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BVerfG - Entscheidung vom 09.12.2020

1 BvR 704/18

Normen:
GG Art. 5 Abs. 1 S. 2
HPG § 11 Abs. 1 S. 1
BVerfGG § 93c Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
AuR 2021, 135
ZUM 2021, 345

BVerfG, Beschluss vom 09.12.2020 - Aktenzeichen 1 BvR 704/18

DRsp Nr. 2021/1890

Beeinträchtigung des Grundrechts eines Verlegers auf Pressefreiheit durch die Verpflichtung zum Abdruck der Gegendarstellungen in seiner Zeitschrift; Äußerungen in einem Artikel über Steuersparmodelle im Zusammenhang mit maltesischen Gesellschaften deutscher Unternehmen und Privatpersonen als Werturteil

Tenor

1.

Das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 3. November 2017 - 324 O 411/17 - und das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 6. Februar 2018 - 7 U 138/17 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes und werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen.

2.

Die Freie und Hansestadt Hamburg hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Normenkette:

GG Art. 5 Abs. 1 S. 2; HPG § 11 Abs. 1 S. 1; BVerfGG § 93c Abs. 1 S. 1;

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die zivilgerichtlichen Entscheidungen, die die zu Lasten der Beschwerdeführerin ergangene einstweilige Verfügung zum Abdruck einer Gegendarstellung bestätigen und die Beschwerdeführerin in die Kosten des Verfahrens verurteilen. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihrer Pressefreiheit.

1. Die Beschwerdeführerin ist Verlegerin des Magazins "...". Im Frühjahr 2017 recherchierte sie zum Finanzplatz Malta. In einer Liste, die ihr von einem Journalistennetzwerk zugespielt worden war, tauchte der Name des Antragstellers des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragsteller), Herr X..., im Zusammenhang mit der maltesischen Gesellschaft "C... Ltd."auf. Am 9. Mai 2017 übersandte die Beschwerdeführerin dem Antragsteller dazu zehn Fragen. Der Rechtsanwalt des Angeschriebenen antwortete ihr am 11. Mai 2017, er habe seinem Mandanten empfohlen, keine Fragen zu beantworten, es handele sich um private Vermögensfragen. Im Zusammenhang mit den Begriffen "Steueroptimierung"und "Steuerersparnis"würden Sachverhalte unterstellt, die nicht zuträfen. "Eine andere Besteuerung gibt es in Deutschland nur beim Leasing von Privatyachten. Da mein Mandant weder Yachten least noch verleast, trifft dieser Sachverhalt auf ihn schlicht nicht zu."

Am XX. Mai XXXX veröffentlichte die Beschwerdeführerin in der Ausgabe ... des Magazins "..."den streitgegenständlichen Artikel mit dem Titel "...". Der Artikel befasst sich mit Steuersparmodellen im Zusammenhang mit maltesischen Gesellschaften deutscher Unternehmen und Privatpersonen und lautet auszugsweise:

Dass Malta, arm an Rohstoffen, aber reich an fleißigen, gewitzten Menschen, einen irgendwie moralischen Anspruch darauf hat, auch die Firmen aus dem Norden ins Land zu locken. Und mit den Firmen einen kleinen Batzen der großen Steuereinnahmen, die sonst dort oben blieben. [...]

Warum aber größte Firmennamen der deutschen Industrie und beste Familiennamen des deutschen Mittelstandes da mitmachen, erklärt das noch nicht. Wo ihr moralischer Anspruch bleibt. Warum [...], warum die [...] und der Herr X..., warum ein paar Tausend Namen auf einer Malta-Liste des europäischen Journalistennetzwerks EIC offenbar das letzte Quäntchen aus ihren Einnahmen herausquetschen wollen.

Warum riskieren sie dafür ihren guten Ruf und manche noch etwas mehr? Wie eine Recherche des "..."auf Malta zeigt, [...].

Der Artikel befasst sich im Folgenden mit der grundsätzlichen Konstruktion eines Steuersparmodells unter Einschaltung einer maltesischen Gesellschaft, benennt konkrete Unternehmen und beleuchtet ihre gesellschafts- und steuerrechtlichen Konstruktionen. Auf einer der folgenden Seiten befindet sich in der mittleren Spalte ein Bild des Antragstellers mit einer in einem Kasten abgesetzten Frage "Warum Malta, Herr X...? Angeblich alles legal und reine Privatsache."

