität und zur Zielsetzung der HTS beruhen auf Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes und des Bundeskriminalamts. Die Struktur der Vereinigung war zudem bereits mehrfach Gegenstand verschiedener Entscheidungen des Senats (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 - AK 14/17, juris, und vom 13. September 2017 - AK 38/17, AK 39/17, AK 40/17, juris).

bb) Die Geldtransaktionen des Beschuldigten werden namentlich belegt durch die jeweiligen Bankauskünfte. Der Beschuldigte ist Inhaber und alleiniger Verfügungsberechtigter des durch die Überweisungen des M. begünstigten vorgenannten Kontos. Die Überweisungen sowie die von M. und Mu. angegebenen Verwendungszwecke werden belegt durch Urkunden aus der Auswertung von Kontounterlagen der Bank. Dies gilt gleichermaßen für die Überweisung M. mittels des Finanzdienstleisters Western Union zugunsten der Ehefrau des A. . Anhaltspunkte für deren Einbindung in das Tatgeschehen sind nicht ersichtlich, sodass sich der Schluss auf den Beschuldigten als tatsächlich Begünstigten aufdrängt.

cc) Dass der Beschuldigte als Finanzmittler des gesondert verfolgten W. und der HTS fungierte, folgt aus den von W. mittels Internet geposteten Aufrufen, der Vereinigung über den Beschuldigten Geld zukommen zu lassen, wobei jeweils dessen Bank- und Adressdaten angegeben wurden. Hierzu im Einzelnen:

(1) Dies gilt zunächst für den von dem Telegram-Nutzer " " mit dem Benutzernamen " " im April 2018 mittels des Messengerdienstes Telegram getätigten Spendenaufruf. Dieses Profil " " ist dem W. zuzuordnen, denn die für das Profil hinterlegte syrische Rufnummer konnte im Kontaktspeicher des Telegram-Accounts der Mutter des anderweitig verfolgten W. , B. W. , unter dem Displaynamen " " festgestellt werden.

(2) Der Spendenaufruf über die Telegram-ID des Profils " ", ID , lässt sich ebenfalls W. zuschreiben. Das Profil war im Kontaktspeicher der B. W. zunächst unter dem Displaynamen " " und nach einem Wechsel des von ihr genutzten Mobiltelefons unter " " gespeichert. Aus dem Inhalt der überwachten Kommunikation zwischen dem Telegram-Account der B. W. und dem - lediglich im Profilnamen geänderten - Telegram-Account mit der ID ergibt sich, dass B. W. diesen Nutzer als " " und dieser sie als "Mama" angesprochen hat.

(3) Von besonderem Gewicht ist zudem der über die Spendenaufrufe hinausgehende Kontakt des W. zu dem Beschuldigten. Über die von W. seiner Mutter zuvor mitgeteilte - und mit den Angaben in den vorgenannten Posts mittels Telegram identische - Anschrift " " ließ diese ihm am 7. Oktober 2019 ein Paket mit Gegenständen für den familiären Alltagsbedarf, hauptsächlich Kinderkleidung, zukommen, welches W. auch tatsächlich erhielt.

dd) Entgegen dem ursprünglichen Vorbringen der Beschwerde kannten sich der Beschuldigte und W. , wie sich aus einer ersten Sichtung des Mobiltelefons Huawei P 8 Max des Beschuldigten ergibt, auf dem etliche Adressen zu Telegram- und WhatsApp-Konten des W. und Chat-Verkehre mit diesem über den Messengerdienst "Threema" - sowohl über familiäre Themen als auch betreffend Spendensammlungen - feststellbar waren (Vermerke KHK vom 5. Februar 2021, S. 3 f., 6; und KHK vom 5. Februar 2021, S. 5, 7 ff., 10 f., 16). Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang weiter vorbringt, aus einem Chatverkehr zwischen dem Beschuldigten und W. Mitte des Jahres 2020 sei zu entnehmen, dass letzterer eine kritische Haltung zu dem Vorgehen der HTS gezeigt habe und der Beschuldigte demgemäß nicht von einer Zugehörigkeit des W. zur HTS habe ausgehen müssen, wird verkannt, dass es sich um den Tatvorwürfen nachzeitige Kommunikation handelt.

c) Das Ermittlungsergebnis belegt über die vorstehend benannten Handlungen des anderweitig verfolgten W. hinaus, dass dieser für die HTS auch mittels der Telegram-Kanäle " " Propaganda betrieb und hierüber zu Spendenzahlungen aufrief. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf die ausführlichen Darlegungen des Haftbefehls vom 7. Januar 2021 Bezug genommen.

