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BSG - Entscheidung vom 01.12.2020

B 1 KR 70/20 B

Normen:
SGB V § 13 Abs. 3
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 01.12.2020 - Aktenzeichen B 1 KR 70/20 B

DRsp Nr. 2021/2716

Anspruch auf Kostenerstattung für eine immunbiologische Therapie Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Dem Kläger wird wegen der Versäumung der Frist für die Begründung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30. Juni 2020 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30. Juni 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGB V § 13 Abs. 3 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger leidet an einer rheumatoiden Arthritis (entzündliche Erkrankung der Gelenke). Nach frustranem Verlauf verschiedener konventioneller Therapien begab er sich ab März 2014 in die privatärztliche Behandlung des auch vertragsärztlich tätigen K., der ihn bis Juli 2015 mit einer immunbiologischen Therapie (insbesondere Thymuspräparate, Vitamine, Mineralstoffe, Selen, Zink, Ozon-/Eigenbluttherapie, Entsäuerungsinfusionen mit Natriumhydrogenbicarbonat, Gelenkaufbautherapie mittels Infusionen) behandelte (Kosten: 38 501,36 Euro). Der Kläger beantragte im Juni 2014 bei der Beklagten die Übernahme der Behandlungskosten. Er ist damit bei der Beklagten und in den Vorinstanzen mit zuletzt einer nur noch auf Kostenerstattung gerichteten Klage erfolglos geblieben. Das LSG hat - auch unter Bezugnahme auf die Gründe des SG -Urteils - ua ausgeführt, die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs 3 SGB V seien nicht erfüllt. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die immunbiologische Therapie als Naturalleistung. Es handele sich um eine neue Behandlungsmethode, die noch nicht durch einen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgenommen worden sei. Für ein Systemversagen sei insoweit nichts ersichtlich. Ein Seltenheitsfall liege ebenfalls nicht vor. Schließlich ergebe sich der Anspruch auch nicht aus § 2 Abs 1a SGB V . Der Kläger leide unter einer schwerwiegenden, nicht aber unter einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung. Es fehle an der notstandsähnlichen Situation. Außerdem stünden noch allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapien zur Verfügung. Schließlich fehle es dieser Therapie an Indizien für eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung bzw positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Das subjektive Empfinden des Klägers und die Einschätzung von K., dass die Behandlung erfolgreich gewesen sei, genügten nicht. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3a Satz 7 SGB V scheitere schon daran, dass der Kläger sich die als einheitliche Leistung zu begreifende Behandlung schon vor Beginn der hier maßgeblichen Fristen des § 13 Abs 3a SGB V beschafft habe (Urteil vom 30.6.2020).

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil und beantragt wegen der Versäumung der Frist für die Begründung der Beschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

II

1. Dem Kläger ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Begründung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil zu gewähren.

Der mittels Briefpost übersandte Beschwerdebegründungsschriftsatz des Klägers ist beim BSG erst am 4.9.2020, zwei Tage nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist 160a Abs 2 Satz 1 SGG ) eingegangen. Nach § 67 Abs 1 SGG ist einem Beteiligten, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine Fristversäumnis ist unverschuldet, wenn der Beteiligte die ihm nach seinen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt beachtet, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls nach allgemeiner Verkehrsanschauung zur gewissenhaften Prozessführung vernünftigerweise erforderlich ist. Bedient sich ein Beteiligter der Deutschen Post AG, so darf er regelmäßig darauf vertrauen, dass diese die von ihr für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten einhält ( BSG vom 14.3.2013 - B 13 R 188/12 B - SozR 4-1500 § 63 Nr 3 RdNr 19 mwN; BSG vom 27.3.2017 - B 9 V 68/16 B - juris RdNr 10). So liegt der Fall hier. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat den Beschwerdebegründungsschriftsatz am 29.8.2020, einem Samstag, als Einschreiben bei der Deutschen Post AG aufgegeben. Sie durfte damit rechnen, dass der Brief bis zum Ablauf der Begründungsfrist am Mittwoch, dem 2.9.2020, das BSG erreicht.

2. Die Beschwerde des Klägers ist jedoch unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung eines der in § 160 Abs 2 SGG genannten Revisionszulassungsgründe. Der Kläger legt weder eine grundsätzliche Bedeutung 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) noch eine Divergenz dar160 Abs 2 Nr 2 SGG ), noch bezeichnet er einen Verfahrensmangel 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung fehlt es schon an der Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage. Sie könnte allenfalls im Zusammenhang mit dem Hinweis gesehen werden, dass Beihilfeberechtigte des Landes Niedersachsen Anspruch auf Erstattung der Kosten der von ihm selbst beschafften Immunbiologischen Therapie hätten. Selbst wenn der Kläger aber damit implizit eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dahingehend formuliert haben sollte, ob diese - von ihm behauptete - Ungleichbehandlung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoße, erfüllt er die Darlegungsvoraussetzungen nicht. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsfrage hätte Anlass für eine Auseinandersetzung damit bestanden, dass die Ungleichbehandlung der Versicherten der GKV gegenüber auf andere Weise abgesicherten Personen Folge der Entscheidung des Gesetzgebers für unterschiedliche Sicherungssysteme gegen Krankheit ist. Denn das BVerfG hat dem Gesetzgeber grundsätzlich zugestanden, Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung in der GKV in bestimmter Weise festzulegen. Auch das BSG hat wiederholt betont, dass es im Ermessen des Gesetzgebers liegt, sich für verschiedene Leistungssysteme zu entscheiden, in denen sich der Gleichheitssatz dann den Eigenarten der Systeme entsprechend unterschiedlich auswirkt(vgl BSG vom 20.7.2010 - B 1 KR 10/10 B - juris RdNr 9 mwN zur Rspr des BVerfG und des BSG ). Hiermit setzt sich der Kläger nicht auseinander.

Im Übrigen greift der Kläger mit seinem weiteren Vorbringen nur die Unrichtigkeit des LSG-Urteils an, wenn er auf den objektiv sehr erfolgreichen Verlauf der Therapie verweist und entgegen den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen, den Senat daher bindenden Feststellungen des LSG 163 SGG ) ausführt, dass seine Erkrankung im Zeitpunkt des Beginns der Behandlung bei K. einen lebensbedrohlichen Verlauf genommen habe und keine Standardtherapien mehr zur Verfügung gestanden hätten. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann jedoch nicht die Unrichtigkeit des LSG-Urteils geltend gemacht werden (stRspr; vgl BSG vom 28.7.1975 - 8 BU 6/75, 8 RU 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 9; BSG vom 12.4.1989 - 4 BA 229/88 - juris RdNr 4; BSG vom 8.4.2020 - B 13 R 125/19 B - juris RdNr 22).

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 30.06.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 KR 298/18
Vorinstanz: SG Hannover, vom 14.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen S 10 KR 769/14