Den Antragsteller betreffend lautet es weiter:

[...] Das [Firmen]Register liegt neben der maltesischen Finanzaufsicht MFSA an einer Ausfallstraße ins Landesinnere, und für 20 Euro pro Firma bekommt man tatsächlich Informationen. In diesem Fall über einen deutschen Fernsehstar, Herr X... und seine C... Ltd. Eingetragen am 11. April 2016, Geschäftszweck: Kauf, Betrieb, Verleih, Bau und noch einiges mehr, was mit "Schiffen jeder Art"zu tun hat.

Hauptgesellschafter ist Herr X... - soweit aus der Firmenakte ersichtlich bis heute. Auch Direktor war der Moderator anfangs noch; den Posten gab er aber zum 1. Januar 2017 auf. Stattdessen übernahm eine Frau, die auf Malta dieselbe Adresse hat wie der deutsche Herr W.... Herr W... hat die Firma für Herr X... aufgesetzt.

Warum? "Wir geben keine Interviews", heißt es, dafür redet Herr W... auf seiner Homepage recht unverblümt: "Schwerpunkt unserer Tätigkeit ist die Beratung internationaler Klienten zur Reduzierung ihrer Steuerlast, insbesondere durch die Nutzung von maltesischen Standortvorteilen."Als Herr X... vor ein paar Monaten schon mal nach der C... gefragt wurde, wollte er nichts sagen. Privatsache, angeblich. So, wie das vermutlich jeder Deutsche sehen möchte, der eine Malta-Firma hat.

Es gibt zumindest ein paar naheliegende Gründe, nach Malta zu gehen, wenn die Firma das Wort "Yachting"im Namen trägt. Malta hat nicht nur das größte Schiffsregister Europas. Vor allem Jachtbesitzer lockt der EU-Zwerg mit Sonderangeboten - bei der Mehrwertsteuer. [...]

Hat Herr X... die Firma für eine Jacht und ein Steuerschnäppchen gegründet? Er habe keine Jacht geleast; nur beim Leasen bringe Malta überhaupt einen Steuervorteil, behauptet sein Anwalt. Warum also Malta, Herr X...? Ging es wirklich um ein Schiff? Obwohl Herr X... doch bisher nie als Skipper aufgefallen ist? Alles legal, alles privat, mehr sage man dazu nicht.

Andere können sich nicht so leicht verstecken, dazu sind ihre Jachten zu groß. [...].

2. In der Folge forderte der Antragsteller die Beschwerdeführerin erfolglos zum Abdruck einer Gegendarstellung auf. Er beantragte sodann vor dem Landgericht wiederholt den Erlass einer entsprechenden einstweiligen Verfügung. Das Landgericht lehnte die Anträge ab, zuletzt mit Beschluss vom 12. September 2017. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers entschied das Oberlandesgericht durch Beschluss vom 5. Oktober 2017, dass die Beschwerdeführerin folgende Gegendarstellung in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlossenen Nummer ihres Magazins "..."zu veröffentlichen habe:

Gegendarstellung

In "..."vom XX.XX.XXXX heißt es in einem Artikel mit der Überschrift "..."auf Seite XX:

"... Herr X... Gründe, nach Malta zu gehen, wenn die Firma das Wort ,Yachting'im Namen trägt. ... Vor allem Jachtbesitzer lockt der EU-Zwerg mit Sonderangeboten - bei der Mehrwertsteuer."

Hierzu stelle ich fest:

Der in dieser Veröffentlichung zum Ausdruck kommende Verdacht ist falsch. Die C... Ltd. wurde nicht gegründet, um Mehrwertsteuer zu sparen. Der beschriebene Mehrwertsteuervorteil auf Malta kommt bei der Jacht der C... Ltd. nicht zum Tragen.

Hamburg, den XX.XX.XXXX

Herr X...

3. Auf den von der Beschwerdeführerin eingelegten Widerspruch erging am 3. November 2017 das den Erlass der einstweiligen Verfügung bestätigende Urteil des Landgerichts. Es führte aus, es handele sich bei der angegriffenen Berichterstattung um eine als Verdacht verbreitete Tatsachenbehauptung. Der unbefangene Leser entnehme der streitgegenständlichen Textpassage, dass der Antragsteller möglicherweise die Gesellschaft gegründet habe, um Mehrwertsteuer zu sparen. Dem Leser werde ein möglicher Grund dafür genannt, weshalb die mit dem Antragsteller verbundene Limited in Malta sei, namentlich weil dort Mehrwertsteuer gespart werden könne. Die Beschwerdeführerin treffe eine Aussage über die angebliche Motivation des Antragstellers, die dem Beweis zugänglich sei.

