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BVerwG - Entscheidung vom 08.07.2020

6 AV 4.20

Normen:
VwGO § 53 Abs. 2
ASchulG § 4 Abs. 4

BVerwG, Beschluss vom 08.07.2020 - Aktenzeichen 6 AV 4.20

DRsp Nr. 2020/11331

Zuständigkeitsbestimmung in einem Rechtsstreit wegen Nichtbestehens der Abiturprüfung an einer Deutschen Auslandsschule; Voraussetzuugen für eine konstitutive Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht; Ansetzung zusätzlicher mündlicher Prüfungen in den schriftlichen Abiturprüfungsfächern im Wege der einstweiligen Anordnung; Beliehener Schulträger außerhalb des Geltungsbereichs der Verwaltungsgerichtsordnung ; Wahrnehmung der schulaufsichtlichen Hoheitsfunktion durch ein Bundesland als sinnvoller örtlicher Anknüpfungspunkt im Inland für die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung; Eventuelle Antragshäufung

Die Wahrnehmung der schulaufsichtlichen Hoheitsfunktion der Prüfungsleitung für schulische Arbeit im Ausland durch ein Bundesland bietet einen sinnvollen örtlichen Anknüpfungspunkt im Inland für die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 2 VwGO .

Tenor

Als zuständiges Gericht wird für das Verfahren, das der Antragsteller wegen Nichtbestehens der Reifeprüfung gegen den Antragsgegner zu 1. führt, das Verwaltungsgericht Düsseldorf bestimmt.

Normenkette:

VwGO § 53 Abs. 2 ; ASchulG § 4 Abs. 4;

Gründe

I

Der Antragsteller hat im Schuljahr 2019/20 die Abiturprüfung an der Europa-Schule in Kairo, einer Deutschen Auslandsschule, nicht bestanden. Dagegen hat er Widerspruch erhoben.

Sein Prozessbevollmächtigter begehrt zuerst die Bestimmung des zuständigen Gerichts durch das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 53 Abs. 2 VwGO . Sodann beantragt er nach Abgabe an das zuständige Verwaltungsgericht, dem Antragsgegner zu 1. im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, für den Antragsteller zusätzliche mündliche Prüfungen in den schriftlichen Abiturprüfungsfächern anzusetzen, hilfsweise dem Antragsgegner zu 2. und äußerst hilfsweise dem Antragsgegner zu 3. aufzugeben, den Antragsgegner zu 1. dazu anzuweisen.

II

Eine konstitutive Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 53 Abs. 2 VwGO kommt nur in Betracht, wenn keine örtliche Zuständigkeit eines deutschen Verwaltungsgerichts nach § 52 VwGO gegeben ist. Diese Voraussetzung liegt für den Hauptantrag vor (1.); die Hilfsanträge bleiben insoweit außer Betracht (2.).

1. Hinsichtlich des mit dem Hauptantrag gegenüber dem Antragsgegner zu 1. verfolgten Begehrens, für den Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung zusätzliche mündliche Prüfungen in den schriftlichen Abiturprüfungsfächern anzusetzen, lässt sich den Bestimmungen des § 123 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 52 VwGO nicht entnehmen, welches Verwaltungsgericht örtlich zuständig ist.

Die Regelungen des § 52 VwGO führen im vorliegenden Fall nicht weiter, weil der Sitz des Antragsgegners zu 1. als einem mit innerstaatlichen Hoheitsrechten auf dem Gebiet des Prüfungsrechts beliehenen Schulträgers außerhalb des Geltungsbereichs der Verwaltungsgerichtsordnung liegt. Deshalb greift auch die Auffangvorschrift in § 52 Nr. 5 VwGO nicht, wonach "in allen anderen Fällen" das Verwaltungsgericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz, Wohnsitz oder Aufenthalt hat bzw. hatte. Die dieser Norm zugrundeliegende Vorstellung, der Beklagte verfüge über einen derartigen örtlichen Bezugspunkt im Inland, trifft auf den Antragsgegner zu 1., einen Schulverein mit Sitz in Kairo, nicht zu.

