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BGH - Entscheidung vom 27.08.2020

III ZR 105/19

Normen:
BeurkG § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2
BNotO § 19 Abs. 1 S. 2
BGB § 826
GG Art. 103 Abs. 1

Fundstellen:
NotBZ 2021, 175

BGH, Beschluss vom 27.08.2020 - Aktenzeichen III ZR 105/19

DRsp Nr. 2020/14155

Kenntnisnahme des Vortrags einer Partei durch das Gericht bzgl. des Nachweises des erforderlichen Schädigungsvorsatzes für eine Haftung wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung; Haftung des Notars i.R.e. Schadensersatzanspruchs bei Subsidiarität

Das Gericht ist verpflichtet, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß den Anspruch auf rechtliches Gehör lässt sich feststellen, wenn besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht beachtet worden ist. Solche Umstände liegen vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags eines Beteiligten zu einer zentralen Frage des Verfahrens in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird die Revision gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main - 4. Zivilsenat - vom 4. Juli 2019 zugelassen.

Der Beschluss wird gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des dritten Rechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 170.112,96 €

Normenkette:

BeurkG § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 ; BNotO § 19 Abs. 1 S. 2; BGB § 826 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Der Kläger nimmt den beklagten (früheren) Notar aus eigenem und aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau unter dem Vorwurf einer schuldhaften Verletzung des § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG (in der für den Streitfall maßgeblichen Fassung des Art. 25 Abs. 4 des OLG-Vertretungsänderungsgesetzes vom 23. Juli 2002, BGBl. I S. 2850 ) auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Beklagte beurkundete am 24. Oktober 2007 ein Kaufvertragsangebot des Klägers und seiner Ehefrau für den Kauf einer (zu sanierenden) Eigentumswohnung in Leipzig zu einem Kaufpreis in Höhe von insgesamt 99.053 €. Dieses Angebot nahm die Verkäuferin am 8. November 2007 an. Der Abgabe des Angebots war eine Beratung durch eine S. GmbH vorausgegangen, die dem Kläger und seiner Ehefrau die Immobilie zu Steuersparzwecken anbot.

Im Jahr 2015 erwirkte der Kläger eine Verurteilung der Verkäuferin zur Rückabwicklung des Kaufvertrags und Zahlung von Schadensersatz. Eine Vollstreckung scheiterte; die Verkäuferin war bereits während des Verfahrens im Handelsregister gelöscht worden. Auch die S. GmbH ist seit dem 13. August 2012 wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht.

Der Kläger hat behauptet, entgegen den beurkundeten Angaben im Kaufvertragsangebot hätten seine Ehefrau und er vor dem Termin bei dem Beklagten einen "Prospekt mit Kaufvertragsmuster" nicht erhalten; eine Belehrung über die Zweiwochenfrist sei nicht erfolgt. Bei entsprechender Belehrung hätten sie sich vom Mitarbeiter ihrer Hausbank beraten lassen, der ihnen vom Kauf abgeraten hätte; jedenfalls wäre diese Immobilie dann schon verkauft gewesen. Sie seien von dem Mitarbeiter der S. GmbH S. vor dem Beurkundungstermin durch die Behauptung, ein Rücktritt sei nicht mehr möglich, unter Druck gesetzt worden.

Mit der Klage begehrt der Kläger Schadensersatz in Höhe von 166.112,96 € (Darlehenskosten, Denkmalschutzgebühren, Hausgeldzahlungen und Kosten der Rechtsverfolgung gegen die Verkäuferin abzüglich Mieteinnahmen) Zug-um-Zug gegen Übertragung der Eigentumswohnung, Feststellung des Annahmeverzugs und der Schadensersatzpflicht des Beklagten sowie Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht nach Hinweis mit Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, das Landgericht habe einen Anspruch des Klägers aus § 19 Abs. 1 BNotO zu Recht verneint, weil dem Kläger nach seinem Vortrag eine zumutbare anderweitige Ersatzmöglichkeit zur Verfügung gestanden habe, welche er schuldhaft nicht genutzt habe (§ 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO ). Dem Kläger habe ein alle streitgegenständlichen Schadenspositionen umfassender Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB gegen Herrn S. zugestanden. Dieser habe den Kläger und seine Ehefrau vor dem Beurkundungstermin über eine bereits eingetretene Bindung getäuscht und dadurch zur Abgabe des Kaufvertragsangebots in notarieller Form veranlasst. Die Inanspruchnahme des Herrn S. sei dem Kläger zumutbar gewesen. Er habe nicht befürchten müssen, dass eine Klage wegen Beweisschwierigkeiten abgewiesen würde. Zum Beweis der fraglichen Erklärung habe sich der Kläger auf das Zeugnis seiner Ehefrau berufen können. Die Beweisschwierigkeiten seien daher nicht besser oder schlechter gewesen als im vorliegenden Rechtsstreit hinsichtlich des Nachweises der unterlassenen Belehrung. Der Schadensersatzanspruch gegen Herrn S. sei zwar mittlerweile verjährt; das Verweisungsprivileg aus § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO greife aber auch dann ein, wenn der Geschädigte eine vorhandene anderweitige Ersatzmöglichkeit schuldhaft versäumt habe.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ).

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (st. Rspr., zB Senat, Beschluss vom 26. November 2015 - III ZR 78/15, juris Rn. 14 mwN; BVerfGE 96, 205 , 216; 86, 133, 145 f). Das Gericht muss sich in seinen Entscheidungsgründen zwar nicht ausdrücklich mit jedem Parteivorbringen befassen. Grundsätzlich ist vielmehr davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG lässt sich aber feststellen, wenn besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht beachtet worden ist (zB Senat aaO; BVerfG aaO). Solche Umstände liegen etwa dann vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags eines Beteiligten zu einer zentralen Frage des Verfahrens in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (zB BVerfGE 86, 133 , 146; vgl. auch BVerfGE 96 aaO).

2. Nach diesen Maßstäben ist hier Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das Berufungsgericht hat sich mit dem Vortrag des Klägers, er habe Herrn S. den für eine Haftung nach § 826 BGB erforderlichen Schädigungsvorsatz (vgl. zu dieser Voraussetzung zB BGH, Urteile vom 4. Juni 2013 - VI ZR 288/12, NJW-RR 2013, 1448 Rn. 22; vom 3. Dezember 2013 - XI ZR 295/12, NJW 2014, 1098 Rn. 26 und vom 11. Dezember 2018 - II ZR 455/17, WM 2019, 445 Rn. 18 f jew. mwN) nicht nachweisen können, nicht befasst. Bereits erstinstanzlich hat der Kläger darauf hingewiesen, ein Vorgehen gegen Herrn S. habe den nicht mit Aussicht auf Erfolg zu erbringenden Nachweis vorausgesetzt, dass dieser vorsätzlich gehandelt (Seite 3 des Schriftsatzes vom 16. April 2018, GA I 65) beziehungsweise den Kläger vorsätzlich geschädigt habe (Seite 3 des Schriftsatzes vom 29. Mai 2018, GA I 97). In der Berufungsbegründung (Seite 7 ff, GA II 264 ff) hat er dies dahin präzisiert, es sei nicht nur ein vorsätzliches Handeln nachzuweisen gewesen, sondern auch, dass "die beiden Vermittler zudem vorsätzlich einen Vermögensschaden herbeigeführt haben". Hierfür hätten ihm keinerlei Beweismittel zur Verfügung gestanden, insbesondere da seine Ehefrau hierzu keine Aussage habe treffen können. In seiner Stellungnahme auf den Hinweis des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 ZPO hat der Kläger diesen Vortrag als unberücksichtigt gerügt (Schriftsatz vom 26. Juni 2019, GA II 289 f). Dennoch ist das Berufungsgericht auf diesen Vortrag, dem der Beklagte nicht entgegengetreten ist, nicht eingegangen; vielmehr hat es den Schädigungsvorsatz gar nicht erörtert. Daraus ergibt sich, dass das Berufungsgericht den diesbezüglichen Vortrag des Klägers nicht zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hat.

3. Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung allein darauf gestützt, der Kläger habe die Subsidiarität nach § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO nicht gewahrt, weil er einen Anspruch aus § 826 BGB gegen Herrn S. nicht geltend gemacht habe. Für eine Forderung auf dieser Grundlage ist jedoch der - im übergangenen Vorbringen des Klägers unwidersprochen als nicht beweisbar behauptete - Schädigungsvorsatz erforderlich (BGH aaO). Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Vorinstanz ohne den Gehörsverstoß zu einem in Bezug auf das Klagebegehren günstigeren Ergebnis gelangt wäre.

4. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht auch Gelegenheit, sich gegebenenfalls mit dem weiteren Vorbringen der Nichtzulassungsbeschwerde zu befassen, auf das einzugehen der Senat im vorliegenden Verfahrensstadium keine Veranlassung hat.

Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 18.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 22 O 12/18
Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 04.07.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 4 U 181/18
Fundstellen
NotBZ 2021, 175