4. Das Oberlandesgericht wies mit angegriffenen Urteil vom 6. Februar 2018 die von der Beschwerdeführerin eingelegte Berufung zurück. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin handele es sich bei der in der Gegendarstellung wiedergegebenen Aussage nicht um eine erkennbar subjektive Einschätzung der Beschwerdeführerin. Unter Mitteilung objektiver Tatsachen werde der tatsächliche Verdacht zum Ausdruck gebracht, der Antragsteller habe die Gesellschaft auf Malta gegründet, um Mehrwertsteuer zu sparen. Damit treffe die Beschwerdeführerin eine Aussage über die angebliche Motivation des Antragstellers, die dem Beweis zugänglich sei. Anders als in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. September 2016 ( VI ZR 250/13) stelle die Beschwerdeführerin dem Leser nicht verschiedene Schlussfolgerungen vor, sondern nur diejenige, dass der Antragsteller die Gesellschaft zum Steuersparen gegründet habe.

Am XX. Februar XXXX druckte die Beschwerdeführerin in der Ausgabe ... die Gegendarstellung ab.

5. In ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihres Grundrechts auf Pressefreiheit. Unzutreffend hätten Land- und Oberlandesgericht die in der Gegendarstellung enthaltene Textpassage als Tatsachenbehauptung gewertet, obwohl es sich lediglich um eine Meinungsäußerung gehandelt habe, dass Steuervorteile bei der Gründung der maltesischen Limited eine Rolle gespielt haben könnten, sowie dass zwischen den unstreitig bestehenden Steuervorteilen beim Kauf von Jachten und dem unstreitigen Umstand, dass Herr X... Hauptgesellschafter einer maltesischen Limited sei, die das Wort "Yachting"im Namen führe, ein Zusammenhang bestehen könne. Die Gerichte hätten die in der höchstrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung enthaltenen Vorgaben hinsichtlich der Abgrenzung von Meinungen und Tatsachen verkannt. Die Beschwerdeführerin habe nur spekulative Schlussfolgerungen aus all den unstreitig zutreffenden Anknüpfungstatsachen rund um den Finanzplatz Malta mitgeteilt, zumal ihr - für den Leser erkennbar - nicht einmal bekannt gewesen sei, ob der Antragsteller überhaupt eine Jacht erworben hatte. Zudem fehle es für die Gegendarstellung an einem berechtigten Interesse des Antragstellers, weil dieser in der Erstmitteilung hinreichend zu Wort gekommen sei.

6. Der Verfügungskläger hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Behörde für Justiz und Verbraucherschutz der Freien und Hansestadt Hamburg hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG ).

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Ihr fehlt insbesondere nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Die Beschwerdeführerin hat trotz zwischenzeitlichen Abdrucks der Gegendarstellung ein fortwirkendes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit der Gegendarstellung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. Februar 2018 - 1 BvR 442/15 -, Rn. 13 m.w.N.; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. November 2013 - 1 BvR 2102/12 u.a. -, Rn. 17; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. September 2003 - 1 BvR 825/99 -, Rn. 11).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzten die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG .

a) Der Schutzbereich der Pressefreiheit ist betroffen. Im Zentrum des Schutzes des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG steht die Freiheit der Gründung und Gestaltung von Presseerzeugnissen. Die Gestaltungsfreiheit wird sowohl in inhaltlicher als auch in formaler Hinsicht gewährleistet und umfasst sowohl die Bestimmung, welche Themen behandelt und welche Beiträge in eine Ausgabe aufgenommen werden sollen, als auch die Entscheidung über die äußere Darbietung der Beiträge sowie ihre Platzierung innerhalb der Ausgabe (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Erstens Senats vom 20. November 2018 - 1 BvR 2716/17 -, Rn. 12; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. Februar 2018 - 1 BvR 442/15 -, Rn. 15).

