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BVerwG - Entscheidung vom 04.07.2019

1 WB 12.19

Normen:
WBO § 16a Abs. 3
WBO § 16a Abs. 4

BVerwG, Beschluss vom 04.07.2019 - Aktenzeichen 1 WB 12.19

DRsp Nr. 2019/12966

Notwendige Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im vorgerichtlichen Wehrbeschwerdeverfahren

1. Für die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im vorgerichtlichen Verfahren im Sinne von § 16a Abs. 3 WBO ist maßgebend, ob sich ein "vernünftiger Soldat" mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung wird dabei auch durch die Bedeutung der Streitsache für den Beschwerdeführer bestimmt. Vor diesem Hintergrund können im Zusammenhang mit einem angestrebten Wechsel in die höherwertige Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes als sehr bedeutsame Angelegenheit vertiefte Rechtskenntnisse zum Auswahlverfahren und zur Anwendung des Grundsatzes der Bestenauslese in einem regelmäßig großen Bewerberfeld, die eine realistische Einschätzung der Erfolgsaussichten und das effektive Betreiben eines Rechtsbehelfsverfahren ermöglichen, insoweit auch bei erfahrenen Berufssoldaten nicht ohne das Vorliegen weiterer Umstände vorausgesetzt werden. Dies gilt insbesondere für Spezialfragen wie dem Erfordernis der hinreichenden Aktualität einer sog. Potenzialfeststellung als Ergebnis einer psychologischen Eignungsprüfung.2. Eine im Zeitpunkt der Bevollmächtigung einmal gegebene "Notwendigkeit" im Sinne von § 16a Abs. 3 WBO kann nicht rückwirkend beseitigt werden.3. Für die Erstattungsfähigkeit der Vergütung eines Rechtsanwalts ist es unerheblich, ob dessen Tätigkeit kausal für die erfolgte Abhilfe war. Maßgeblich ist vielmehr allein die Notwendigkeit der Hinzuziehung im Sinne des § 16a Abs. 3 WBO ; liegt diese vor, so sind die aufgrund der Beauftragung und Tätigkeit des Rechtsanwalts entstandenen Kosten für den Antragsteller erstattungsfähig.

Tenor

Die Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung - R II 2 - vom 10. Mai 2019 wird in Nr. 3 geändert. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im vorgerichtlichen Verfahren war notwendig.

Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.

Normenkette:

WBO § 16a Abs. 3 ; WBO § 16a Abs. 4 ;

Gründe

I

Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im vorgerichtlichen Wehrbeschwerdeverfahren notwendig war.

Der Antragsteller ist Berufssoldat im Dienstgrad eines Hauptfeldwebels. Unter dem 20. Juni 2017 beantragte er die Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes. Mit Bescheid vom 13. August 2018 lehnte das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr diesen Antrag ab. Hiergegen erhob der Antragsteller persönlich mit Schreiben vom 28. August 2018 Beschwerde, die am 30. August 2018 bei seinem nächsten Disziplinarvorgesetzten und am 10. September 2018 beim Bundesministerium der Verteidigung einging. Mit Schreiben vom 28. September 2018, eingegangen beim Bundesministerium der Verteidigung am 2. Oktober 2018, zeigten die Bevollmächtigten des Antragstellers dessen Vertretung an und führten zur Begründung der Beschwerde aus, dass die der Ablehnung des Antrags auf Laufbahnwechsel zugrunde gelegte Potenzialfeststellung veraltet sei und nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr herangezogen werden dürfe.

Mit Bescheid vom 15. Oktober 2018, den Bevollmächtigten des Antragstellers zugegangen am 22. Oktober 2018 und dem Antragsteller am 24. Oktober 2018, hob das Bundesamt für das Personalmanagement unter Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 19. Juli 2018 - 1 WB 48.17 - den ablehnenden Bescheid vom 13. August 2018 auf und teilte mit, dass über den Antrag auf Laufbahnzulassung erneut entschieden werde. Mit Bescheid vom 17. April 2019 ließ das Bundesamt für das Personalmanagement den Antragsteller auf dessen Antrag vom 20. Juni 2017 zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes zu.

