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BGH - Entscheidung vom 18.02.2020

X ZR 33/18

Normen:
PatG § 1
PatG § 3

BGH, Urteil vom 18.02.2020 - Aktenzeichen X ZR 33/18

DRsp Nr. 2020/7184

Patentfähigkeit eines Dreirads mit zwei Steuermodi; Offenbarung im Rahmen des Stands der Technik

Die Verteidigung mit einem im Patentverfahren beanspruchten Merkmal ist unzulässig, wenn die betreffende Partei bereits in erster Instanz Anlass hatte, den verteidigten Gegenstand zumindest hilfsweise in entsprechender Weise zu beschränken.

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 9. November 2017 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Normenkette:

PatG § 1 ; PatG § 3 ;

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 637 917 (Streitpatents), das am 8. August 2012 unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom 12. August 2011 angemeldet wurde. Das Streitpatent betrifft ein Dreirad mit zwei Steuermodi. Patentanspruch 1, auf den sieben weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

"1. A tricycle (800, 810) operable between a first mode of operation steerable by a tricycle rider, and a second mode of operation steerable by an individual pushing the tricycle, the tricycle comprising:

a pair of rear wheels (400);

a front wheel (100) having opposing sides and a front wheel axis;

a head tube (707);

a frame (700) configured to rotatably support the rear wheels (400) and configured to support the head tube (707);

a pair of pedals (141, 142), each pedal configured for connection about the front wheel axis to rotate the front wheel (100);

a fork (133) having at least one blade (130, 131) configured to support the front wheel (100) in a manner permitting the front wheel (100) to rotate about the front wheel axis;

a stem (305) configured to extend from the head tube (707) in a manner permitting the stem (305) to rotate, the stem (305) including a rod having a minimum diameter that is at least three times smaller than a width of the front wheel (100);

a rider handle (200), configured to turn the fork (133) about a stem axis extending transverse to the front wheel axis, the rider handle in the first mode being configured to be rotationally coupled with the stem (305) in a manner permitting a tricycle rider to exert forces on the rider handle (200) and thereby turn the fork (133), and the rider handle (200) in the second mode, where the stem axis leads the front wheel axis, being configured to be rotationally uncoupled from the stem (305), preventing forces on the rider handle (200) from turning the fork (133) and permitting the individual pushing the tricycle to turn the fork (133) via pushing force; and

wherein the stem (305) extends from the fork (133) at an angle of between about 165 degrees and 179 degrees and wherein an offset distance between the stem axis and the front wheel axis is between 15 mm and 40 mm."

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Schutzrechts sei nicht patentfähig. Zudem offenbare das Streitpatent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit zwei Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie das Streitpatent mit den erstinstanzlichen Anträgen und drei weiteren Hilfsanträgen verteidigt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

I. Das Streitpatent betrifft ein Dreirad mit zwei Steuermodi.

1. In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, im Stand der Technik seien Dreiräder bekannt, die sowohl durch einen Fahrer angetrieben als auch von einem Dritten geschoben werden könnten. Solche Vorrichtungen verfügten zuweilen über einen mechanischen Lenkmechanismus, der es dem Dritten ermögliche, das Vorderrad zu drehen. Die französischen Patentschriften 2 955 080 (D1) und 2 930 929 (D2) offenbarten ein Dreirad mit einem Kupplungssystem, das es ermögliche, die Lenkstange von der Gabel zu entkoppeln.

2. In der Streitpatentschrift wird nicht ausgeführt, welches technische Problem die Erfindung betrifft. Vor dem aufgezeigten Hintergrund geht es darum, ein Dreirad zur Verfügung zu stellen, das einen möglichst zweckmäßigen Einsatz in beiden genannten Fahrmodi ermöglicht.

Nach Auffassung der Berufung soll es zusätzlich als Teil der Aufgabe anzusehen sein, ein Dreirad bereitzustellen, das einen Wechsel zwischen den beiden Modi ermögliche, ohne dass der Rahmen verstellt werden müsse.

