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BGH - Entscheidung vom 24.08.2020

XIII ZB 75/19

Normen:
AufenthG § 62
AufenthG § 2 Abs. 15
AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 1
AufenthG § 50 Abs. 4
AufenthG § 11 Abs. 1
AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
FamFG § 26
Dublin-III-VO Art. 25 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 24.08.2020 - Aktenzeichen XIII ZB 75/19

DRsp Nr. 2020/15879

Rechtsbeschwerde des Betroffenen in einem Verfahren zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sicherungshaft nach einer gescheiterten Abschiebung; Anordnung der Abschiebung nach Italien nach Maßgabe der Dublin-III-VO; Anordnung der Haft zur Sicherung der Überstellung des Betroffenen nach Italien

Ein konkreter Anhaltspunkt für erhebliche Fluchtgefahr kann darin liegen, dass sich der Ausländer bereits in der Vergangenheit einem behördlichen Zugriff entzogen hat, indem er seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht nicht nur vorübergehend gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Dasselbe gilt, wenn der Ausländer, um sich der bevorstehenden Abschiebung zu entziehen, konkrete Vorbereitungshandlungen von vergleichbarem Gewicht vorgenommen hat, die nicht durch Anwendung unmittelbaren Zwangs überwunden werden können.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Detmold vom 14. Februar 2019 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Detmold vom 19. Dezember 2016 den Betroffenen in der Zeit vom 19. Dezember 2016 bis zu seiner Überstellung nach Italien am 16. Januar 2017 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Kreis Lippe auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 62 ; AufenthG § 2 Abs. 15 ; AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 1 ; AufenthG § 50 Abs. 4 ; AufenthG § 11 Abs. 1 ; AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 ; FamFG § 26 ; Dublin-III-VO Art. 25 Abs. 2;

Gründe

I. Der Betroffene, ein malischer Staatsangehöriger, reiste am 21. September 2014 unerlaubt aus Italien nach Deutschland ein und stellte hier am 9. Oktober 2014 einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (fortan: Bundesamt) stellte bei einer Recherche im EURODAC-Register fest, dass der Betroffene in Italien bereits einen Schutzantrag gestellt hatte, und richtete an Italien am 3. November 2014 ein Übernahmeersuchen nach der VO (EU) Nr. 604/2013 (fortan: Dublin-III-VO), auf das die italienischen Behörden bis zum 4. Januar 2015 nicht antworteten. Aufgrund der nach Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO anzunehmenden Annahme des Aufnahmegesuchs lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 9. Februar 2015 den Asylantrag des Betroffenen als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Italien nach Maßgabe der Dublin-III-VO an. Die dagegen erhobene Klage des Betroffenen hatte bei dem Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Seine Berufung wies das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 16. August 2016 zurück.

Das Bundesamt erteilte am 23. August 2016 gemäß den Regelungen der Dublin-III-VO das (EU-)Laissez-Passer für den Betroffenen. Ein Versuch, den Betroffenen am 20. Oktober 2016 nach Italien zu überstellen, scheiterte daran, dass dieser in den frühen Morgenstunden dieses Tages (1:30 Uhr) nicht in der ihm zugewiesenen Asylbewerberunterkunft angetroffen wurde. Da der Betroffene auch an den Folgetagen nicht in der Unterkunft erschien, wurde er abgemeldet und zur Fahndung ausgeschrieben. Als er am 18. Dezember 2016 bei der Ausländerbehörde vorsprach, um seine ausländerrechtliche Duldung verlängern zu lassen, wurde er festgenommen.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 19. Dezember 2016 Haft zur Sicherung der Überstellung des Betroffenen nach Italien bis einschließlich 22. Januar 2017 angeordnet. Die - nach seiner Überstellung nach Italien am 16. Januar 2017 mit einem Antrag auf Feststellung einer Verletzung seiner Rechte durch die Haftanordnung fortgeführte - Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt.

