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BGH - Entscheidung vom 23.06.2020

XIII ZB 67/19

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3-5

BGH, Beschluss vom 23.06.2020 - Aktenzeichen XIII ZB 67/19

DRsp Nr. 2020/10853

Vorliegen eines zulässigen Haftantrags als eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung; Anordnung der Überstellungshaft eines Betroffenen zurAbschiebung nach Italien

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Deggendorf - 1. Zivilkammer - vom 14. Januar 2019 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Deggendorf vom 5. November 2018 den Betroffenen in der Zeit vom 20. November bis zum 27. November 2018 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Regierung von Niederbayern auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 -5;

Gründe

I. Der Betroffene, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 8. Februar 2018 in das Bundesgebiet ein. Mit Bescheid vom 12. April 2018 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Asylantrag als unzulässig ab, weil der Betroffene bereits einen Asylantrag in Italien gestellt habe. Zugleich wurde die Überstellung des Betroffenen nach Italien angeordnet.

Nachdem ein Überstellungsversuch am 12. Oktober 2018 scheiterte, weil der Betroffene in der ihm zugeteilten Unterkunft nicht auffindbar war, ordnete das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde am 5. November 2018 Überstellungshaft für die Dauer von bis zu sechs Wochen an. Gegen diesen Beschluss legte der Betroffene Beschwerde ein.

Mit Schreiben vom 26. November 2018 beantragte die beteiligte Behörde, die Haft aufzuheben, weil nach einer Mitteilung des Bundesamts vom selben Tage keine Überstellung nach dem Dublin-Verfahren erfolgen könne, da dem Betroffenen bereits internationaler Schutz in Italien gewährt worden sei. Das Landgericht hob daraufhin am 27. November 2018 die Haftanordnung des Amtsgerichts auf. Noch am selben Tag wurde der Betroffene aus der Haft entlassen.

Am 14. Januar 2019 wies das Landgericht die Beschwerde des Betroffenen zurück. Mit der dagegen gerichteten Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene die Feststellung, dass er durch die Haftanordnung des Amtsgerichts in der Zeit vom 20. bis zum 27. November 2018 in seinen Rechten verletzt worden sei.

II. Die nach der Haftentlassung mit dem Feststellungsantrag zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Durchführung des 6 Rücküberstellungsverfahrens nach der Dublin-III-Verordnung sei zulässig gewesen. Der Betroffene habe in seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, von Italien nach Deutschland gereist zu sein und während der gesamten Zeit in Italien keine Papiere gehabt zu haben. Daraus ergebe sich zusammen mit dem im Bescheid des Bundesamts vom 12. April 2018 festgestellten Vorliegen von EURODAC-Treffern ohne jeden vernünftigen Zweifel, dass der Betroffene Italien vor Abschluss eines Asylverfahrens verlassen habe. Auch bei seiner Erstbefragung am 14. März 2018 habe er angegeben, in Italien von der Polizei kontrolliert worden zu sein und dort einen Asylantrag gestellt zu haben, der abgelehnt worden sei. Dass dem Betroffenen in Italien unter dem Aliasnamen A. B. (geboren 9. Juli 1995) Flüchtlingsschutz gewährt worden sei, sei der beteiligten Behörde erst am 26. November 2018 bekannt geworden. Die Haftentlassung sei daraufhin sofort eingeleitet worden. Falschangaben oder das Verschweigen maßgeblicher Tatsachen durch den Betroffenen könnten der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Die Angaben zur Haftdauer im Haftantrag genügten den Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG .

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlt.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (BGH, Beschluss vom 13. September 2018 - V ZB 57/18, juris Rn. 5; Beschluss vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, juris Rn. 8 mwN).

b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag nicht gerecht.

Im Antrag wird ausgeführt, die Abschiebung könne bis spätestens 17. Dezember 2018 vollzogen werden, mithin innerhalb von sechs Wochen. Ein neuer Schubauftrag werde umgehend erteilt; da die antragstellende Behörde eine hohe Zahl von Stornierungen habe, sei davon auszugehen, dass ein stornierter Überstellungstermin genutzt werden könne. Der mit der Überstellung verbundene Aufwand, insbesondere die zweiwöchige Anmeldefrist des Betroffenen in Italien und die Organisation einer Luftüberstellung durch die Polizei, rechtfertigten die Dauer der Haft.

Damit liegt keine ausreichende Begründung für eine Haftdauer von sechs Wochen vor. Für die Abschiebung des Betroffenen war keine Sicherheitsbegleitung vorgesehen. Aufgrund der Ausführungen der beteiligten Behörde ist nicht nachvollziehbar, wieso dann trotz der nur zweiwöchigen Anmeldefrist und der Annahme, einen stornierten Überstellungstermin nutzen zu können, für die Organisation der Luftüberstellung des Betroffenen nach Italien sechs Wochen erforderlich sein sollten.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 2 FamFG . Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Deggendorf, vom 05.11.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 408 XIV 726/18
Vorinstanz: LG Deggendorf, vom 14.01.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 12 T 147/18