Dies geht schon deshalb fehl, weil es sich bei dem von der Berufung geltend gemachten Vorteil allenfalls um einen Teil der Lösung handelt. Unabhängig davon zeigt die Streitpatentschrift die Möglichkeit des Moduswechsels ohne Verstellung des Rahmens nur als optionales Merkmal bei der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels auf. In den erstinstanzlich verteidigten Fassungen von Patentanspruch 1 hat dieses Merkmal keinen Niederschlag gefunden.

3. Zur Lösung schlägt das Streitpatent in der erteilten Fassung eine Vorrichtung vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (die abweichende Gliederung des Patentgerichts ist in eckigen Klammern wiedergegeben):

1.

Das Dreirad kann gefahren werden [M1]:

1.1

in einem ersten Modus, in dem die Lenkung durch den Fahrer erfolgt [M1.1],

1.2

in einem zweiten Modus, in dem die Lenkung durch einen Dritten erfolgt, der das Dreirad schiebt [M1.1].

2.

Das Dreirad umfasst:

2.1

ein Paar Hinterräder 400 [M2],

2.2

ein Vorderrad 100, das gegenüberliegende Seiten und eine Vorderradachse aufweist [M3],

2.3

ein Steuerrohr 707 [M4],

2.4

einen Rahmen 700, der so ausgestaltet ist, dass er die Hinterräder 400 drehbar und das Steuerrohr stützt [M5],

2.5

zwei Pedale 141, 142, die mit der Vorderradachse verbunden sind, um das Vorderrad 100 zu drehen [M6],

2.6

eine Gabel 133, die mindestens eine Gabelscheide 130, 131 aufweist und das Vorderrad 100 dergestalt aufnimmt, dass dieses sich um die Vorderradachse drehen kann [M7],

2.7

einen Schaft 305 [M8],

2.7.1

mit einer Schaftachse

2.7.1.1

die sich quer zur Vorderradachse erstreckt [M8.1] und

2.7.1.2

sich vom Steuerrohr 707 so erstreckt, dass der Schaft sich drehen kann [M8.2],

2.7.2

mit einer Stange, die einen Mindestdurchmesser aufweist, der mindestens dreimal kleiner ist als die Breite des Vorderrads 100 [M8.3],

2.7.3

der sich von der Gabel 133 in einem Winkel von 165 Grad bis 179 Grad erstreckt [M8.4],

2.7.4

wobei der Versatzabstand zwischen der Schaftachse und der Vorderradachse 15 mm bis 40 mm beträgt [M8.5],

2.8

eine Lenkstange 200 [M9], die

2.8.1

beschaffen ist, die Gabel 133 um eine Schaftachse zu drehen, die sich quer zur Vorderradachse erstreckt [M9.1],

2.8.2

im ersten Fahrmodus rotationsmäßig mit dem Schaft 305 dergestalt gekoppelt ist, dass der Dreiradfahrer Kraft auf die Lenkstange 200 ausüben und dadurch die Gabel 133 drehen kann [M9.2],

2.8.3

im zweiten Fahrmodus entkoppelt ist und die Schaftachse die Vorderradachse so führt, dass der Dritte, der das Dreirad schiebt, die Gabel 133 über die Schubkraft drehen kann [M9.3].

4. Einige Merkmale bedürfen näherer Betrachtung.

a) Merkmal 2.7.2 definiert abweichend von dem insoweit missverständlichen Wortlaut des Patentanspruchs keinen Mindestdurchmesser in dem Sinne, dass ein bestimmter Wert nicht unterschritten werden darf, sondern den Durchmesser, den die Stange in einem Bereich innerhalb des Steuerrohrs 707 aufweist.

aa) Der Mindestdurchmesser dient nach der Beschreibung des Streitpatents dem Zweck, die Reibung so zu verringern, dass beim Schieben des Dreirads von hinten die Lenkkontrolle erleichtert wird (Abs. 24 Z. 42-44). Zu diesem Zweck wird ein möglichst geringer Durchmesser als besonders vorteilhalft bezeichnet, insbesondere wenn er im Bereich der Drehführung der Schaftverbindung verortet sei (Abs. 24 Z. 51-54).