II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hält die Haftanordnung, der auch ein zulässiger Haftantrag zugrunde liege, für rechtmäßig. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Es habe auch ein Haftgrund vorgelegen. Dieser bestimme sich zwar, anders als das Amtsgericht meine, nicht nach § 62 AufenthG , sondern nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO i.V.m. § 2 Abs. 15 AufenthG (aF). Das sei aber unschädlich, da die maßgeblichen Kriterien identisch seien. Hier habe der konkrete Anhaltspunkt für erhebliche Fluchtgefahr nach § 2 Abs. 15 und Abs. 14 Nr. 1 AufenthG (aF) vorgelegen. Es habe die erhebliche Gefahr bestanden, dass der Betroffene erneut versuchen werde, sich seiner Abschiebung durch Flucht zu entziehen. Der Versuch der beteiligten Behörde, den Betroffenen am 20. Oktober 2016 nach Italien zu überstellen, sei daran gescheitert, dass die Mitarbeiter der Behörde den Betroffenen in der zugewiesenen Asylbewerberunterkunft nicht angetroffen hätten, weil dieser vermutlich von einem Mitarbeiter einer Flüchtlingshilfeorganisation, der kurz zuvor die Ausländerakte des Betroffenen eingesehen habe, einen Hinweis auf die für diesen Tag vorgesehene Abschiebung erhalten habe. Seine Abwesenheit in der Asylbewerberunterkunft habe der Betroffene nicht in glaubhafter Form entschuldigt. Seine Behauptung, er habe sich einen Monat lang bei einem Freund in Dortmund aufgehalten, weil er krank gewesen sei, entschuldige - die Richtigkeit seines Vorbringens unterstellt - nicht den Verstoß gegen § 50 Abs. 4 AufenthG . Das Verhalten des Betroffenen zeige, dass er offensichtlich nicht gewillt gewesen sei, seiner Ausreisepflicht freiwillig nachzukommen. Daran ändere auch die freiwillige Meldung des Betroffenen bei der beteiligten Behörde am 18. Dezember 2016 nichts. Denn diese Meldung habe allein darauf beruht, dass der Betroffene ohne eine Verlängerung der Duldung durch die Ausländerbehörde keinen Zugang mehr zu der Asylbewerberunterkunft und zu weiteren Sozialleistungen erhalten habe. Es habe damit eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestanden, dass der Betroffene erneut versuchen würde, sich einem weiteren Abschiebungsversuch zu entziehen.

2. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Haftanordnung des Amtsgerichts beruhte zwar auf einem zulässigen Haftantrag. Der festgestellte Sachverhalt trägt die Haftanordnung aber nicht.

a) Das ergibt sich allerdings entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht schon daraus, dass sich weder das Amtsgericht noch das Beschwerdegericht mit der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots befasst haben.

aa) Zwar war das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach dem hier noch maßgeblichen § 11 Abs. 1 AufenthG aF gesetzliche Folge der Abschiebung oder Überstellung und der diesen Maßnahmen jeweils zugrunde liegenden Verwaltungsentscheidungen und seine Befristung so rechtzeitig mitzuteilen, dass der Betroffene noch vor der Abschiebung oder Überstellung Rechtsschutz gegen die Befristung veranlassen konnte (BGH, Beschlüsse vom 16. September 2015 - V ZB 194/14, NVwZ 2016, 549 Rn. 5, und vom 29. Juni 2017 - V ZB 40/16, InfAuslR 2017, 450 Rn. 18). Das war vor der hier zu beurteilenden Überstellung des Betroffenen nach Italien am 16. Januar 2017 nicht geschehen. Voraussetzung für die Anordnung von Sicherungshaft war die vorherige Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots aber nur in dem - hier nicht gegebenen - Sonderfall, dass die Sicherungshaft allein auf dem Haftgrund der unerlaubten Einreise nach dem heutigen § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG und die unerlaubte Einreise ihrerseits allein auf einem Verstoß gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot beruhte (BGH, Beschlüsse vom 8. Januar 2014 - V ZB 137/12, NVwZ 2014, 1111 Rn. 8, 13 , und vom 16. September 2015 - V ZB 194/14, NVwZ 2016, 549 Rn. 8). In allen anderen Fallgestaltungen war die rechtzeitige Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ein mögliches Abschiebungs- oder Überstellungshindernis (BGH, Beschlüsse vom 29. Juni 2017 - V ZB 40/16, InfAuslR 2017, 450 Rn. 19, und vom 13. September 2018 - V ZB 145/17, juris Rn. 13).