Mit Schreiben vom 3. Mai 2019 beantragten die Bevollmächtigten des Antragstellers daraufhin, die Kosten des Verfahrens dem Bund aufzuerlegen und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Mit Bescheid vom 10. Mai 2019 stellte das Bundesministerium der Verteidigung, das Verfahren ein (Nr. 1) und entschied, dass dem Antragsteller die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten seien (Nr. 2). Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten sei jedoch nicht notwendig gewesen (Nr. 3). Zur Begründung des letzteren Punktes wurde ausgeführt, dass der Antragsteller bereits ohne anwaltliche Hilfe Beschwerde eingelegt habe. Aufgrund der Bindung der Verwaltung an die Gesetze und deren Auslegung durch die Gerichte wäre die kurz zuvor ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres Zutun berücksichtigt und der angefochtene Bescheid aufgehoben worden. Hierauf hätte der Antragsteller vertrauen dürfen.

Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 16. Mai 2019 hat der Antragsteller wegen der Ablehnung, die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten festzustellen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Zur Begründung verweist er darauf, dass es sich bei dem Antrag auf Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes um eine für ihn bedeutsame Angelegenheit gehandelt habe. Kenntnisse von der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Gültigkeitsdauer der Potenzialfeststellung habe er nicht gehabt. Er habe deshalb auch keinen Anlass gehabt, darauf zu vertrauen, dass die Verwaltung aufgrund der bloßen Tatsache seiner Beschwerde die Entscheidung korrigieren werde.

Der Antragsteller beantragt,

unter Abänderung des Bescheids des Bundesministeriums der Verteidigung - R II 2 - vom 10. Mai 2019 im Tenor zu 3. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht es sich auf seine Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung. Dem Vorverfahren habe weder eine unübersichtliche Rechtslage noch eine komplizierte Verfahrenshistorie zugrunde gelegen. Vielmehr habe die rechtliche Einordnung des Falls aufgrund der Rechtsprechung des Senats zur Gültigkeitsdauer von Potenzialfeststellungen festgestanden. Die Beschwerde hätte deshalb ohne weiteres zum gewünschten Ergebnis geführt. Von einem verständigen Berufssoldaten im Dienstgrad eines Hauptfeldwebels habe daher ein eigenständiges Betreiben des Beschwerdeverfahrens erwartet werden dürfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung hat dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, über den der Senat gemäß § 16a Abs. 5 Satz 3 und 4 WBO in der Besetzung ohne ehrenamtliche Richter entscheidet (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. September 2009 - 1 WB 31.09 - Buchholz 450.1 § 16a WBO Nr. 1 Rn. 16 f. und vom 5. August 2015 - 1 WB 14.15 - Buchholz 450.1 § 16a WBO Nr. 5 Rn. 21 m.w.N.), hat Erfolg. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch den Antragsteller im vorgerichtlichen Verfahren war notwendig (§ 16a Abs. 3 und 4 WBO ).

Das Bundesministerium der Verteidigung hat in Nr. 2 der Entscheidung vom 10. Mai 2019 ausgesprochen, dass dem Antragsteller gemäß § 16a Abs. 2 und 4 WBO die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen erstattet werden. Diese Kostengrundentscheidung, die eine Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit der Rechtsanwaltskosten darstellt, ist im vorliegenden Verfahren zugrundezulegen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2010 - 1 WB 9.10 - Rn. 13 und vom 20. Oktober 2017 - 1 WB 21.17 - NZWehrr 2018, 35 &lt36>).