b) Die Verpflichtung zum Abdruck der Gegendarstellungen in ihrer Zeitschrift beeinträchtigt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit. Angesichts der Bedeutung, die aufwendig recherchierte Berichte über aktuelle, gesellschaftspolitische Themen für das von der Beschwerdeführerin verlegte Magazin haben, ist eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit durch die vorliegende Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung als schwerwiegend anzusehen, weil sie geeignet ist, das Vertrauen des Rezipienten in die Seriosität des von der Beschwerdeführerin angebotenen Produktes insgesamt zu beeinträchtigen.

c) Die Beeinträchtigung der Pressefreiheit ist nicht gerechtfertigt. Indem die Fachgerichte die Grundrechtsschranke des § 11 Hamburgisches Pressegesetz (HbgPresseG) in einer Weise ausgelegt haben, die dem Antragsteller einen Gegendarstellungsanspruch zuspricht, haben sie Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit nicht hinreichend beachtet (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. Februar 2018 - 1 BvR 442/15 - Rn. 17; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 967/05 -, Rn. 27; BVerfGE 97, 125 <145 f.>).

aa) Gegendarstellungsfähig ist nur eine Tatsachenbehauptung, die die Presse zuvor aufgestellt hat (vgl. auch § 11 Abs. 1 Satz 1 HbgPresseG). Im Blick auf die Abhängigkeit der Gegendarstellung von der Erstmitteilung verlangt die Pressefreiheit daher, dass die Erstmitteilung bei Auslegung der Vorschrift in einer den Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise gedeutet und eingeordnet wird. Die Pressefreiheit ist verletzt, wenn eine Gegendarstellung abgedruckt werden muss, der keine entsprechende Tatsachenbehauptung vorangegangen ist. Ebenso liegt ein Verstoß gegen die Pressefreiheit vor, wenn eine Gegendarstellung abgedruckt werden muss, die von der gesetzlichen Grundlage nicht gedeckt ist, weil es sich bei der Erstmitteilung nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt (vgl. BVerfGE 97, 125 <150 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. Februar 2018 - 1 BvR 442/15 -, Rn. 18; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 2016 - 1 BvR 1081/15 -, Rn. 19).

bb) Der beanstandete Text

... Herr X... und seine C... Ltd. ... Es gibt zumindest ein paar naheliegende Gründe, nach Malta zu gehen, wenn die Firma das Wort ,Yachting'im Namen trägt. ... Vor allem Jachtbesitzer lockt der EU-Zwerg mit Sonderangeboten - bei der Mehrwertsteuer.

konnte hiernach keinen Gegendarstellungsanspruch begründen. Dem Text ist keine Tatsachenbehauptung dahin zu entnehmen, der Antragsteller habe eine maltesische Gesellschaft gegründet, um Mehrwehrsteuer zu sparen oder habe dort Steuern gespart. Es handelt sich entgegen der Auffassung der Fachgerichte um eine Meinungsäußerung der Beschwerdeführerin dahin, dass in Malta bestehende Steuervorteile bei der unstreitig vom Antragsteller in Malta gegründeten Gesellschaft eine Rolle gespielt haben könnten. Jedenfalls könne ein Zusammenhang zwischen unstreitigen Steuervorteilen und dem Umstand bestehen, dass der Antragsteller Hauptgesellschafter eine maltesischen Limited ist, die den Begriff "Yachting"im Gesellschaftsnamen führt.

(1) Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich sind (vgl. BVerfGE 90, 241 <247>; 94, 1 <8>), handelt es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist (vgl. BVerfGE 7, 198 <210>; 61, 1 <8>; 90, 241 <247>; 124, 300 <320>). Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. August 2016 - 1 BvR 2619/13 -, Rn.13; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 16. März 2017 - 1 BvR 3085/15 -, Rn. 13).

Grundsätzlich ist dabei von einem weiten Verständnis des Meinungsbegriffs auszugehen. Sofern eine Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, fällt sie in den Schutzbereich des Grundrechts. Dies muss auch dann gelten, wenn sich diese Elemente, wie häufig, mit Elementen einer Tatsachenmitteilung oder -behauptung verbinden oder vermischen, jedenfalls dann, wenn beide sich nicht trennen lassen und der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung in den Hintergrund tritt. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (BVerfGE 61, 1 <9>). Im Zweifel ist im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes davon auszugehen, dass es sich um eine Meinungsäußerung handelt (vgl. BVerfGE 85, 23 <33>; 90, 241 <248>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. August 2016 - 1 BvR 2619/13 -, Rn. 13; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13 u.a. -, Rn. 18).