bb) Eine amtswegige Aufklärung gemäß § 26 FamFG durch den Haftrichter ist nur veranlasst, wenn greifbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Befristung erfolgen soll und ihre Vornahme die plangemäße Durchführung der Abschiebung oder Überstellung zu gefährden droht. Bleibt die Behörde - wie im Ergebnis hier - untätig und unternimmt der Betroffene in dieser Hinsicht - wie ebenfalls hier - nichts, sind Ermittlungen zur Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2017 - V ZB 40/16, InfAuslR 2017, 450 Rn. 19).

b) Der festgestellte Sachverhalt ergibt aber den Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO weder in Verbindung mit dem von den Vorinstanzen angenommenen konkreten Anhaltspunkt des nicht angezeigten Aufenthaltswechsels (§ 2 Abs. 15 u. Abs. 14 Nr. 1 AufenthG aF) noch in Verbindung mit den nach dem Sachverhalt noch in Betracht zu ziehenden - und im Rechtsbeschwerdeverfahren berücksichtigungsfähigen (BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2016 - V ZB 13/16, juris Rn. 4, und vom 11. Januar 2018 - V ZB 28/17, InfAuslR 2018, 184 Rn. 10) - konkreten Anhaltspunkten der Entziehung in sonstiger Weise (§ 2 Abs. 15 u. Abs. 14 Nr. 6 AufenthG aF) und des vorzeitigen Verlassens des Erstaufnahmestaats (§ 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG aF).

aa) Nach § 2 Abs. 15 und Abs. 14 Nr. 1 AufenthG aF kann ein konkreter Anhaltspunkt für erhebliche Fluchtgefahr im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO darin liegen, dass sich der Ausländer bereits in der Vergangenheit einem behördlichen Zugriff entzogen hat, indem er seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht nicht nur vorübergehend gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Diese Voraussetzungen sind nicht festgestellt.

(1) Es fehlt schon an einem nicht nur vorübergehenden Wechsel des Aufenthaltsorts. Festgestellt ist nur, dass der Betroffene im zeitlichen Zusammenhang mit dem zweiten Versuch, ihn nach Italien zu überstellen, am 20. Oktober 2016 nicht in seiner Unterkunft, sondern - nach seiner Behauptung - bei einem Freund in Dortmund war. Das genügt aber für die Annahme eines nicht nur vorübergehenden Aufenthaltswechsels nicht. Der Betroffene hat sich bis auf den mit einem Besuch bei einem Freund erklärten Zeitraum im Bereich der beteiligten Behörde aufgehalten. Er war bei dem ersten, aus technischen Gründen, gescheiterten Abschiebungsversuch am 19. September 2016 anwesend und hat den Termin zur Vorsprache bei der beteiligten Behörde am 13. Oktober 2016 eingehalten, sein Fehlen bei der Vorsprache vom 10. November 2016 durch einen Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe mit Krankheit entschuldigen lassen und sich am 19. Dezember 2016 wieder von sich aus bei der beteiligten Behörde gemeldet. Woraus sich ergeben soll, dass die von dem Betroffenen mit dem Besuch bei einem Freund erklärte Ortsabwesenheit in Wirklichkeit kein Besuch, sondern ein nicht nur vorübergehender Aufenthaltswechsel war, ist nicht festgestellt.