Daraus ergibt sich, dass das in Merkmal 2.7.2 definierte Vergleichsmaß von einem Drittel der Breite des Vorderrads 100 keine Untergrenze darstellt, sondern eine Obergrenze, die der Durchmesser der Stange an der betreffenden Stelle nicht überschreiten darf.

bb) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ergeben sich dadurch mittelbar auch Vorgaben für den Bereich, in dem die Stange den in Rede stehenden Durchmesser aufweisen muss.

Patentanspruch 1 enthält dazu zwar keine ausdrücklichen Festlegungen. Aus der auf Merkmal 2.7.2 bezogenen Funktionsangabe in der Beschreibung ergibt sich aber, dass die Stange den maßgeblichen Durchmesser jedenfalls auch in einem Bereich aufweisen muss, in dem damit eine nennenswerte Verringerung der Reibung erzielt werden kann. Ein abweichendes Verständnis, wonach es ausreichen würde, wenn die Stange an irgendeiner beliebigen Stelle den relevanten Durchmesser aufweist, würde diesem Funktionszusammenhang nicht gerecht.

Das Patentgericht hat allerdings zu Recht entschieden, dass Patentanspruch 1 nicht festlegt, dass der Durchmesser ausschließlich in dem danach maßgeblichen Bereich vorhanden sein darf, in dem Reibung auftreten kann, oder dass sich der Durchmesser über die gesamte Länge dieses Bereichs erstrecken muss. Insoweit bleibt die konkrete Ausgestaltung dem Fachmann überlassen.

b) Der in Merkmal 2.7.3 definierte Winkel von 165 bis 179 Grad wird nach den hierauf bezogenen Ausführungen in der Beschreibung durch die mit a und b bezeichneten Zentralachsen des Schafts und der Gabel gebildet (Abs. 28). In der an dieser Stelle in Bezug genommenen Figur 4 a wird dies wie folgt dargestellt:

Bei dem in dieser Figur dargestellten Ausführungsbeispiel führt der beschriebene Winkel dazu, dass die Achse b sich nicht mit der senkrecht dazu verlaufenden Vorderradachse c schneidet, sondern einen Versatz y aufweist, dessen Abstand nach Merkmal 2.7.4 im Bereich von 15 bis 40 mm liegt. Dieser Versatz y ist in Figur 4 b veranschaulicht.

Nach der Beschreibung wird die Möglichkeit, das Dreirad von hinten zu steuern, umso mehr eingeschränkt, je geringer der Abstand y bei ansonsten gleichen Abmessungen ist (Abs. 29 Z. 15-17). Nach den Feststellungen des Patentgerichts wird der für die Lenkeigenschaften des Vorderrads ausschlaggebende Nach- bzw. Vorlauf nicht allein durch den Abstand y bestimmt, sondern auch durch den Durchmesser des Vorderrads und den Neigungswinkel der Schaftachse.

c) Entgegen der Auffassung der Berufung ergibt sich aus den Merkmalen 2.7.3 und 2.7.4 nicht, dass die Gabel geradlinig verlaufen muss.

Ein solcher Verlauf ist zwar in den Figuren 4 a und 4 b dargestellt. Zu Recht hat das Patentgericht insoweit aber die Ausführungen in der Beschreibung als maßgeblich angesehen, wonach die Gabelscheiden jegliche Struktur und Ausgestaltung aufweisen können (Abs. 21 Z. 13-15). Schon in diesem Zusammenhang nimmt die Beschreibung auf Figur 4 a Bezug und bezeichnet die dort dargestellte Ausführung als beispielhaft (Abs. 21 Z. 3-5). In den Ausführungen zu Figur 4 b wird in Einklang damit ausgeführt, die dort dargestellte Geometrie sei exemplarisch für eine Konfiguration, die eine Steuerung im zweiten Modus ermögliche (Abs. 29 Z. 22-25).

