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BGH - Entscheidung vom 03.06.2020

IV ZB 9/19

Normen:
BGB § 242

Fundstellen:
NJW-RR 2020, 914

BGH, Beschluss vom 03.06.2020 - Aktenzeichen IV ZB 9/19

DRsp Nr. 2020/9112

Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge der abgeschlossenen fondsgebundenen Lebensversicherungen aus ungerechtfertigter Bereicherung hinsichtlich Verwirkung des Widerspruchs

In Fällen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Widerspruchsbelehrung oder einer fehlenden oder unvollständigen Verbraucherinformation kann die Geltendmachung des Widerspruchsrechts nur ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 25. April 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: bis 8.000 €

Normenkette:

BGB § 242 ;

Gründe

I. Der Kläger fordert von der Beklagten aus ungerechtfertigter Bereicherung Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge zweier 2006 und 2007 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) abgeschlossener fondsgebundener Lebensversicherungen und Herausgabe von Nutzungen.

Nachdem der Kläger die Verträge zum 1. Dezember 2017 gekündigt und die Rückkaufswerte erhalten hatte, erklärte er unter dem 15. Mai 2018 den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F.

Mit der Klage verlangt er Rückzahlung der auf die Verträge geleisteten Beiträge sowie Herausgabe von Nutzungen abzüglich der Rückkaufswerte, insgesamt 7.324,36 € nebst Zinsen.

Der Kläger hat vorgetragen, die Policenanschreiben nicht erhalten zu haben. Im Übrigen seien die Widerspruchsbelehrungen fehlerhaft und die Verbraucherinformationen unvollständig.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es ist davon ausgegangen, dass der Kläger die Policenanschreiben erhalten hat. Die ihm erteilten Widerspruchsbelehrungen sowie die Verbraucherinformationen seien ordnungsgemäß. Der erklärte Widerspruch sei zumindest verwirkt gemäß § 242 BGB . Die Beklagte habe den Kläger über das bestehende Widerspruchsrecht belehrt. Ihr sei das Berufen auf den Einwand der Verwirkung daher nicht verwehrt.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers nach vorherigem Hinweis als unzulässig verworfen. Das Urteil des Landgerichts stütze sich auf zwei rechtlich voneinander unabhängige Gründe, von denen jeder die Abweisung trage, während sich die Berufung nur mit einem dieser Gründe auseinandersetze. Das Landgericht habe zum einen angenommen, die Widerspruchsfrist sei aufgrund ordnungsgemäßer Belehrung abgelaufen, und zum anderen ausgeführt, der Anspruch sei (zumindest auch) verwirkt. Die Verwirkung sei nicht rechtlich von einer wirksamen Widerspruchsbelehrung abhängig, weil ein Bereicherungsanspruch selbst im Falle des Fehlens einer ordnungsgemäßen Belehrung über das Widerspruchsrecht wegen eines widersprüchlichen Verhaltens des Versicherungsnehmers gemäß § 242 BGB ausgeschlossen sein könne. Die Berufungsbegründung greife ausschließlich die Annahme der abgelaufenen Widerspruchsfrist an und setze sich nicht mit der Frage der Verwirkung auseinander.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), das es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2018 - IV ZB 10/18, r+s 2019, 137 Rn. 6 m.w.N.).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Berufungsgericht die Berufung nicht als unzulässig verwerfen. Es hat die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung überspannt.

a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung unter anderem die Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende Erwägungen gestützt, muss der Kläger in seiner Berufungsbegründung das Urteil auch in allen diesen Punkten angreifen und für jede der mehreren Erwägungen darlegen, warum sie die Entscheidung nicht trägt; anderenfalls ist sein Rechtsmittel unzulässig (BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2007 - V ZB 154/06, NJW 2007, 1534 [juris Rn. 11]; vom 18. Oktober 2005 - VI ZB 81/04, NJW -RR 2006, 285 [juris Rn. 8]; vom 14. März 2005 - II ZB 31/03, NJW-RR 2005, 793 [juris Rn. 8]; jeweils m.w.N.).

b) So liegt der Fall hier nicht. Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, beruht das erstinstanzliche Urteil e ntgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schon nicht auf mehreren voneinander unabhängigen, selbständig tragenden Gründen.

Das Landgericht hat die Klageabweisung in erster Linie darauf gestützt, dass die Widerspruchsfrist abgelaufen sei, weil der Kläger ordnungsgemäß über sein Widerspruchrecht belehrt worden sei und eine vollständige Verbraucherinformation erhalten habe. Ergänzend hat es angenommen, der erklärte Widerspruch sei "zumindest verwirkt gemäß § 242 BGB ". Dabei hat es eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung und eine vollständige Verbraucherinformation vorausgesetzt. Dies ergibt sich aus seinen weiteren Ausführungen, die Beklagte habe den Kläger über das bestehende Widerspruchsrecht belehrt, ihr sei das Berufen auf den Einwand der Verwirkung "daher nicht verwehrt". Die letztgenannte Erwägung trägt die Klageabweisung hier nicht unabhängig von der Annahme einer ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung und einer vollständigen Verbraucherinformation.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann einem Versicherungsnehmer die Geltendmachung eines Widerspruchsrechts und sein Verlangen nach Rückabwicklung des Vertrages nach Treu und Glauben verwehrt sein. Dies gilt in erster Linie für den ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer, der sich treuwidrig verhält, wenn er nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglichkeit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen jahrelang durchführte und erst dann von dem Versicherer, der auf den Bestand des Vertrages vertrauen durfte, unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Vertrages Rückzahlung aller Prämien verlangt (vgl. Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 34 ff.; st. Rspr.). In Fällen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Widerspruchsbelehrung oder einer fehlenden oder unvollständigen Verbraucherinformation kann die Geltendmachung des Widerspruchsrechts nur ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind (vgl. Senatsurteil vom 26. September 2018 - IV ZR 304/15, r+s 2018, 647 Rn. 23; Senatsbeschluss vom 27. September 2017 - IV ZR 506/15, NJW-RR 2018, 161 Rn. 15; Senatsurteil vom 1. Juni 2016 - IV ZR 482/14, VersR 2017, 275 Rn. 24; jeweils m.w.N.). Einen solchen Fall hat das Landgericht erkennbar nicht angenommen, da es auch im Zusammenhang mit der Verwirkung darauf abgestellt hat, die Beklagte habe den Kläger über das Widerspruchsrecht belehrt. Mit Blick darauf genügte es, dass sich der Kläger in seiner Berufungsbegründung nur gegen die Annahme des Landgerichts gewandt hat, er sei über sein Widerspruchsrecht ordnungsgemäß belehrt worden und habe eine vollständige Verbraucherinformation erhalten.

3. Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist die angefochtene Entscheidung daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Vorinstanz: LG Osnabrück, vom 11.01.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 9 O 1348/18
Vorinstanz: OLG Oldenburg, vom 25.04.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 5 U 45/19
Fundstellen
NJW-RR 2020, 914