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BSG - Entscheidung vom 03.09.2020

B 1 KR 79/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 03.09.2020 - Aktenzeichen B 1 KR 79/19 B

DRsp Nr. 2020/15304

Freistellung von Kosten für Liposuktionsbehandlungen Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. September 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren zunächst auf Freistellung von Kosten für Liposuktionsbehandlungen im Verwaltungsverfahren und später auf Erstattung von 19 604,93 Euro für vier zwischen Januar 2014 und Juni 2015 durchgeführte stationäre Liposuktionsbehandlungen in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das LSG hat zur Begründung unter anderem ausgeführt, im Zeitpunkt der stationären Behandlungen habe die Liposuktion nicht dem Qualitätsgebot entsprochen. Das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom 16.7.2015 habe insoweit keine Änderung der Rechtslage im Vergleich zur hier maßgeblichen Fassung des § 137c SGB V in der Fassung des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes vom 22.12.2011 herbeigeführt. Erst 2017 sei der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) von einem Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative ausgegangen und habe erst 2019 befristet stationäre Behandlungen bei einem Lipödem des Stadiums III zugelassen. Diese begrenzte Zulassung wirke nur für die Zukunft. Ein Anspruch nach Maßgabe der grundrechtsorientierten Leistungsauslegung komme hier nicht in Betracht (Urteil vom 26.9.2019).

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

1. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung 160 Abs 2 Nr 1 SGG ).

Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

a) Die Klägerin wirft die Frage auf:

"Gewährten §§ 39 und 137c SGB V - durch Inkrafttreten ihrer Neufassung am 24. Dezember 2019 - einen Anspruch auf neuartige Behandlungsmethoden im stationären Bereich, deren Nutzen noch nicht hinreichend begründet ist, die jedoch das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative beinhalten, auch für den Zeitraum vor dem 24. Dezember 2019?"

Die Klägerin legt die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht dar. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG <Kammer> vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden, was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zB BSG vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32; BSG vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - juris RdNr 7). Erneute Klärungsbedürftigkeit ist darüber hinaus auch gegeben, wenn neue erhebliche Gesichtspunkte gegen die bisherige Rechtsprechung vorgebracht werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung führen können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl BSG vom 30.9.1992 - 11 BAr 47/92 - SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2; BSG vom 11.2.2020 - B 10 EG 14/19 B - juris RdNr 6, jeweils mwN). Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.

Die Klägerin macht geltend, Art 2 Nr 0 und Nr 4 Buchst b Gesetz zur Errichtung des Implantateregisters Deutschland und zu weiteren Änderungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Implantateregister-Errichtungsgesetz - EIRD) vom 12.12.2019 (BGBl I 2494, in Kraft getreten am 18.12.2019) habe die §§ 39 und 137c SGB V in einer Weise geändert, dass die bisherige Rechtsprechung des erkennenden Senats überholt sei. Nach dieser überholten Rechtsprechung ( BSG vom 24.4.2018 - B 1 KR 10/17 R - BSGE 125, 283 = SozR 4-2500 § 137c Nr 10; die Entscheidung betraf eine im Jahre 2016 vorgenommene Liposuktionsbehandlung) habe eine Behandlungsmethode auch im stationären Bereich erst dann zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört, wenn die Erprobung abgeschlossen gewesen sei und über Qualität und Wirkungsweise der neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen hätten gemacht werden können.

Die Klägerin zeigt jedoch nicht auf, dass es klärungsbedürftig ist, ob diese die Potentialleistungen betreffenden gesetzlichen Regelungen der §§ 39 und 137c SGB V in der Fassung des EIRD auch auf - wie hier - vor Juli 2015 abgeschlossene Liposuktionsbehandlungen Anwendung finden können. Sie setzt sich nicht damit auseinander, dass nach dem klaren Normanwendungsbefehl die Gesetzesänderungen durch das EIRD erst mit Wirkung zum 18.12.2019 in Kraft traten (vgl Art 7 Abs 2 EIRD). Soweit die Klägerin maßgeblich auf die Begründung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) abstellt (BT-Drucks 19/13589 S 64 und 65), übergeht sie den Umstand, dass die Änderung der §§ 39 und 137c SGB V durch das EIRD von 2019 gerade in Reaktion auf die Rechtsprechung des Senats zu § 137c Abs 3 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz - GKV-VSG) vom 16.7.2015 (BGBl I 1211) erfolgte (vgl BSG vom 24.4.2018 - B 1 KR 10/17 R - BSGE 125, 283 = SozR 4-2500 § 137c Nr 10; BSG vom 24.4.2018 - B 1 KR 13/16 R - BSGE 125, 262 = SozR 4-2500 § 137e Nr 1; BSG vom 28.5.2019 - B 1 KR 32/18 R - SozR 4-2500 § 137c Nr 13), die der hier maßgeblichen Fassung des § 137c SGB V (idF durch Art 1 Nr 54 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung <GKV-Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG> vom 22.12.2011, BGBl I 2983) erst nachfolgte.

Hingegen führt die Klägerin zutreffend aus, dass schon das GKV-VSG vom 16.7.2015 mit Wirkung vom 23.7.2015 einen "neuen Absatz 3 in § 137c SGB V " eingefügt habe. Dies ist jedoch für die von der Klägerin formulierte Rechtsfrage ohne Relevanz.

b) Selbst wenn die Klägerin die Rechtsfrage auch mit Blick auf das Inkrafttreten des GKV-VSG und eine rückwirkende Klarstellung formuliert hätte, hätte sie eine Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt. Sie geht nicht darauf ein, dass der Wortlaut des § 39 SGB V in der auf den vorliegenden Rechtsstreit anzuwendenden Fassung keinen Anhaltspunkt dafür bietet, stationäre Leistungen, die nur das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative haben, in den GKV-Leistungskatalog einzubeziehen. Ebenso wenig geht sie darauf ein, dass § 137c SGB V - anders als in der GKV-VSG- und der EIRD-Fassung - in der hier maßgeblichen GKV- VStG -Fassung vom 22.12.2011 nur im Kontext von GBA-Prüfverfahren Regelungen zu Potentialleistungen vorsieht. Sie setzt sich insoweit mit der Rechtsprechung des BSG zu den §§ 39 , § 137c SGB V in ihren Fassungen vor dem 23.7.2015 nicht auseinander (vgl BSG vom 19.2.2003 - B 1 KR 1/02 R - BSGE 90, 289 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1; BSG vom 28.7.2008 - B 1 KR 5/08 R - BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 52 f; BSG vom 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 19; BSG vom 17.12.2013 - B 1 KR 70/12 R - BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 15 ff; BSG vom 19.12.2017 - B 1 KR 17/17 R - BSGE 125, 76 = SozR 4-5562 § 6 Nr 1, RdNr 20 ff; BSG vom 8.10.2019 - B 1 KR 2/19 R - SozR 4-5562 § 6 Nr 3 RdNr 18 ff).

c) Auch wäre eine - von der Klägerin nicht gestellte - Rechtsfrage zum unmittelbaren Regelungsgehalt des § 137c Abs 3 SGB V in der GKV-VSG-Fassung nicht klärungsfähig, also nicht entscheidungserheblich, weil die letzte der Liposuktionsbehandlungen, für die die Klägerin Kostenerstattung begehrt, vor dem Inkrafttreten des § 137c Abs 3 SGB V bereits abgeschlossen war.

2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Sachsen-Anhalt, vom 26.09.2019 - Vorinstanzaktenzeichen L 6 KR 103/17
Vorinstanz: SG Dessau-Roßlau, vom 17.03.2016 - Vorinstanzaktenzeichen S 36 KR 280/13