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BGH - Entscheidung vom 24.04.2020

AnwZ (Brfg) 5/20

Normen:
BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 7

BGH, Beschluss vom 24.04.2020 - Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 5/20

DRsp Nr. 2020/8153

Antrag auf Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung nach Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls

1. Zur Widerlegung des Vermögensverfalls muss ein Rechtsanwalt umfassend darlegen, welche Forderungen im Zeitpunkt der Widerrufsverfügung gegen ihn bestanden und wie er sie - bezogen auf diesen Zeitpunkt - zurückführen oder anderweitig regulieren will. Der Einwand des Rechtsanwalts, der Titel sei zu Unrecht erschlichen worden, ist unbehelflich, da die inhaltliche und verfahrensrechtliche Richtigkeit der Verurteilung und von Vollstreckungsmaßnahmen im Widerrufsverfahren nicht zu prüfen ist und die Verurteilung Tatbestandwirkung entfaltet. 2. Die Vermutung der Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen entkräftet ist. Zu den Voraussetzungen gehört die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einer Sozietät, bei der sichergestellt ist, dass eine Gefährdung von Mandantengeldern ausgeschlossen ist.

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs vom 14. Oktober 2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Normenkette:

BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 7 ;

Gründe

I.

Die Klägerin ist seit 1987 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 24. April 2018 widerrief die Beklagte die Zulassung der Klägerin zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ). Der Anwaltsgerichtshof wies die Klage mit Urteil vom 14. Oktober 2019 ab. Das Urteil wurde der Klägerin ausweislich der Postzustellungsurkunde am 20. Dezember 2019 an ihrer Kanzleianschrift durch Übergabe an den dort in Bürogemeinschaft tätigen Rechtsanwalt Dr. G. zugestellt. Die Klägerin stellte mit Schriftsatz vom 20. Januar 2020, beim Anwaltsgerichtshof am 21. Januar 2020 eingegangen, den Antrag auf Zulassung der Berufung. Auf den Hinweis der Vorsitzenden auf die anzunehmende Unzulässigkeit ihres Rechtsmittels, der der Klägerin am 6. Februar 2020 zugestellt wurde, teilte diese mit Schriftsatz vom 3. März 2020 mit, sie gehe aufgrund der Eintragung des Datums durch den Postzusteller auf dem Umschlag der für sie bestimmten Postsendung von einer Zustellung am 21. Dezember 2019 aus, hilfsweise beantrage sie vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da sie schuldlos von dem genannten Zustellungsdatum ausgegangen sei. Auf dem Umschlag hatte der Postzusteller als Datum zunächst den "22.12.19" angegeben, die zweite Ziffer ("2") allerdings in schlecht lesbarer Weise ausgebessert.

II.

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist als unzulässig zu verwerfen, weil er nicht binnen eines Monats ab Zustellung des vollständigen Urteils eingelegt wurde (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO ).

1. Das Urteil wurde der Klägerin am 20. Dezember 2020 wirksam zugestellt.

a) Das Datum ergibt sich aus der in der Gerichtsakte befindlichen Postzustellungsurkunde, die als öffentliche Urkunde den vollen Beweis für die Richtigkeit des in ihr beurkundeten Rechtsakts erbringt (§ 112e Satz 2 BRAO , § 125 Abs. 1 Satz 1, § 56 Abs. 2 VwGO , § 182 Abs. 1 Satz 2, § 418 Abs. 1 ZPO ).

Zweifel an der Richtigkeit des dort angegebenen Datums bestehen nicht. Solche ergeben sich insbesondere nicht aus dem Vermerk des Datums auf dem Zustellumschlag. Auf dem Zustellumschlag für die Klägerin war ursprünglich der "22.12.19", ein Sonntag, vermerkt. Die zweite Ziffer ist überschrieben. Die dort notierte Zahl ist nicht eindeutig erkennbar, kann aber eine Null darstellen. Die Klägerin, der Gelegenheit gegeben wurde, zum Inhalt der Postzustellungsurkunde Stellung zu nehmen, behauptet ebenfalls nicht, dass sie konkrete Kenntnis davon habe, dass Herr Rechtsanwalt Dr. G. das Schreiben erst am 21. Dezember 2019 in Empfang genommen habe.

b) Die Zustellung ist auch nicht wegen des nicht eindeutig ausgefüllten Zustellungsvermerks auf dem Umschlag für die Klägerin unwirksam. Insoweit kann dahinstehen, ob der Zustellvermerk auf dem Umschlag im Falle der Ersatzzustellung im Geschäftslokal überhaupt zwingend ist (eine § 180 Satz 3 ZPO vergleichbare Vorschrift fehlt bei der Ersatzzustellung im Geschäftslokal, allerdings ordnet § 182 Abs. 2 Nr. 6 ZPO einen entsprechenden Vermerk auf der Zustellungsurkunde an, ohne dass dem Gesetzestext eine Beschränkung auf bestimmte Zustellarten zu entnehmen ist; vgl. dazu Häublein, in MüKo ZPO , 5. Aufl., § 182 Rn. 11). Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 14. Januar 2019 - AnwZ (Brfg) 59/17, juris Rn. 9 f. mwN (auch zur Gegenansicht) ausführlich begründet hat, stellt der Vermerk auf dem Zustellungsumschlag keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Zustellung dar.

c) Auch die Zustellung an den in Bürogemeinschaft verbundenen anderweitigen Berufsträger, Herrn Rechtsanwalt Dr. G. , ist wirksam.

Die Klägerin hatte nach Beendigung der Bürogemeinschaft im dritten Stock der Ma. 17 in M. mit einem der sechs im ersten Stock derselben Adresse in Bürogemeinschaft tätigen Rechtsanwälte die Vereinbarung getroffen, dass sie die Kanzleiinfrastruktur von dessen Kanzlei nutzen dürfe. In der Bürogemeinschaft ist es üblich, dass, wenn Post für einen dort tätigen Rechtsanwalt eingeht, der Adressat aber nicht anwesend ist, diese von einem anderen dort tätigen Rechtsanwalt in Empfang genommen wird.

Die Ersatzzustellung nach § 112e Satz 2 BRAO , § 125 Abs. 1 Satz 1, § 56 Abs. 2 VwGO , § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO an einen anderen in Bürogemeinschaft verbundenen Berufsträger begegnet jedenfalls dann keinen Bedenken, wenn - wie vorliegend - eine einvernehmliche Praxis der Bürogemeinschaft besteht, dass Post wechselseitig in Empfang genommen wird. In dieser Praxis liegt die Befugnis zur Empfangnahme der Post des Berufskollegen (vgl. - für Angestellte -: BGH, Beschluss vom 6. Mai 2004 - IX ZB 43/03, NJW 2004, 2386 , 2387; weitergehend - jede Anstellung bei der Bürogemeinschaft genügen lassend -: OLG München, Urteil vom 10. März 1994 - 32 U 6951/93, juris Rn. 3; VG Köln, Urteil vom 28. Mai 2013 - 7 K 1128/12, juris Rn. 35 ff.); zugleich begründet sie eine Vertrauensstellung, die eine zuverlässige Weiterleitung des zuzustellenden Schriftstücks verbürgt. Diese Auslegung steht mit dem Wortlaut des § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in Einklang, der in einem Geschäftslokal eine Ersatzzustellung an eine "dort beschäftigte Person" verlangt. Der Wortlaut verlangt kein Arbeitnehmerverhältnis des tatsächlichen Empfängers zum Berufsträger, vielmehr genügt jedenfalls - ohne dass überhaupt ein Vertragsverhältnis bestehen muss (BFH, NJW 1994, 960 ) -, dass der tatsächliche Empfänger, wie hier, mit der Funktion des Empfangs von Post für die anderen Berufsträger ggf. auch konkludent - betraut ist (vgl. Roth in Stein/Jonas, ZPO , 23. Aufl., § 178 Rn. 23). Ob dasselbe bei in einer Bürogemeinschaft zusammengeschlossenen Berufsträgern auch ohne Abrede über die wechselseitige Empfangnahme von Post angenommen werden kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung (bejahend: VG Lüneburg, Beschluss vom 13. November 2017 - 6 B 119/17, juris Rn. 13; ebenso: VogtBeheim in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO , 78. Aufl., § 178 Rn. 22 "Mitinhaber"; Schultzky in Zöller, ZPO , 33. Aufl., § 178 Rn. 18; aA Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO , 4. Aufl., § 178 Rn. 55 und (wohl) Häublein in MüKo ZPO , 5. Aufl., § 178 Rn. 24; Burhoff/Kotz in Burhoff/Kotz, Handbuch der strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 2. Aufl., Teil A Rn. 1931).

An der Praxis der Bürogemeinschaft, deren Kanzleiinfrastruktur sich die Klägerin bedient, muss sie sich festhalten lassen.

2. Aufgrund der Zustellung am 20. Dezember 2019 hätte der Antrag gemäß § 112e Satz 2 BRAO , § 125 Abs. 1 Satz 1, § 57 Abs. 2 VwGO , § 222 Abs. 1 ZPO , § 187 Abs. 1 , § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB spätestens am 20. Januar 2020 beim Anwaltsgerichtshof eingehen müssen. Vorliegend ist der Schriftsatz mit der Einlegung erst am 21. Januar 2020 eingegangen.

3. Der Klägerin kann keine Wiedereinsetzung in die versäumte Einlegungsfrist gewährt werden.

a) Der Antrag ist bereits unzulässig, da er nicht innerhalb der gesetzlichen Zwei-Wochen-Frist ab Zugang des Hinweises über die anzunehmende Unzulässigkeit des Rechtsmittels gestellt wurde (§ 112e Satz 2 BRAO , § 125 Abs. 1 Satz 1, § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ). Demnach hätte er bis zum 20. Februar 2020 gestellt werden müssen. Tatsächlich wurde der Antrag erstmals am 6. März 2020 gestellt.

Die Wiedereinsetzungsfrist ist nicht deshalb gewahrt, weil der Klägerin erst mit Verfügung der Vorsitzenden vom 11. März 2020 eine Kopie der Zustellungsurkunde übersandt wurde. Die zusätzlichen Kenntnisse aus der Urkunde benötigte sie nicht, um den von ihr tatsächlich geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund, sie sei aufgrund des Vermerks auf dem Zustellumschlag von einer Zustellung am 21. Dezember 2019 ausgegangen, geltend zu machen.

b) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auch unbegründet. Die Klägerin trifft an dem Versäumnis der Einlegungsfrist Verschulden. Die Datumsangabe auf dem Umschlag ist aufgrund der Ausbesserung schlecht lesbar; eine eindeutige Entzifferung ist nicht möglich. Da der Klägerin das tatsächliche Zustellungsdatum nicht bekannt war und der Umschlag eine eindeutige Datierung nicht erlaubte, konnte und durfte die Klägerin nicht von einer von ihr lediglich vermuteten Zustellung am 21. Dezember 2019 ausgehen, sondern hätte sich bei Gericht nach dem tatsächlichen Zustellungsdatum erkundigen müssen. Dort hätte sie in Erfahrung gebracht, dass die Zustellung bereits am 20. Dezember 2019 erfolgt war.

III.

Das Rechtsmittel hätte, seine Zulässigkeit unterstellt, auch in der Sache keinen Erfolg gehabt.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) bestehen nicht: Die Klägerin war im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerrufsverfügung (Senatsbeschluss vom 5. April 2019 - AnwZ (Brfg) 3/19, juris Rn. 4) im Vollstreckungsregister (§ 882b ZPO ) eingetragen; ihr Vermögensverfall wird daher vermutet (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ). Der Vermögensverfall steht auch positiv fest: Die Klägerin räumt ein, dass sie zur Zahlung eines Geldbetrages von ca. 13.000 € offenbar rechtskräftig - verurteilt wurde und dass eine von ihr erhobene Vollstreckungsgegenklage jedenfalls bislang keinen Erfolg hatte. Zur Widerlegung des Vermögensverfalls hätte sie, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend gesehen hat, umfassend darlegen müssen, welche Forderungen im Zeitpunkt der Widerrufsverfügung gegen sie bestanden und wie sie sie - bezogen auf diesen Zeitpunkt - zurückführen oder anderweitig regulieren wollte (Senatsbeschluss vom 29. Mai 2018 - AnwZ (Brfg) 71/17, juris Rn. 4). Dies ist nicht geschehen. Unzureichend ist der Hinweis auf Außenstände, deren Realisierbarkeit nicht belegt ist. Die Klägerin verteidigt sich damit, dass der Titel zu Unrecht erschlichen worden sei. Dieser Einwand ist unbehelflich: Die inhaltliche und verfahrensrechtliche Richtigkeit der Verurteilung und von Vollstreckungsmaßnahmen ist im Widerrufsverfahren nicht zu prüfen, die Verurteilung entfaltet vielmehr Tatbestandwirkung (Senatsbeschlüsse vom 29. Mai 2018 - AnwZ (Brfg) 71/17, aaO Rn. 5 und vom 12. Dezember 2018 - AnwZ (Brfg) 65/18, juris Rn. 5; jeweils mwN). Ebenso wenig kommt es im Widerrufsverfahren auf ein Verschulden des betroffenen Rechtsanwalts an dem Vermögensverfall an (Senatsbeschlüsse vom 8. Januar 2018 - AnwZ (Brfg) 10/17, juris Rn. 23 und vom 5. April 2019 AnwZ (Brfg) 3/19, aaO Rn. 10). Schließlich entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass die Vermutung der Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden nur in eng begrenzten Ausnahmefällen entkräftet ist. Zu den Voraussetzungen gehört die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einer Sozietät, bei der sichergestellt ist, dass eine Gefährdung von Mandantengeldern ausgeschlossen ist. Eine Tätigkeit als Einzelanwältin ist - selbst bei Einrichtung eines Anderkontos - nicht ausreichend (Senatsbeschluss vom 5. April 2019 - AnwZ (Brfg) 3/19, aaO Rn. 7 mwN). Auch in diesem Zusammenhang spielt keine Rolle, dass die Klägerin - nach ihrer Behauptung - unverschuldet in die schlechte Vermögenslage geraten ist (Senatsbeschluss vom 5. April 2019 - AnwZ (Brfg) 3/19, aaO Rn. 10) und sich vorsätzlichen wirtschaftlichen Schädigungen ausgesetzt sah. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass die Klägerin aktuell keine Mandate bearbeitet, da sie bei fortbestehender Zulassung als Rechtsanwältin jederzeit Mandate annehmen könnte.

Fragen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) wirft der Fall nicht auf. Es ist, wie gezeigt, in der Rechtsprechung geklärt, dass die Ursache des Vermögensverfalls und die Richtigkeit der diesem zugrunde liegenden Titel und Vollstreckungsmaßnahmen nicht geprüft werden. Auch die Maßstäbe, nach denen eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden zu beurteilen ist, sind geklärt.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz1 BRAO , § 154 Abs. 2 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO .

Vorinstanz: AnwGH Bayern, vom 14.10.2019