Dass - entgegen dem Beschwerdevorbringen - dem Beschuldigten auch der Telegram-Kanal " " bekannt war, wird ebenfalls durch die Auswertung des Mobiltelefons des Beschuldigten belegt, bei der entsprechende Daten gesichert werden konnten, unter anderem solche, die erst nach einer Einladung durch W. abrufbar waren (Vermerk KHK vom 5. Februar 2021, S. 7 f., 9 f., 11).

d) Es ist nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen davon auszugehen, dass die Gelder allesamt an die Vereinigung, naheliegend an den für diese handelnden W. , weitergeleitet wurden. Dies ergibt sich insbesondere aus der festgestellten Korrespondenz der Mu. mit dem W. . Diese enthält neben einer Ankündigung der Mu. , eine Spendenzahlung leisten zu wollen und der Übermittlung hierfür notwendiger Kontodaten des Beschuldigten durch den W. auch eine Bestätigung der erfolgreichen Auszahlung von W. - durch Verwendung der E-Mail-Adresse " " - selbst. Es liegen wegen des gut strukturierten und zeitlich gedrängten Ablaufs auch im Übrigen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die weiteren vom Beschuldigten vorgenommenen Transaktionen den W. nicht erreicht haben könnten. Auffällig ist die bei der Transaktion mittels Western Union erkennbare enge Abstimmung der Beteiligten; noch am Tag der Einzahlung - sogar nur wenige Stunden später wurde das Geld in der Republik Türkei abgehoben. Es liegen schließlich auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass etwa M. tatsächlich Schulden bei dem Beschuldigten gehabt haben könnte oder dass irgendeine sonstige Beziehung zwischen beiden besteht, die stattdessen Anlass für die Geldtransfers hätte sein können.

e) Die subjektive Tatseite ergibt sich aus einer Gesamtschau der vorstehend beschriebenen Tatumstände, namentlich durch den Empfang zahlreicher Überweisungen, deren Weiterleitung nach Syrien sowie den - durch die ermittelte Sendung persönlicher Gegenstände von B. W. belegten - eng abgestimmten Kontakt zu W. als maßgeblichem Betreiber der Propagandatätigkeiten und Spendenaufrufe und die erkennbare enge zeitliche Abstimmung.

f) In rechtlicher Hinsicht ergeben sich daraus jedenfalls vier Fälle der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 1 und 2, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 53 StGB .

g) Mit Erlass vom 22. Mai 2018 (II B 1 - 4030 E [1815] - 21 750/2018), neu gefasst durch Erlass vom 29. Mai 2019 (II B 1 - 4030 E [2022] - 21 609/2019), hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz die allgemeine Ermächtigung zur Verfolgung von Straftaten in Zusammenhang mit der HTS erteilt.

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO ), denn es ist bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls wahrscheinlicher, dass sich der Beschuldigte dem weiteren Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde.

Der - wenn auch nicht vorbestrafte - Beschuldigte hat nach den bisherigen Erkenntnissen mit Blick auf den Strafrahmen für die Einzelstrafen, der sechs Monate bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vorsieht, durchaus mit einer Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen, deren Vollstreckung nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Zu seinem Nachteil fällt dabei insbesondere jeweils die strukturierte und ersichtlich langfristig angelegte Vorgehensweise ins Gewicht. Dem hieraus sich ergebenden Fluchtanreiz stehen tragfähige Bindungen im Bundesgebiet nicht entgegen. Der Beschuldigte ist zwar deutscher Staatsangehöriger, hat seinen Lebensmittelpunkt jedoch seit dem Jahr 2017 in Ad. /Republik Türkei; dort lebt auch seine schwangere Ehefrau, deren Anträge auf Erteilung eines Visums zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bislang sämtlich abgelehnt worden sind. Der Gesundheitszustand seiner in U. lebenden Eltern hat den Beschuldigten auch in der Vergangenheit nicht bewogen, dort seinen Wohnsitz zu nehmen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und mit Blick auf die erkennbare Bindung zur radikal-islamischen Szene steht nicht zu erwarten, dass er sich dem hier gegen ihn geführten Strafverfahren zur Verfügung halten wird.

Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO ). Insbesondere können nach den konkreten Umständen weder eine Hinterlegung von Ausweispapieren und/oder einer Sicherheitsleistung noch die Anordnung eines Aufenthalts in der elterlichen Wohnung in U. eine etwaige Flucht des Beschuldigten - zumal auf dem Landweg - maßgeblich behindern.

3. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ). Entgegen dem Vorbringen des Beschuldigten ist eine Unverhältnismäßigkeit jedenfalls - da die Untersuchungshaft erst wenige Wochen vollzogen wird - zum jetzigen Zeitpunkt nicht ersichtlich.