(2) Die Nichtanzeige eines nicht nur vorübergehenden Aufenthaltswechsels kann nach § 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG aF ("trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht") ein konkreter Anhaltspunkt für erhebliche Fluchtgefahr im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO nur sein, wenn der Betroffene zuvor darauf hingewiesen worden ist, dass ein Verstoß gegen die ausländerrechtliche Meldeund Anzeigepflicht auch die Anordnung von Abschiebungs- oder Überstellungshaft zur Folge haben kann. Ein solcher Hinweis muss in Anlehnung an die Recht-sprechung des Bundesgerichtshofs zu dem früheren Haftgrund für Abschiebungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG aF (BGH, Beschluss vom 14. Januar 2016 - V ZB 178/14, FGPrax 2016, 87 Rn. 8) in einer Sprache abgefasst sein, die der Betroffene beherrscht. Das ist nicht festgestellt.

(a) Der erforderliche Hinweis erfolgte nach Ansicht der beteiligten Behörde in dem Formular, das der Betroffene bei Erteilung der Duldung vom 13. Oktober 2016 unterzeichnet hat. Sowohl die Verfügung über die Erteilung der Duldung als auch dieses Formular genügen schon inhaltlich nicht den Anforderungen. Die Verpflichtung zur Anzeige eines Aufenthaltswechsels wird weder in der Verfügung selbst noch in dem Belehrungsformular erwähnt. Die Verfügung ist im Gegenteil sogar irreführend. In der Verfügung wird nämlich ausdrücklich festgehalten, dass ein vorübergehender Aufenthalt im Bundesgebiet auch ohne besondere Erlaubnis gestattet sei. Ein entsprechender Vermerk hat sich auch auf Duldungsausweisen befunden, die dem Betroffenen für die früheren Duldungen erteilt wurden. Aus diesen beiden Unterlagen wird jedenfalls nicht klar, dass ein Aufenthaltswechsel die Anordnung von Haft zur Sicherung einer Abschiebung oder Überstellung zur Folge haben kann. Dass dem Betroffenen bei anderer Gelegenheit ein inhaltlich ausreichender Hinweis erteilt worden ist, hat die beteiligte Behörde nicht vorgetragen und haben die Haftgerichte nicht festgestellt.

(b) Unzutreffend ist auch die Annahme der beteiligten Behörde, es habe keiner Übersetzung bedurft, weil der Betroffene Deutsch beherrsche. Sie bezieht sich dazu auf ein Schreiben des Ausländeramts an das Sozialamt der beteiligten Behörde vom 16. August 2016, in welchem von Seiten des Ausländeramtes festgehalten wird, dass der Betroffene so viel Deutsch versteht, dass ihm die Maßnahme erläutert werden kann. Daraus ergibt sich aber nicht, dass der Betroffene die deutsche Sprache "beherrscht". Das entspricht auch der Beurteilung der beteiligten Behörde selbst. Diese hat nämlich ihren Haftantrag mit der Feststellung eingeleitet, die Hinzuziehung eines Dolmetschers für die französische Sprache sei erforderlich. Deshalb hat die Haftrichterin auch einen Dolmetscher für die französische Sprache zu der persönlichen Anhörung des Betroffenen hinzugezogen.

bb) Ein konkreter Anhaltspunkt für erhebliche Fluchtgefahr im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO kann nach § 2 Abs. 15 und Abs. 14 Nr. 6 AufenthG aF auch darin zu sehen sein, dass der Ausländer, um sich der bevorstehenden Abschiebung zu entziehen, sonstige konkrete Vorbereitungshandlungen von vergleichbarem Gewicht vorgenommen hat, die nicht durch Anwendung unmittelbaren Zwangs überwunden werden können. Eine solche Vorbereitungshandlung kann auch darin liegen, dass sich der Ausländer vorüber-gehend verborgen hält, um einen unangekündigten Abschiebungsversuch zu vereiteln (BGH, Beschlüsse vom 4. April 2019 - V ZB 33/18, InfAuslR 2019, 294 Rn. 5, vom 11. April 2019 - V ZB 105/18, NVwZ-RR 2019, 752 [Ls.] = juris Rn. 5, und vom 20. Mai 2020 - XIII ZB 71/19, juris Rn. 13).

(1) Diesen konkreten Anhaltspunkt für erhebliche Fluchtgefahr hat die Haftrichterin, wie sich aus der - wenn auch nach § 2 Abs. 15 Satz 1 AufenthG aF unzulässigen - Bezugnahme auf den Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG aF ergibt, der Sache nach annehmen wollen. Die getroffenen Feststellungen tragen ihn aber nicht.

(2) Festgestellt ist insoweit nur, dass der Betroffene am frühen Morgen des 20. Oktober 2016 nicht in der ihm zugewiesenen Unterkunft anzutreffen war. Daraus allein ergibt sich aber die erforderliche Absicht des Betroffenen nicht, durch die Abwesenheit von der Unterkunft seine Überstellung nach Italien zu vereiteln. Das setzt die Kenntnis des Abschiebungstermins oder zumindest voraus, dass der Betroffene im Zeitpunkt seiner Abwesenheit von der Unterkunft mit einer Abschiebung oder Überstellung rechnet (vgl. dazu: Senat, Beschluss vom 20. Mai 2020 - XIII ZB 71/19, juris Rn. 16). Eine Kenntnis des Betroffenen von dem Überstellungstermin konnte sich nur aus der bereits erwähnten Mutmaßung der beteiligten Behörde ergeben, der Mitarbeiter einer Flüchtlingshilfeorganisation, dem sie zwei Tage vor dem Überstellungstermin Einsicht in die Ausländerakte des Betroffenen gewährt hatte, aus der sich der Überstellungstermin ergab, habe den Termin dem Betroffenen verraten. Dieser Mutmaßung hätte das Amtsgericht indessen nach § 26 FamFG nachgehen und dazu jedenfalls den namentlich benannten Mitarbeiter der Flüchtlingshilfeorganisation als Zeugen vernehmen müssen. Daran fehlt es. Das Amtsgericht hat die Mutmaßung der beteiligten Behörde nicht überprüft.

cc) Ein konkreter Anhaltspunkt für erhebliche Fluchtgefahr ergab sich nach dem festgestellten Sachverhalt auch nicht aus § 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG aF. Zwar durfte die beteiligte Behörde von der Richtigkeit des Ergebnisses der Abfrage des Bundesamts im EURODAC-Register und von der Richtigkeit dieser Eintragungen ausgehen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 11. Januar 2018 - V ZB 28/17, InfAuslR 2018, 184 Rn. 15). Der Haftgrund nach § 2 Abs. 15 Satz 2 AufenthG aF greift aber nur, wenn die Auffindesituation des Betroffenen die Erwartung rechtfertigt, er werde nicht in den Erstaufnahmestaat - hier Italien - zurückkehren (BGH, Beschlüsse vom 25. Februar 2016 - V ZB 157/15, FGPrax 2016, 140 Rn. 17 f., vom 11. Januar 2018 - V ZB 28/17, InfAuslR 2018, 184 Rn. 20, und vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 81/19, z. Veröff. best.; vgl. jetzt auch § 2 Abs. 14 Satz 2 Nr. 1 AufenthG , der jetzt ein entsprechendes Tatbestandsmerkmal enthält). Das ergibt der festgestellte Sachverhalt nicht.

c) Der Senat kann abschließend entscheiden, da der Haftzeitraum abgelaufen ist und ergänzende Feststellungen nicht zu einer rückwirkenden Heilung führen könnten.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 2 FamFG . Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Detmold, vom 19.12.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 23 XIV(B) 327/16
Vorinstanz: LG Detmold, vom 14.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 3 T 14/17