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Dezember 2009 - 1 WB 61.09 - Buchholz 450.1 § 16a WBO Nr. 2 Rn. 18 und vom 4. September 2014 - 1 WB 50.13 - juris Rn. 11 m.w.N.) ist die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im vorgerichtlichen Verfahren unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein "vernünftiger Soldat" mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung wird auch durch die Bedeutung der Streitsache für den Beschwerdeführer bestimmt. Aus dem Begriff der "Notwendigkeit" folgt nicht, dass die Erstattungsfähigkeit im Vorverfahren eine Ausnahme bleiben müsste. Insoweit ist nicht das Begriffspaar "Regel/Ausnahme" maßgeblich, sondern vielmehr die gesetzgeberische Differenzierung, dass die Erstattungsfähigkeit nicht automatisch, sondern je nach Lage des Einzelfalls nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen ist. Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist dabei auf den Zeitpunkt der Bevollmächtigung abzustellen (stRspr, vgl. zuletzt BVerwG, Beschlüsse vom 18. November 2016 - 1 WB 32.16 - juris Rn. 29 und vom 21. Juni 2018 - 1 WB 13.18 - juris Rn. 14).

Nach diesen Maßstäben ist die Vergütung der Bevollmächtigten des Antragstellers im vorliegenden Fall erstattungsfähig.

Bei dem angestrebten Wechsel in die höherwertige Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes handelt es sich um eine für das dienstliche Fortkommen des Antragstellers sehr bedeutsame Angelegenheit. Vertiefte Rechtskenntnisse zum Auswahlverfahren und zur Anwendung des Grundsatzes der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG , § 3 Abs. 1 SG ) in einem regelmäßig großen Bewerberfeld, die eine realistische Einschätzung der Erfolgsaussichten und das effektive Betreiben eines Rechtsbehelfsverfahren ermöglichen, können insoweit auch bei erfahrenen Berufssoldaten nicht ohne das Vorliegen weiterer, hier nicht ersichtlicher Umstände vorausgesetzt werden. Dies gilt insbesondere für Spezialfragen wie dem Erfordernis der hinreichenden Aktualität einer sog. Potenzialfeststellung als Ergebnis einer psychologischen Eignungsprüfung, zu dem sich auch der Senat erstmals und grundlegend in dem Beschluss vom 19. Juli 2018 - 1 WB 48.17 - (juris Rn. 29 ff.) geäußert hat. Kenntnis von dieser Entscheidung hatte der Antragsteller in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Bevollmächtigung (Vollmacht vom 28. August 2018) nicht und konnte sie im Übrigen auch gar nicht haben, weil Ausfertigungen des vollständigen Beschlusses vom 19. Juli 2018 mit Gründen den Beteiligten des dortigen Verfahrens erst am 31. August 2018 zugestellt wurden.

Die danach vorliegende Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im vorgerichtlichen Verfahren wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Bundesministerium der Verteidigung nach Kenntnis von dem Beschluss vom 19. Juli 2018 seinerseits aus eigener Initiative das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr angewiesen hat, den ablehnenden Bescheid vom 13. August 2018 aufzuheben und über den Antrag auf Laufbahnwechsel neu zu entscheiden. Eine im Zeitpunkt der Bevollmächtigung einmal gegebene "Notwendigkeit" im Sinne von § 16a Abs. 3 WBO kann hierdurch nicht gleichsam rückwirkend beseitigt werden. Im Übrigen konnte der Antragsteller, soweit aus dem Vortrag der Beteiligten und den Akten ersichtlich, bis zum Zugang des aufhebenden Bescheids vom 15. Oktober 2018 am 22. bzw. 24. Oktober 2018 mangels Kenntnis von den Aktivitäten der Bundeswehrstellen nicht voraussehen, dass seiner Beschwerde stattgegeben werden würde; insofern bestand auch für den die Beschwerde begründenden Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 28. September 2018 durchaus Anlass.

Für die Erstattungsfähigkeit der Vergütung eines Rechtsanwalts ist es im Übrigen unerheblich, ob dessen Tätigkeit kausal für die erfolgte Abhilfe war. Maßgeblich ist vielmehr allein die Notwendigkeit der Hinzuziehung im Sinne des § 16a Abs. 3 WBO ; liegt diese - wie hier - vor, so sind die aufgrund der Beauftragung und Tätigkeit des Rechtsanwalts entstandenen Kosten für den Antragsteller erstattungsfähig (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 2017 - 1 WB 21.17 - NZWehrr 2018, 35 <36>).

Die Kostenentscheidung für das gerichtliche Antragsverfahren beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO .