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BVerfG - Entscheidung vom 08.12.2020

1 BvR 149/16

Normen:
GG Art. 3 Abs. 1
BGB § 839 Abs. 3

BVerfG, Beschluss vom 08.12.2020 - Aktenzeichen 1 BvR 149/16

DRsp Nr. 2021/1764

Annahme einer menschenunwürdigen Unterbringung in der Untersuchungshaft durch eine doppelt belegte Zelle ohne baulich abgetrennte Toilette; Gewährleistung der Rechtsschutzgleichheit i.R.d. Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Amtshaftungsklage

Tenor

1.

Der Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 7. September 2015 - 023 O 2481/15 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 16. Dezember 2015 - 1 W 2215/15 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und werden aufgehoben.

2.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Augsburg zurückverwiesen.

3.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

4.

Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

5.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 Euro (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Normenkette:

GG Art. 3 Abs. 1 ; BGB § 839 Abs. 3 ;

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zurückweisung eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Amtshaftungsklage gegen den Freistaat Bayern wegen menschenunwürdiger Unterbringung in Untersuchungshaft.

1. Der Beschwerdeführer befand sich in der Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 22. November 2012 in der Justizvollzugsanstalt A. in Untersuchungshaft. Mit Ausnahme der Zeiträume vom 6. bis 11. Januar 2012 und vom 11. bis 24. Juli 2012 war er in zwei identisch beschaffenen jeweils doppelt belegten Hafträumen der Station F untergebracht. Mit der Gemeinschaftsunterbringung hatte er sich bei Haftantritt schriftlich einverstanden erklärt. Beide Hafträume wiesen eine Gesamtgrundfläche von knapp 7,8 m2 auf. In den Hafträumen befand sich eine baulich nicht abgetrennte Toilette ohne separate Abluftvorrichtung. Aufschluss wurde täglich für eine Stunde sowie jeden zweiten Tag für weitere drei Stunden gewährt.

Mit Schriftsatz an das Landgericht Augsburg vom 17. Juli 2015 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und übersandte einen Klageentwurf für eine Amtshaftungsklage gegen den Freistaat Bayern. Er machte geltend, in der Untersuchungshaft unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht gewesen zu sein, und monierte unter anderem den Verlust jeglicher Privatsphäre und unzumutbare Belastungen durch den langen Einschluss in einem unzumutbar kleinen Haftraum.

2. Mit angegriffenem Beschluss vom 7. September 2015 verweigerte das Landgericht dem Beschwerdeführer die Prozesskostenhilfe. Die Klage biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ein Amtshaftungsanspruch des Beschwerdeführers scheide aus, da der Beschwerdeführer einer gemeinsamen Unterbringung mit einem weiteren Gefangenen zugestimmt und während der Haftzeit keinen schriftlichen, unbedingten Antrag auf Verlegung in einen Einzelhaftraum gestellt habe. Eine solche Verlegung in einen der Hafträume der Station E der Justizvollzugsanstalt sei kurzfristig möglich gewesen. Aus Parallelverfahren wisse das Gericht, dass die Justizvollzugsanstalt für die Problematik der menschenunwürdigen Unterbringung sensibilisiert sei. Eine Unterbringung in einem Einzelhaftraum der Station E wäre auch nicht menschenunwürdig gewesen. Dass in den Einzelhafträumen der Station E die Toilette räumlich nicht vom Rest des Haftraums getrennt ist, berühre die Intimsphäre des Beschwerdeführers wegen der Einzelbelegung nicht, insbesondere weil es ihm freistehe, den Haftraum seinen Bedürfnissen entsprechend zu belüften. In die Gefahren des Passivrauchens habe der Beschwerdeführer eingewilligt, weil er mit einer gemeinsamen Unterbringung einverstanden gewesen sei.

3. Mit Schriftsatz vom 28. September 2015 legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde ein. Es könne nicht von einem Haftungsausschluss ausgegangen werden, da die Alternativunterbringung in einem Haftraum der Station E ebenfalls menschenunwürdig gewesen wäre. Unter Beweisangebot führte er aus, in den Hafträumen der Station E, die baulich im Wesentlichen jenen der Station F mit Ausnahme der Belegenheit im Keller glichen, betrage die Temperatur maximal zwischen 16 und 18 Grad Celsius; die Temperatur sei nicht über 18 Grad Celsius hinaus regelbar. Zudem sei der Lichteinfall so gering, dass auch tagsüber das Lesen eine künstliche Beleuchtung erfordere. Auf der Station E könne nicht mehr als ein täglich einstündiger Aufschluss und kein Umschluss gewährt werden. Diese Haftbedingungen seien mit der Menschenwürde nicht zu vereinbaren, weshalb ein Verlegungsantrag unzumutbar gewesen wäre und der geltend gemachten Rechtsverletzung nicht abgeholfen hätte. Die vom Beschwerdeführer unterzeichneten Einverständniserklärungen mit einer gemeinschaftlichen Unterbringung könnten die Verletzung der Menschenwürde nicht rechtfertigen, da der Beschwerdeführer aufgrund der Haftsituation in der Justizvollzugsanstalt keine andere Möglichkeit gesehen habe, als diese zu unterschreiben.

4. Mit angegriffenem Beschluss vom 16. Dezember 2015 wies das Oberlandesgericht München die sofortige Beschwerde zurück.

Die sofortige Beschwerde sei unbegründet. Ein Amtshaftungsanspruch nach § 839 Abs. 3 BGB scheide aus, da der Beschwerdeführer keinen Verlegungsantrag gestellt habe. Ein solcher wäre ihm zumutbar gewesen, da die Hafträume der Station E den Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung genügten. Bei einer Einzelunterbringung werde auch bei einer lediglich mit einem Schamvorhang abgetrennten Toilette nicht in die Intimsphäre des Gefangenen eingegriffen.

Im Rahmen einer Beweisantizipation zog das Gericht die Akten eines Parallelverfahrens hinzu und war aufgrund der darin enthaltenen Lichtbilder der Hafträume der Station E davon überzeugt, dass die 1,45 m2 großen Fenster ausreichenden Lichteinfall ermöglichten. Die Behauptung des Beschwerdeführers zur zu niedrigen Temperatur in den Hafträumen sei nicht erheblich, da dieser keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen habe, dass einer zu niedrigen Temperatur in den Hafträumen der Station E nicht zeitnah abgeholfen werden könne. Die mangelnden Aufschlusszeiten könnten ebenfalls nicht die Annahme einer menschenunwürdigen Unterbringung begründen. Weder aus Art. 11 Abs. 2 BayUVollzG noch aus Ziffer 25.2 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze folge ein Anspruch auf Aufschlusszeiten über den einstündigen Hofgang hinaus. In der Rechtsprechung würden ebenfalls keine längeren Aufschlusszeiten verlangt, jedenfalls nicht für Untersuchungshäftlinge, für die der Resozialisierungsgedanke nicht greife.

5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG .

6. Dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz sowie der Präsidentin des Bundesgerichtshofs wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung anzunehmen, da dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Soweit sie nicht zur Entscheidung angenommen wird, wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen Fragen zu Inhalt und Reichweite des aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit bereits geklärt (vgl. BVerfGE 81, 347 <356 ff.>; 92, 122 <124>). Die Verfassungsbeschwerde ist danach hinsichtlich der Rüge einer Verletzung der Rechtsschutzgleichheit im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zulässig und begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit.

a) Die Gewährleistung der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, 124 <130 f.>; stRspr). Zwar ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>).

Danach dürfen bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können. Dabei muss Prozesskostenhilfe nicht immer schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Auch ist nicht schon allein aufgrund dessen, dass bestimmte Tatsachen streitig sind und deswegen im Hauptsacheverfahren der Beweisaufnahme bedürften, Prozesskostenhilfe zu gewähren. Gerichte dürfen sich im Prozesskostenhilfeverfahren einer Beweisantizipation bedienen, sofern konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Februar 2002 - 1 BvR 1450/00 -, Rn. 12). Die Ablehnung von Prozesskostenhilfe kann weiter ungeachtet des Fehlens einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gerechtfertigt sein, wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf Auslegungshilfen, die von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellt werden, ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann. Ist dies jedoch nicht der Fall, steht eine höchstrichterliche Klärung noch aus oder kann die Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens gar mit Verweis auf bereits vorliegende Rechtsprechung begründet werden, so ist es mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht zu vereinbaren, der unbemittelten Partei wegen fehlender Erfolgsaussicht ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (vgl. BVerfGE 81, 347 <359>). Ansonsten würde der unbemittelten Partei im Gegensatz zu der bemittelten die Möglichkeit genommen, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2006 - 2 BvR 626/06 u.a. -, Rn. 12; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Februar 2008 - 1 BvR 1807/07 -, Rn. 23; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. Mai 2016 - 1 BvR 3359/14 -, Rn. 14).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen halten die Prozesskostenhilfe versagenden Beschlüsse des Landgerichts und Oberlandesgerichts einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Sowohl Landgericht als auch Oberlandesgericht haben, indem sie ihre Einschätzung fehlender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung auf eine Zustimmung des Beschwerdeführers zur Gemeinschaftsunterbringung und auf den Anspruchsausschluss des § 839 Abs. 3 BGB gestützt haben, ein Verständnis der Menschenwürdegarantie in der Haftunterbringung zugrundegelegt, das in der bisherigen Rechtsprechung der Fachgerichte noch keine hinreichende Klärung gefunden hat. Die damit verbundenen Fragestellungen durften demnach nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert werden.

aa) Zu beanstanden ist indes nicht schon, dass die Zivilgerichte den Tatsachenvortrag des Beschwerdeführers zu Temperatur- und Lichtverhältnissen der Hafträume auf Station E mithilfe einer Beweisantizipation gewürdigt, teilweise als unsubstantiiert bewertet und - im Falle des Oberlandesgerichts - die Akten eines Parallelverfahrens beigezogen haben.

bb) Weiterhin im Einklang mit der bereits existierenden Rechtsprechung sind Landgericht wie Oberlandesgericht im Ansatz davon ausgegangen, dass die Frage nach der Menschenwürdigkeit der Unterbringung von Strafgefangenen von einer Gesamtschau der tatsächlichen, die Haftsituation bestimmenden Umstände abhängt. Als Faktoren sind dabei in räumlicher Hinsicht in erster Linie die Bodenfläche pro Gefangenen und die Situation der sanitären Anlagen, namentlich die Abtrennung und Belüftung der Toilette, zu beachten; als die Haftsituation mildernde oder verschärfende Merkmale müssen der Umfang der täglichen Einschlusszeiten und die Belegdichte des Haftraums Berücksichtigung finden (vgl. nur BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 409/09 -, Rn. 30; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli 2015 - 1 BvR 1127/14 -, Rn. 12, 18; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. März 2016 - 2 BvR 566/15 -, Rn. 27; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juli 2016 - 1 BvR 826/13 -, Rn. 14). Die Frage, wie diese Faktoren je für sich und im Zusammenspiel zu bewerten sind, insbesondere, ob oder unter welchen Bedingungen auch eine anteilige Grundfläche unterhalb von 6 m2 pro Gefangenen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. November 2012 - 2 BvR 1567/11 -, Rn. 2) den Anforderungen der Menschenwürdegarantie genügen kann und welche Anforderungen die Menschenwürdegarantie an die Gewährung von Auf- und Umschlusszeiten unabhängig von der Belegung einer Zelle mit mehreren Gefangenen stellt, ist in der Rechtsprechung nicht geklärt.

Allerdings lassen sich die Fragen, wann die räumlichen Verhältnisse in einer Strafanstalt derart beengt sind, dass die Unterbringung eines Gefangenen dessen Menschenwürde verletzt, und welche Anforderungen an Einschlusszeiten zu stellen sind, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht abstrakt-generell klären, sondern müssen der tatrichterlichen Beurteilung überlassen bleiben (beispielhaft BGHZ 198, 1 <3 f. Rn. 6>). Danach kann es die Klärung eines verfassungsmäßigen Mindestsolls im Sinne schematisch festgelegter allgemeiner Maßzahlen nicht geben (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2010 - III ZR 124/09 -, juris, Rn. 7). Dies stellt jedoch nicht in Frage, dass es für die Anforderungen an menschenwürdige Haftbedingungen der Herausbildung auch übergreifender Grundsätze und Unterscheidungsmerkmale bedarf, die sowohl den Betroffenen als auch den Behörden Kriterien an die Hand geben, die die Beurteilung der Menschenwürdigkeit der Unterbringung hinreichend vorhersehbar machen. An klärenden Leitentscheidungen des Bundesgerichtshofs hierzu fehlt es nach wie vor (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Februar 2020 - 1 BvR 3182/15 -, Rn. 19).

cc) Die Fachgerichte hätten, um den Anspruch des Beschwerdeführers auf Rechtsschutzgleichheit zu wahren, berücksichtigen müssen, dass diese Anforderungen zur Zeit insbesondere durch Leitentscheidungen des Bundesgerichtshofs nach wie vor nicht geklärt sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Februar 2020 - 1 BvR 3182/15 -, Rn. 19).

(1) Was die Mindestgröße unter Berücksichtigung der baulichen Ausstattung und Beschaffenheit einer mehrfach belegten Zelle angeht, setzen verschiedene Obergerichte zwar unterschiedliche Richtwerte an (vgl. nur für eine menschenunwürdige Unterbringung bei 6-7 m2 Fläche pro Gefangenen und Mehrfachbelegung bei baulich nicht abgetrennter Toilette OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 18. Juli 2003 - 3 Ws 578/03 <StVollz> -, NJW 2003, S. 2843 <2845>; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Januar 2006 - 1 Ws 147/05 -, juris, Rn. 2; für einen Richtwert von 5 m2 unabhängig von der baulich-räumlichen Situation vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 13. Juni 2008 - 11 W 78/07 -, juris, Rn. 30; OLG Hamm, Urteil vom 18. März 2009 - 11 U 88/08 -, juris, Rn. 48; OLG Hamm, Beschluss vom 25. März 2009 - 11 W 106/08 -, juris, Rn. 38; OLG Hamm, Urteil vom 29. September 2010 - 11 U 88/08 -, juris, Rn. 23). Für die Unterbringung des Beschwerdeführers auf Station F in einer knapp 7,8 m2 großen doppelt belegten Zelle ohne baulich abgetrennte Toilette liegt nach den Maßstäben aller dieser obergerichtlichen Entscheidungen die Annahme einer menschenunwürdigen Unterbringung jedenfalls nicht fern.

Die Fachgerichte haben indes keine rechtliche Würdigung der tatsächlichen Unterbringungsverhältnisse des Beschwerdeführers auf Station F vorgenommen, sondern direkt auf dessen Zustimmung zur Gemeinschaftsunterbringung und auf den Anspruchsausschluss nach § 839 Abs. 3 BGB abgestellt. Daher kommt es entscheidend darauf an, ob die Maßstäbe zur Beurteilung der Frage, ob eine hypothetische Alternativunterbringung auf Station E in einer Einzelzelle bei täglich 23-stündigem Einschluss mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes vereinbar ist, als hinreichend geklärt gelten dürfen.

(2) Dies ist nicht der Fall. Die Auswirkungen von Ein- und Aufschlusszeiten unabhängig von der Mehrfachbelegung einer Zelle auf die Beurteilung der Haftbedingungen insgesamt werden von den Gerichten unterschiedlich beurteilt.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Aufschlusszeiten bislang lediglich als möglichen kompensierenden Faktor zu räumlich beengten Haftverhältnissen in den Blick genommen und als nicht hinreichend geklärt angesehen, ab welcher Stundenzahl die Verkürzung der täglichen Einschlusszeit in der Zelle die räumlichen Haftbedingungen derart abmildert, dass nicht mehr von einer Menschenwürdeverletzung auszugehen ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 409/09 -, Rn. 34 a.E.). Es hat in diesem Kontext einen täglich 23-stündigen Einschluss an fünf Wochentagen in einer 7,6 m2 großen doppelt belegten Zelle mit baulich nicht abgetrennter Toilette für mit der Menschenwürde nicht vereinbar angesehen und hierbei maßgeblich auf die beengten Verhältnisse in der Gemeinschaftszelle abgestellt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Februar 2002 - 2 BvR 553/01 -, Rn. 14).

In zwei Entscheidungen hat das Kammergericht Berlin einen täglich 23-stündigen Einschluss in einem Einzelhaftraum unabhängig von den baulich-räumlichen Haftumständen für mit den Anforderungen der Menschenwürdegarantie nicht vereinbar gehalten und dies mit der hierdurch bewirkten sozialen Isolierung des Gefangenen begründet (vgl. für den Strafvollzug KG, Urteil vom 17. Februar 2015 - 9 U 129/13 -, juris, Rn. 27; für einen Fall der Untersuchungshaft KG, Urteil vom 2. Dezember 2014 - 9 U 182/13 -, juris, Rn. 26). Für Fälle kleinerer Einzelhafträume mit einer Größe von weniger als 5,5 m2 haben das Kammergericht und der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin auch tägliche Einschlusszeiten zwischen circa zehn und 21 Stunden als menschenunwürdig erachtet (vgl. VerfGH Berlin, Beschluss vom 3. November 2009 - 184/07 -, juris, Rn. 31; KG, Urteil vom 21. September 2012 - 9 U 123/11 -, BeckRS 2013, S. 12443).

dd) Indem Landgericht und Oberlandesgericht der beabsichtigten Amtshaftungsklage ungeachtet dieser ungeklärten Rechtsfrage die Erfolgsaussichten von vornherein abgesprochen und Prozesskostenhilfe verweigert haben, haben sie den Anspruch des Beschwerdeführers auf Rechtsschutzgleichheit verletzt. Die Erfolgsaussichten einer Amtshaftungsklage wegen menschenunwürdiger Haftunterbringung können nicht im Rahmen eines Prozesskostenhilfeverfahrens unter Verweis auf § 839 Abs. 3 BGB verneint werden, soweit die Unterbringung in einem Haftraum, für den ein Verlegungsantrag hätte gestellt werden können, ungeklärte Fragen im Hinblick auf die Menschenwürdegarantie aufwirft. Ob ein täglich 23-stündiger Einschluss in einen Einzelhaftraum mit einer Größe von knapp 7,8 m2 mit der Menschenwürdegarantie vereinbar ist, ist gesetzlich nicht eindeutig geregelt und in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt. Diese für die Beurteilung des Begehrens des Beschwerdeführers maßgebliche Rechtsfrage durfte nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert werden, sondern bedarf einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren, die es dem Beschwerdeführer auch ermöglicht, sie gegebenenfalls einer höchstrichterlichen Klärung zuzuführen.

2. Die angegriffenen Beschlüsse beruhen im tenorierten Umfang auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Landgericht und Oberlandesgericht haben auf den Anspruchsausschluss gemäß § 839 Abs. 3 BGB und damit die hypothetische Situation in Hafträumen der Station E sowie auf die Zustimmung des Beschwerdeführers zur Gemeinschaftsunterbringung auf Station F abgestellt. Dass der Beschwerdeführer unterschrieben hat, dass er mit einer Mehrfachbelegung seines Haftraums auf Station F einverstanden ist, führt zu keiner anderen Bewertung, da die Frage, ob eine Einwilligung in eine menschenunwürdige Unterbringung wirksam sein kann, ebenfalls ungeklärt ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. November 2011 - 1 BvR 1403/09 -, Rn. 42).

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG . Die Festsetzung des Gegenstandwerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: LG Augsburg, vom 07.09.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 023 O 2481/15
Vorinstanz: OLG München, vom 16.12.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 1 W 2215/15