Die Zentralachse der Gabel, die nach der Beschreibung für die Bestimmung des in Merkmal 2.7.3 definierten Winkels zwischen Schaft und Gabel heranzuziehen ist, muss angesichts dessen nicht zwingend in gleicher Richtung verlaufen wie die Gabel selbst. Wenn die Gabel einen gebogenen oder einen in sonstiger Weise von einer Geraden abweichenden Verlauf aufweist, ist die Zentralachse vielmehr, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, anhand der virtuellen Verbindungslinie zwischen dem oberen Ende der Gabel und der Vorderradachse zu bestimmen.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei dem Fachmann ausgehend von D2 nahegelegt gewesen. D2 offenbare alle Merkmale mit Ausnahme der geometrischen Maßangaben. Diese könnten eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen, da sie sich in Maßnahmen erschöpften, die zu den routinemäßigen Aufgaben des Fachmanns gehörten. Entsprechendes gelte für die mit den erstinstanzlichen Hilfsanträgen verteidigten Gegenstände.

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.

1. Der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 ist durch D2 nahegelegt.

a) In D2 sind jedenfalls die Merkmale 1 bis 2.7 sowie die Merkmalsgruppen 2.7.1 und 2.8 offenbart.

aa) D2 offenbart ein Dreirad, das wahlweise mittels des Lenkers oder mittels einer hinter dem Sitz angebrachten Stange gesteuert werden kann.

Um dies zu ermöglichen, ist eine verschiebbare Kupplung 40 vorgesehen, mit der die drehfeste Verbindung zwischen Lenker 10 und Schaft 23 wahlweise hergestellt oder gelöst werden kann. Wenn diese Verbindung gelöst ist und das Dreirad mittels der Stange geschoben wird, ändert sich die Stellung des Vorderrads von der in Figur 1 in die in Figur 5 dargestellte Position.

Um den zweiten Modus zu ermöglichen, können zwei am Rahmen 110 angebrachte Rohre 111 durch Betätigen des im mittleren Bereich angeordneten Hebels 72 nach hinten bewegt und dort arretiert werden. Hierdurch wird zugleich die Kupplung 40 gelöst.

bb) Damit sind die Merkmale von Patentanspruch 1 jedenfalls insoweit offenbart, als es nicht um die Abmessungen gemäß den Merkmalen 2.7.2, 2.7.3 und 2.7.4 [M8.3, M8.4 und M8.5] geht.

b) Ob die zuletzt genannten Merkmale ebenfalls in D2 offenbart sind, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn zugunsten der Beklagten unterstellt wird, dass diese Frage zu verneinen ist, war der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1, wie das Patentgericht zu Recht entschieden hat, dem Fachmann ausgehend von D2 nahegelegt.

Nach den Feststellungen des Patentgerichts ergab sich für den Fachmann aus D2, dass das Vorderrad im zweiten Modus gesteuert werden kann, wenn es beim Schieben von einer vorlaufenden in eine nachlaufende Position wechseln kann, dass dieses Ziel erreichbar ist, wenn die Schaftachse so angeordnet ist, dass sie nicht mit der Gabelachse fluchtet, und dass darüber hinaus der Durchmesser des Vorderrads von Bedeutung ist.

Um diesen Vorgaben gerecht zu werden, ergab sich für den Fachmann zwar eine ganze Reihe von konkreten Ausgestaltungsmöglichkeiten. Ausgehend von D2 lag es für ihn aber nahe, den Schaft, der die Gabel mit der Lenkstange verbindet, so anzuordnen, dass er zu der Gabel in einem geringfügig von 180 Grad abweichenden Winkel verläuft, damit der erforderliche Versatz zur Gabelachse entsteht.

Entgegen der Auffassung der Berufung ergibt sich aus der beanspruchten Kombination mit dem in Merkmal 2.7.2 vorgesehenen geringen Durchmesser der Stange keine abweichende Beurteilung. Für den Fachmann mag die - für sich gesehen nicht überraschende - Überlegung, dass eine Verringerung der Reibung zwischen Schaft und Steuerrohr für den Wechsel zwischen der vor- und der nachlaufenden Position oder für die Steuerungsmöglichkeit bei nachlaufender Position zusätzliche Vorteile bieten kann, nicht im Vordergrund gestanden haben. Auch ohne besondere Berücksichtigung dieses Punkts hatte er aber Anlass, die Reibung an dieser Stelle auf ein für praktische Bedürfnisse brauchbares Maß zu reduzieren. Dafür mag es eine Reihe von unterschiedlichen Lösungsansätzen gegeben haben. Die Ausbildung eines geringen Durchmessers stellt sich aber als beliebige Auswahl unter verschiedenen in Betracht kommenden Möglichkeiten dar.

Aus dem beanspruchten Verhältnis zwischen dem Durchmesser der Stange und der Breite des Vorderrads ergibt sich ebenfalls keine abweichende Beurteilung. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Kraft, die aufgewendet werden muss, um das Vorderrad beim Anschieben des Dreirads um die Schaftachse zu drehen, mit zunehmender Breite des Rads ansteigt und es sich deshalb als vorteilhaft erweisen kann, diesen Effekt zur Verringerung der Reibung an der Schaftachse in gewissem Umfang auszugleichen. Dennoch bewegt sich auch diese Kombination innerhalb des Bereichs, aus dem der Fachmann ausgehend von D2 seine Auswahl für die konkrete Ausgestaltung und Bemaßung trifft.

Nach den Feststellungen des Patentgerichts ist mit der beanspruchten Kombination auch kein besonderer technischer Vorteil verbunden, der aus Sicht des Fachmanns am Prioritätstag nicht zu erwarten gewesen wäre. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Vollständigkeit oder Richtigkeit dieser Feststellung begründen, zeigt die Berufung nicht auf. Ihr Vorbringen, die Herbeiführung der Nachlauflenkfähigkeit durch Verringerung des Reibwiderstands sei überraschend gewesen, lässt solche Anhaltspunkte nicht erkennen.

2. Der mit Hilfsantrag I verteidigte Gegenstand ist ebenfalls nicht patentfähig.

a) Nach Hilfsantrag I soll Merkmal 2.7.3 wie folgt modifiziert werden:

2.7.3 H I  wobei das untere Ende des Schafts 305 mit dem oberenEnde der Gabel 133 derart verbunden ist, dass sich der Schaft 305 von der Gabel 133 die Schaftachse von der Gabelachse in einem Winkel x von etwa 165 Grad bis 179 Grad erstreckt 

b) Diese Änderungen führen, wie das Patentgericht zu Recht ausgeführt hat, schon deshalb nicht zu einer abweichenden Beurteilung, weil sie den Gegenstand des Streitpatents nicht in relevanter Weise einschränken.

Die zusätzliche Festlegung, dass der Winkel durch eine Verbindung zwischen dem unteren Ende des Schafts und dem oberen Ende der Gabel erzielt wird, deutet bei isolierter Betrachtung zwar darauf hin, dass der Übergang zwischen diesen beiden Elementen nicht geradlinig verlaufen darf. Durch die ausdrückliche Bezugnahme auf die Schaftachse und die Gabelachse als maßgebliche Bezugsobjekte für die Bestimmung des Winkels nimmt Patentanspruch 1 aber auch in dieser Fassung auf die bereits oben aufgezeigten Ausführungen in der Beschreibung Bezug, die einerseits die Gabelachse als Verbindung zwischen dem oberen Ende der Gabel und der Vorderradachse beschreiben und andererseits jede beliebige jegliche Struktur und Ausgestaltung für die Gabelscheiden zulassen.

c) Selbst wenn das geänderte Merkmal dahin zu verstehen wäre, dass am Übergang zwischen Schaft und Gabel zwingend eine Richtungsänderung mit einem Winkelmaß innerhalb des beanspruchten Bereichs auftreten muss, führte dies im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine solche Ausgestaltung im Stand der Technik offenbart war. Aus den bereits oben wiedergegebenen Feststellungen des Patentgerichts ergibt sich jedenfalls, dass die Form der Gabel für die Vor- und Nachlaufeigenschaften keine ausschlaggebende Bedeutung hat, sondern dass diese im Wesentlichen durch den Versatzabstand zwischen Schaftachse und Vorderradachse, den Durchmesser des Vorderrads und den Neigungswinkel der Schaftachse bestimmt werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich der Vorschlag, diese maßgeblichen Parameter dadurch zu beeinflussen, dass am Übergang zwischen Schaft und Gabel ein Richtungswechsel stattfindet, als eine beliebige technische Maßnahme dar. Dass diese Maßnahme gegenüber anderen in Betracht kommenden Gestaltungsmöglichkeiten besondere technische Vorteile bietet, ergibt sich aus dem Vorbringen der Berufung nicht.

