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BGH - Entscheidung vom 20.04.2021

XIII ZB 36/20

Normen:
AufenthG § 2 Abs. 14 S. 1
AufenthG § 62 Abs. 3a Nr. 5
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2

BGH, Beschluss vom 20.04.2021 - Aktenzeichen XIII ZB 36/20

DRsp Nr. 2021/9910

Erfolgreiche Rechtsbeschwerde gegen eine Haftanordnung wegen nicht erfolgter Prüfung des Vorliegen eines zulässigen Haftantrags

Eine beantragte Sicherungshaft darf nicht angeordnet werden, wenn die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags nicht die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen.

Tenor

Auf die von der Person des Vertrauens eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 30. März 2020 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Halberstadt vom 17. Oktober 2019 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in erster und zweiter Instanz und der Person des Vertrauens in zweiter und dritter Instanz werden dem Landkreis Harz auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 2 Abs. 14 S. 1; AufenthG § 62 Abs. 3a Nr. 5 ; FamFG § 417 Abs. 2 S. 2;

Gründe

Der Betroffene, ein malischer Staatsangehöriger, reiste am 3. Januar 2019 nach Deutschland ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 28. Februar 2019 als unzulässig ab und ordnete seine Überstellung nach Italien an. Nachdem drei Überstellungsversuche gescheitert waren, weil sich der Betroffene nicht in seiner Unterkunft aufgehalten hatte, ordnete das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde am 17. Oktober 2019 Sicherungshaft bis 27. November 2019 an. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2019 benannte der Betroffene L. (im Folgenden: Rechtsbeschwerdeführer) als Person seines Vertrauens. Mit Schreiben vom gleichen Tag legte der Betroffene Beschwerde ein und beantragte, den Beschluss aufzuheben, das Verfahren als Feststellungsverfahren gemäß § 62 FamFG fortzusetzen und den Rechtbeschwerdeführer als Vertrauensperson am Verfahren zu beteiligen. Der Betroffene wurde am 7. November 2019 überstellt. Das Landgericht wies die Beschwerde zurück, nachdem es zuvor den Rechtsbeschwerdeführer als Person des Vertrauens am Beschwerdeverfahren beteiligt hatte. Gegen die Zurückweisung der Beschwerde wendet sich der Rechtsbeschwerdeführer mit der Rechtsbeschwerde.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht meint, die Haft sei zu Recht angeordnet worden. Der Haftantrag sei nicht wegen unzureichender Angaben zur Haftdauer unzulässig. Der Haftgrund ergebe sich aus § 2 Abs. 14 Satz 1 in Verbindung mit § 62 Abs. 3a Nr. 5 AufenthG . Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liege nicht vor.

2. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, § 70 Abs. 1 , Abs. 3 Nr. 3 FamFG , und auch im Übrigen zulässig. Der Rechtsbeschwerdeführer konnte entsprechend § 429 Abs. 2 Nr. 2 FamFG (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2013 - V ZB 67/13, InfAuslR 2014, 99 Rn. 3) Rechtsbeschwerde einlegen. Dabei kann dahinstehen, ob er im Rahmen der von dem Amtsgericht am 1. November 2019 getroffenen Nichtabhilfeentscheidung noch in erster Instanz hätte beteiligt werden müssen, § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG (vgl. OLG Köln, FamRZ 2016, 1693 , 1694, juris Rn. 5 für § 303 Abs. 2 FamFG ). Denn jedenfalls wurde er im Beschwerdeverfahren gemäß § 7 Abs. 3 , § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG zu Recht als Beteiligter hinzugezogen (vgl. OLG Köln, aaO, juris Rn. 5 f.; Keidel/Zimmermann, FamFG , 20. Aufl., § 7 Rn. 33; Schreiber in Kemper/Schreiber, Familienverfahrensrecht, 3. Aufl., § 7 Rn. 17; Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG , 12. Aufl., § 7 Rn. 33; Haußleiter/Gomille, FamFG , 2. Aufl., § 7 Rn. 15). Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerdeerwiderung war dafür ein besonderes Näheverhältnis zu dem Betroffenen nicht erforderlich, sondern ausreichend, dass der Rechtsbeschwerdeführer durch den Betroffenen als Person des Vertrauens benannt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020 - XIII ZB 82/19, InfAuslR 2020, 387 Rn. 10).

3. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der Haftanordnung lag kein zulässiger Haftantrag zugrunde.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. April 2020 - XIII ZB 53/19, juris Rn. 7 mwN). Die nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG erforderlichen Darlegungen müssen auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; sie dürfen sich nicht in Leerformeln und Textbausteinen erschöpfen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13; vom 30. August 2012 - V ZB 45/12, juris Rn. 6; vom 29. Oktober 2015 - V ZB 155/14, juris Rn. 6).

b) Nach diesen Maßstäben enthält der Haftantrag keine ausreichenden Darlegungen zur Erforderlichkeit der Haftdauer.

aa) Dem Haftantrag lässt sich - anders als die Rechtsbeschwerde wohl meint - nicht entnehmen, dass eine Sicherheitsbegleitung vorgesehen war. Die beteiligte Behörde hat sich zur Begründung der beantragten Haftdauer von fünf Wochen und fünf Tagen nicht auf die für sicherheitsbegleitete Maßnahmen anerkannte Haftdauer von sechs Wochen berufen, bei der eine nähere Erläuterung des erforderlichen Zeitaufwands in aller Regel nicht geboten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2020 - XIII ZB 45/19, juris Rn. 22 mwN).

bb) Der Haftantrag verweist zur Begründung der für erforderlich gehaltenen Haftdauer auf die beigefügte Stellungnahme des Zentralen Rückkehrmanagements. Konkrete Angaben zu der erfahrungsgemäß notwendigen Vorbereitungsdauer für eine Überstellung nach Italien unter Angabe der dafür erforderlichen (Planungs-)schritte und deren Dauer enthält diese nicht. Sie erschöpft sich in nicht auf das Zielland Italien bezogenen unzureichenden Leerformeln wie etwa, dass die Buchung eines Fluges sehr zeitaufwendig sei, für Rückführungsmaßnahmen nur eingeschränkt Kapazitäten am Abflug- und Ankunftsort vorhanden und einige Tage vollständig für derartige Maßnahmen gesperrt seien, Fluggesellschaften nur beschränkte Kontingente für die Rückführung von Ausreisepflichtigen vorhielten, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Überstellung 14 Tage vor der Ankunft im Zielland anzukündigen habe und den zuführenden Polizeibeamten in der Regel ein Planungsvorlauf von 14 Tagen einzuräumen sei.

cc) Zwar hat das Amtsgericht laut Protokoll den anwesenden Vertreter der beteiligten Behörde zur erforderlichen Dauer der Haft angehört. Dieser hat aber nur ausgeführt, dass die Einhaltung der sechswöchigen Frist immer klappe, in der Regel sogar früher. Diese Ausführungen enthalten keine ergänzenden Erläuterungen dafür, weshalb eine Haftdauer von knapp sechs Wochen erforderlich ist. Sie sind daher nicht geeignet, den Mangel des Haftantrags zu heilen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 2 FamFG . Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Halberstadt, vom 17.10.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 11 XIV 40/19
Vorinstanz: LG Magdeburg, vom 30.03.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 10 T 501/19