Die somit gemäß § 53 Abs. 2 VwGO gebotene Zuständigkeitsbestimmung hat sich - ohne Bindung an von einem Beteiligten ggf. benannte Gerichte - nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu richten. Da weder der Antragsteller noch der Antragsgegner zu 1. einen örtlichen Anknüpfungspunkt innerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland bieten, hält es der Senat im Interesse der Beteiligten für zweckmäßig, das Verwaltungsgericht Düsseldorf als zuständiges Gericht zu bestimmen. Denn für die im Streit stehende, an der Europa-Schule Kairo im Schuljahr 2019/20 durchgeführte Abiturprüfung hat der Präsident der Kultusministerkonferenz am 22. Oktober 2019 auf der Grundlage des Beschlusses des Bund-Länder-Ausschusses für schulische Arbeit im Ausland (Beschluss vom 9./10. Oktober 2015) das Land Nordrhein-Westfalen mit der Prüfungsleitung für die Jahre 2017 - 2020 beauftragt. Nach der Regelung in § 8 Abs. 1 Satz 1 der Ordnung zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife an Deutschen Schulen im Ausland - Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 11. Juni 2015 - gehört ein Vertreter von dessen Schulbehörde als Prüfungsleiter der Prüfungskommission der Abiturprüfung an. Die Wahrnehmung dieser schulaufsichtlichen Hoheitsfunktion durch ein Bundesland (vgl. § 4 Abs. 4 des Gesetzes über die Förderung Deutscher Auslandsschulen <Auslandsschulgesetz - ASchulG> vom 26. August 2013 <BGBl. I S. 3306>) bietet einen sinnvollen örtlichen Anknüpfungspunkt im Inland für die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. August 2006 - 6 AV 1.06 [ECLI: DE: BVerwG: 2006: 230806B6AV1.06.0] - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 31).

2. Die gegenüber den Antragsgegnern zu 2. und 3. gestellten Hilfsanträge sind für die vorliegende Entscheidung ohne Bedeutung. Mit diesen macht der Antragsteller im Wege der objektiven (§ 44 VwGO ) und zugleich subjektiven Antragshäufung (§ 64 VwGO ) mehrere Begehren gegenüber unterschiedlichen Rechtsträgern geltend. Bei der objektiven Antragshäufung ist die Zuständigkeit für jeden Antrag gesondert zu prüfen (Kraft, in: Eyermann, VwGO , 15. Aufl. 2019, § 52 Rn. 8). Für die gerichtliche Entscheidung über die Anträge auf aufsichtliches Einschreiten gegenüber den Antragsgegnern zu 2. und 3. ergibt sich die jeweilige gerichtliche Zuständigkeit aus § 52 Nr. 2 bzw. Nr. 3 VwGO . Da die vom Antragsteller zur gerichtlichen Entscheidung gestellten Begehren keine notwendige Streitgenossenschaft auf der Antragsgegnerseite begründen, ist keine alle Anträge übergreifende Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO zu treffen. Denn über die Verpflichtung zum einen gegenüber dem Schulträger zur Ansetzung zusätzlicher mündlicher Prüfungen und zum anderen gegenüber den Rechtsträgern der Aufsichtsbehörden auf aufsichtliches Einschreiten muss weder aus prozessualen noch aus materiellrechtlichen Gründen zwingend einheitlich entschieden werden.

Der Antragsteller hat die Verpflichtung der Antragsgegner zu 2. und 3. zum aufsichtlichen Einschreiten nur gestuft hilfsweise beantragt. Bei der eventuellen Antragshäufung ist mit Blick auf die aufschiebende Bedingung der Erfolglosigkeit des Hauptantrags die gerichtliche Zuständigkeit für einen Hilfsantrag erst dann zu prüfen, wenn über den Hauptantrag vom Gericht negativ entschieden worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1986 - 7 C 5.85 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 89). Deshalb bleiben die Hilfsanträge für die Prüfung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 2 VwGO außer Betracht.

Auch wenn im Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung grundsätzlich keine Erfolgsaussichten in prozessualer und materiellrechtlicher Hinsicht zu prüfen sind (BVerwG, Beschluss vom 23. August 2006 - 6 AV 1.06 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 31), bemerkt der beschließende Senat, dass die beabsichtigte eventuelle subjektive Antragshäufung unzulässig ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 1972 - II ZR 28/69 - MDR 1973, 742 ; BAG, Beschluss vom 26. April 2018 - 8 AZN 974/17 [ECLI: DE: BAG: 2018: 260418.B.8AZN974.17.0] - NJW 2018, 2078 Rn. 5; VGH Kassel, Beschluss vom 13. April 1983 - 4 N 2/83 [ECLI: DE: VGHHE: 1983: 0413.4N2.83.0A] - DÖV 1983, 777 ). Denn für die durch die Hilfsanträge nur aufschiebend bedingt in das Verfahren einbezogenen Antragsgegner hängt das Bestehen des jeweiligen Prozessrechtsverhältnisses nicht von einer allein zulässigen innerprozessualen Bedingung ab (Rennert, in: Eyermann, VwGO , 15. Aufl. 2019, § 44 Rn. 7).