3. Der mit Hilfsantrag II verteidigte Gegenstand ist ebenfalls nicht patentfähig.

a) Nach Hilfsantrag II soll zusätzlich zu den nach Hilfsantrag I vorgesehenen Änderungen das Merkmal 2.8.2 wie folgt modifiziert werden:

2.8.2 H I I  wobei im ersten Fahrmodus die Schaftachse der Vorder radachse folgt und die Lenkstange rotationsmäßig mit dem Schaft 305 dergestalt gekoppelt ist, dass der Dreiradfahrer Kraft auf die Lenkstange 200 ausüben und dadurch die Gabel 133 drehen kann 

b) Auch mit diesem zusätzlichen Merkmal ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 ausgehend von D2 nahegelegt.

Wie bereits im Zusammenhang mit der erteilten Fassung aufgezeigt wurde, ist in D2 offenbart, dass sich das Vorderrad im ersten Modus im Vorlauf und im zweiten Modus im Nachlauf befindet.

IV. Die in der Berufungsinstanz zusätzlich gestellten Hilfsanträge III bis V sind unzulässig.

1. Nach allen diesen Hilfsanträgen soll in Patentanspruch I zusätzlich zu den Änderungen gemäß den Hilfsanträgen I und II das Merkmal 2.4 wie folgt modifiziert werden:

2.4 H I I I  einen Rahmen 700, der so ausgestaltet ist, dass er die Hinterräder 400 drehbar und das Steuerrohr stützt,wobei der Abstand vom Steuerrohr zu den Hinterrädern nicht verstellbar ist 

2. Die Verteidigung mit diesem Merkmal ist gemäß § 117 Satz 1 und § 531 Abs. 2 ZPO unzulässig. Die Beklagte hatte bereits in erster Instanz Anlass, den verteidigten Gegenstand zumindest hilfsweise in entsprechender Weise zu beschränken.

Aus dem detaillierten Hinweis, den das Patentgericht gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilt hat, ergab sich, dass dieses den Gegenstand von Patentanspruch 1 als durch D2 in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen als nahegelegt ansah. Dies gab der Beklagten Anlass, das Streitpatent mit Hilfsanträgen zu verteidigen, wenn sie der Auffassung war, dass einzelne Details der Ausgestaltung die Patentfähigkeit begründen könnten.

Zu diesen Details gehört auch das nunmehr beanspruchte Merkmal, dass der Abstand zwischen Steuerrohr und Hinterrädern nicht verstellbar ist. Die Beklagte durfte nicht darauf vertrauen, dass das Patentgericht bereits die nach den Hilfsanträgen I und II vorgesehenen zusätzlichen Merkmale als ausreichend zur Bejahung der erfinderischen Tätigkeit ansehen würde. Sie hatte vielmehr Veranlassung, alle Modifikationen aufzuzeigen, die auf der Grundlage des erteilten Hinweises aus Ihrer Sicht zu einer anderen Beurteilung führen konnten.

Dass das Patentgericht im angefochtenen Urteil von seiner zuvor geäußerten Einschätzung abgerückt ist, die Merkmale 2.7.2, 2.7.3 und 2.7.4 [M8.3, M8.4 und M8.5] beträfen nur eine mosaikartige Zusammenstellung, und diese Merkmale deshalb als nahegelegt angesehen hat, weil sie nur in technisch üblicher Art und Weise zur Einstellung eines Nach- bzw. Vorlaufs beitragen, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Die Beklagte hatte aufgrund des Hinweises auch dann Anlass, alle aus ihrer Sicht schutzfähigen Modifikationen aufzuzeigen, wenn sie die Begründung des Patentgerichts für unzutreffend hielt, denn sie musste damit rechnen, dass das Patentgericht an seiner Auffassung festhalten würde. Unabhängig davon unterscheiden sich die Begründungen im Hinweis und im angefochtenen Urteil ohnehin nur in einzelnen Details.

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 18. Februar 2020

Vorinstanz: BPatG, vom 09.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 1 Ni 15/17 (EP)