(2) Die konkrete Einordnung kritischer Bewertungen und Zweifel an der Wahrheit von Aussagen bereitet in der Rechtspraxis nicht selten Schwierigkeiten. In ihrer Entscheidung vom 16. März 2017 ( 1 BvR 3085/15 - Rn. 14) hat die 3. Kammer des Ersten Senats - ebenfalls eine Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts betreffend - diesbezüglich jedoch ausgeführt,

[...], dass die kritische Bewertung der Äußerung des Klägers und die als bloße Vermutung ausgewiesenen Zweifel an der Wahrheit dieser Aussage von Elementen der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind und, abgeleitet aus den konkreten Umständen der Nähe des Klägers zu den in Frage stehenden Ereignissen, damit ein Werturteil darstellen.

(3) Dass Schlussfolgerungen zu Beweggründen Dritter eher Werturteile darstellen denn Tatsachenbehauptungen, entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten dient (vgl. BVerfGE 120, 180 <200>). In seinem Urteil vom 10. Juli 2014 (Axel Springer AG v. Deutschland Nr. 2, Nr. 48311/10, juris, § 63) hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Schlussfolgerungen zu den Beweggründen oder den etwaigen Absichten Dritter im Zweifel Werturteile darstellten denn Tatsachenbehauptungen, die dem Beweis zugänglich wären (vgl. auch EGMR , Entscheidung vom 12. Juli 2007, a/s Diena and Ozolins v. Lativa, Nr. 16657/03). Dieser Auffassung hat sich das Bundesverfassungsgericht angeschlossen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. August 2016 - 1 BvR 2619/13 -, Rn. 13).

(4) Im vorliegenden Fall sind die kritische Bewertung der Angaben des Antragstellers und seines Anwaltes zu den Umständen und die als bloße Vermutung ausgewiesenen Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben von Elementen der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt. Die Beschwerdeführerin leitet aus den konkret dargelegten Umständen und der Nähe des Antragstellers zu Gesellschaftsgründung und Steuervorteilen diese Vermutung ab. Dass ihr unbekannt war, ob die Gesellschaft für den Erwerb einer Jacht und damit für "ein Steuerschnäppchen"gegründet wurde, teilt sie offen mit. Ergänzend führt sie die Angabe des Rechtsanwalts an, der Antragsteller des Ausgangsverfahrens habe keine Jacht geleast, nur beim Leasing bringe Malta einen Steuervorteil.

Nach den zuvor dargestellten Grundsätzen handelt es sich damit bei den streitgegenständlichen Äußerungen der Beschwerdeführerin im Ergebnis um ein Werturteil, das nicht gegendarstellungsfähig ist.

(5) Eine andere Bewertung ergibt sich weder aus der vom Oberlandesgericht bemühten Passage aus der Einleitung des Artikels noch aus der Unterschrift zu dem Foto des Antragstellers. Die Beschwerdeführerin hat durch die Verwendung des Wortes "offenbar"deutlich gemacht, dass es sich nur um eine Vermutung zum Motiv der Geschäftsgründung auf Malta handeln kann. Ein Verdacht, alle im streitgegenständlichen Artikel genannten Unternehmen und Personen hätten effektiv aufgrund der Verwendung maltesischer Gesellschaften in Deutschland Steuern gespart, liegt darin nicht. Die Beschwerdeführerin wirft zunächst die Frage auf, warum der Antragsteller eine maltesische Gesellschaft besitzt, die der Antragsteller dahin beantwortet, es handele sich um eine Privatsache, nur beim - hier nicht vorliegenden - Leasing von Jachten ergäben sich für ihn Steuervorteile auf Malta. In der Folge stellt die Beschwerdeführerin unstreitige Tatsachen dar und versieht diese mit ihrer Einschätzung, dass mehr als ein bloß zufälliges Zusammentreffen zwischen maltesischer Steuergesetzgebung und der maltesischen Gesellschaft des Antragstellers bestehen könne. Sie lässt es dem Rezipienten aber unbenommen, sich der Vermutung der Beschwerdeführerin anzuschließen oder sich an die vorgelegten Fakten zu halten und ein über bloßen Zufall hinausgehendes Mehr zu verneinen.

3. Die angegriffenen Urteile beruhen auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern und sind aufzuheben. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG .

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 03.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 324 O 411/17
Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 06.02.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 7 U 138/17
Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 05.10.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 7 W 108/17
Fundstellen
AuR 2021, 135
ZUM 2021, 345